Ohne mir Zeit zu geben, mir das Gesagte durch den Kopf gehen zu lassen, verabschiedete sie sich: »Nun, geh. Geh und sag deinen Begleitern, dass ihr in Kürze von einer Straßenbande angegriffen werdet. Ich spüre Gefahr.«

Ich riss meine Augen weit auf: »Ihr wusstet, dass wir angegriffen werden, und sagt es mir erst jetzt?«

»Es gehört zu meinen Aufgaben, Dinge zurückzuhalten. Ich darf die Zukunft nicht beeinflussen, Olivia. Und ich sehe nur das, was das Schicksal mich sehen lassen will. Bis bald, Olivia.«

Ihre Gestalt verblasste langsam, zuerst verschwamm Kleidung, dann ihr Körper, bis nur noch der Umriss einer zarten Silhouette zu sehen war. Ich beobachtete das Schauspiel mit einer Mischung aus Entsetzen und Faszination. Bevor ich aus meinem Traum erwachte, hörte ich zum letzten Mal ihre Stimme: »Gib Jeremia nicht auf«, sagte sie überraschenderweise völlig ernst, »ganz egal, was geschieht. Gib ihn nicht auf.«

»Du bist wach«, bemerkte Connor, als ich langsam erwachte und feststellte, dass ich tatsächlich an seiner Schulter eingeschlafen war. Die Verlegenheit, die sich meiner bemächtigte, verflog allerdings, sobald ich an die Warnung der Seherin zurückdachte.

»Wir werden angegriffen!«, rief ich mit heiserer Stimme und richtete mich kerzengerade auf. Stolpernd kam ich auf die Beine, die noch ganz weich waren, und stürzte zum Fenster. Ich schob den Vorhang, den jemand zugezogen hatte, energisch zur Seite und streckte den Kopf in die kalte Nacht hinaus. Ein leichter Wind zerrte an meinen Haaren, als ich mich an Jeremia auf dem Kutschbock wandte: »Ihr müsst auf einen baldigen Angriff vorbereitet sein! Eine Straßenbande wird uns anhalten!«

Dann setzte ich mich wieder und sog scharf die Luft ein. Das war es also, was das Kennen der Zukunft mit einem machte: Es verwandelte einen in ein Nervenbündel.

»Beruhige dich, Livvy, du hast deine Magie wieder nicht unter Kontrolle«, mahnte Connor mit leiser Stimme, worauf ich registrierte, dass kleine Flammen auf meinen Händen umhertanzten. Ich schloss für einen kurzen Moment die Augen, murmelte ein »Verdammt« und konzentrierte mich darauf, sie zu löschen, wie ich es vor kurzem auf der Terasse des Schlosses getan hatte. Es funktionierte auf Anhieb, was mich mit Stolz erfüllte und mein Herz hörte auf, in halsbrecherischer Geschwindigkeit zu rasen. Ich kam wieder zur Ruhe. Halbwegs.

Cyryl und Marten, die uns fortwährend gegenübersaßen, starrten mich an, als wäre mir ein zweiter Kopf gewachsen. Marten räusperte sich vernehmlich: »Nicht, dass ich etwas gegen
Sonnenanbeterinnen oder ihre Magie hätte...aber es wäre echt gut, wenn du uns das nächste Mal vorwarnst, bevor du in einer kleinen Kutsche Feuer fängst, in Ordnung?«

Ich lachte trocken auf und nickte ihnen zu. Sie schienen erleichtert. Ich war es nicht.

»Woher weißt du das mit der Straßenbande?«, erkundigte sich Connor.

Ich konnte hören, dass er meiner Warnung keinen Glauben schenkte. Das machte mich wütend.

»Du willst doch, dass ich dir vertraue, nicht wahr?«

»Natürlich«, erwiderte er sofort und blickte mich ehrlich an. Wobei ich mir bei ihm nie ganz sicher sein konnte, ob er ehrlich war oder eine seiner zahlreichen Masken trug, also beschloss ich, ihm diesmal einfach zu glauben.

»Dann bitte ich dich um denselben Gefallen. Vertrau mir, wenn ich dir sage, dass wir schon bald in Schwierigkeiten geraten werden.«

Ich untermauerte meine Aussage mit einem langen Blick, der ihn schließlich dazu trieb, mir zuzunicken. Ja, ich vertraue dir, schienen seine blauen Augen zu sagen. Das musste reichen.

BORN TO BURN (Band 1)Where stories live. Discover now