Ava

13 3 0
                                    

22:34

Ohne Müll, ich hasse Krankenhäuser! Zwar sind sie ganz praktisch wenn man eine Krankheit hat. Aber dieses ewige Warten geht mir auf die Nerven. Besonders dann, wenn man selbst nichts hat.
Ich sitze unruhig auf einem Stuhl im Flur, als die Tür gegenüber aufgeht und die zwei endlich rauskommen. Der Arzt wollte sie noch mal durchchecken.
„Und?" „Ist nichts",sagt Ryan, „ein paar Prellungen. Nichts ernstes." Er legt lässig den Arm auf Antons Schultern ab. „Der Kleine hat mal wieder übertrieben." Anton wirft ihm einen finsteren Blick zu. Er hasst es klein genannt zu werden. „Nächsten prügle ich mich nicht mehr für dich!",brummt er. Dann wirft er mir einen finstern Blick zu. Ich weiß was er mir sagen will. Er ist sauer, weil ich ihn zum prügeln animiert habe. Aber er sagt nichts. Denn auch er merkt, wie Ryan versucht das Ganze zu überspielen. Doch uns entgeht beiden nicht, wie verletzt er schaut. Wie glasig seine Augen sind.
„Ja, vielleicht solltest du mir das nächstens wirklich überlassen." Er klopft Anton auf die Brust und läuft dann vor Richtung Ausgang.
„Er gefällt mir nicht",flüstere ich Anton zu. Er sieht Ryan hinterher und nickt. Ryan dreht sich um und grinst uns an, auch wenn das Grinsen seine Augen nicht erreicht. „Kommt ihr, ihr Schnarchnasen?" Wir folgen ihm und gemeinsam stehen wie kurz darauf vor dem Krankenhaus.
„Fahren wir mit dem Bus?" „Mein Dad hatte angeboten uns abzuholen." Ich sehe die Jungs fragen an. Ryan verzieht kaum merklich das Gesicht. „Wenn das für deinen Vater okay ist." Anton sieht erleichtert aus. „Okay, ich ruf ihn eben an." Ich gehe ein paar Schritten von den Jungs weg. Nicht, weil sie mir nicht beim telefonieren zuhören dürfen. Viel mehr damit sie sich unterhalten können. Ich hoffe Anton versteht meine Worte ohne, dass ich sie gesagt habe.

„Ava?" „Ja ich bin's." „Was ist los? Ist der Film schon zu Ende?" „Wir waren nicht im Kino. Ich erzähl dir Zuhause wieso. Kannst du uns abholen?" „Wo seid ihr denn?" Ich zögere einen Moment. Wenn ich ihm erzähle, dass wir am Krankenhaus sind, dann macht er sich nur unnötig Sorgen. Doch ehe ich mich versehe ist es auch schon aus mir rausgerutscht: „Am Krankenhaus, aber mach dir keine Sorgen. Es ist nichts ernstes!" „Am Krankenhaus?!",er klingt sichtlich überrascht. „Ava, was ist passiert?" „Erzähl ich dir Zuhause hab ich dir doch gesagt. Kannst du uns holen?" „Ich will für euch hoffen, dass ihr mir nicht das Auto voll blutet!",damit legt er auf. Ich muss kurz grinsen. Mein Dad. Auf sowas kommt nur er.
Dann gehe ich zurück zu den Jungs. Sie stehen schweigend da. Verflucht Anton, mach deinen Mund endlich mal auf!
„Also Ryan, findest du nicht, dass du uns jetzt mal die Wahrheit sagen solltest?", mit diesen Worten geselle ich mich zu ihnen. Er schluckt. Unsicher sieht er uns an. Dann sieht er zu Boden. „Ich-ich habe meinen Vater kontaktiert." „Wie hast du das gemacht?" „Ich hab da so einen Kumpel, Tresh, der für einen Kerl arbeitet, der mit meinem Vater befreundet ist." Es dauert einen Moment ehe ich die Kette vor Augen habe. Tresh arbeitet für jemanden der mit Ryan's Vater befreundet ist. Klingt logisch. „Jedefalls hat mir Tresh die Nummer von meinem Erzeuger anschaffen können", er verlagert sein Gewicht von einem Bein auf das andere, „Ich hab mit ihm telefoniert. Habe ihn um ein Treffen angefleht. Aber er hat einfach aufgelegt." Er schluckt, kämpft mit den Tränen. „Also habe ich mein Glück bei der Autowerkstatt von Tresh's Chef versucht. Und er war wirklich dort. Er hat mich angeschrieen, dass ich mich gefälligst aus seinem Leben verpissen soll und so weiter." In seinen Worten liegt soviel Schmerz. „Als ich zuhause ankam, waren Elias und Tilo alleine. Ich bin fast aus allen Wolken gefallen." Entgeistert sehe ich Ryan an. Elias ist fünf, fast sechs. Tilo ist zwei. Man kann doch nicht so junge Kinder alleine in so einer Gegend lassen? „Als Evelyn nach Hause kam habe ich sie zur Rede gestellt, was das denn soll, warum sie zwei kleine Kinder alleine lässt!", seine Stimme klingt nun nicht mehr verletzt sondern wütend. Seine Hand ballt sich zur Faust. „Aber alles was ihr eingefallen ist, war mich anzuschnauzen, warum ich den mit meinem Erzeuger Kontakt aufnehmen wollte! Sie hat mir das gesagt, was mein Erzeuger mir auch schon gesagt hat, dass er mich nicht will! Und etwas später stand dann dieser Kerl vor unserer Tür. Evelyn hat ihm die Tür genau so geöffnet wie sie ihn wieder entlassen hat. Und als ich dann im Flur stand und die beiden gesehen habe, hat mich meine Mutter aufgefordert zu gehen. Sie wollte mich rausschmeißen. Und das hat sie auch gemacht!" Ryan vergräbt die Hände in seinen Hosentaschen. Aber mir entgeht nicht wie sehr sie zittern. Er traut sich nicht uns anzusehen, aber ich sehe wie angespannt er ist. Dass sein Kiefer mahlt. Wie versteinert stehe ich da. Kann nicht glauben was Ryan uns gerade erzählt hat. Er tut mir so unglaublich leid. Er ist jemand der alles für die Menschen tut, die er liebt. Er selbst hat aber noch nie wirkliche Liebe gespürt.
Auch wenn mir sonst eigentlich nie Worte fehlen, jetzt sind sie alle verschwunden. Ich weiß, auch Anton fehlen die Worte und er hofft darauf, dass ich etwas sage. Er lässt mir gerne den Vortritt beim Reden. Aber jetzt gerade wünschte ich es wäre anders. Ryan blickt auf und sieht uns an. Er sieht aus, als würde er jeden Moment anfangen zu weinen. Und wenn ich nicht aufpasse, weine ich gleich mit. Ohne Worte gehe ich auf ihn zu und nehme ihn in der Arm.
„Das tut mir so leid, Ryan", murmle ich. Er drückt mich an sich. Sucht Halt bei mir. Es ist heute schon das zweite Mal, dass ich ihn umarme. Und ich habe das Gefühl, als würde Ryan dort Schutz suchen. Weil er Angst hat, abgestoßen zu werden, erneut. Er weiß, wir sind für ihn da. Da bin ich mir sicher.
„Ich hab Eli und Ti im Stich gelassen",schluchzt er leise an meine Schulter. Ich kann nicht anders als Ryan zu bewundern. Er wurde von seinen Eltern zurückgewiesen, aber seine Sorgen gelten seinen Geschwistern. Er stellt sich hinten an, nur um sie in Sicherheit zu wissen.
„Sch. Sag sowas nicht. Die Einzige die die beiden im Stich gelassen hat, ist Evelyn! Du brauchst dir keine Vorwürfe machen, Ryan, hörst du?" „Doch ich hätte mehr machen können! Ich hätte-" „Nein, Ryan, hör auf! So darfst du nicht denken. Du hat niemanden im Stich gelassen, verstanden?!", versuche ich ihm einzutrichtern. Er klammert sich an mich. Ich tätschle ihm, in der Hoffnung, dass es etwas bringt, den Rücken.
Er bleibt stumm.

„Ich sag's noch mal, wehe einer von euch blutet mir das Auto voll!",warnt uns mein Dad. Ich lasse mich auf den Beifahrersitz nieder und die Jungs steigen hinten ein. Ich schüttle nur den Kopf und gebe meinem Vater somit zu verstehen, dass jetzt nicht der passende Augenblick zum scherzen ist.
„Ryan wird heute bei uns schlafen!",verkünde ich stattdessen. Besser gleich damit raus. Mein Vater zieht die Augenbrauen hoch und sieht mich mit einem Blick an, der so viel heißt wie tut er das?. Aber er sagt nichts, stattdessen fährt er los. „Aber Anton bringe ich nach Hause oder?", mein Vater wirft einen fragenden Blick in den Rückspiegel. „Ja, ich schlafe Zuhause. In der Hoffnung meine Mom ist nicht mehr wach...",den letzten Teil murmelt er eher zu sich selbst. Und ich kann ihn gut verstehen. Seine Mom ist was Gesundheit angeht etwas überfürsorglich. Nein, eigentlich betrifft das nicht nur die Gesundheit. Es ist also kein Wunder, dass Anton lieber ins Krankenhaus gefahren ist und sich noch einmal durchchecken lassen hat. Das wurde ihm so eingetrichtert. „Wer bezahlt eigentlich eure Untersuchungen?", frage ich die Jungs. Ryan scheint mich nicht gehört zu haben. Er starrt mit glänzenden Augen aus dem Auto auf die vorbeiziehende Landschaft. Anton zuckt nur mit den Schultern. „Wir mussten unsere Krankenkasse angeben. Und unsere Adresse. Ich schätze sie werden uns eine Rechnung schicken." Ich nicke und sehe wieder nach vorne. Mein Vater summt ein Lied mit, welches im Radio läuft. Zwischendurch wirft er einen besorgten Blick in den Rückspiegel.
Als wir schließlich vor Antons Zuhause halten ist es zehn nach elf. Ich bin müde und gähne. Er steigt aus und verabschiedet sich. Das Haus in dem Anton wohnt ist gigantisch. Es grenzt schon an eine Villa. Allerdings teilen es sich zwei Familien. Also im Grunde eine. Unten leben seine Großeltern und oben er, seine Schwester und seine Mutter. In den Boden eingelassene Lichter gehen an, als er den Hof hoch zum Haus läuft. Ich fand dieses moderne Haus immer schon faszinierend. Es ist auch einer der Gründe warum ich mich am liebsten bei Anton treffe.
Mein Vater blendet kurz auf, dann fahren wir weiter.
„Deine Mom hat sich übrigens darüber aufgeregt, dass ich wieder Pizza bestellt habe." Er schmunzelt und fährt sich durch seinen Drei-Tag-Bart. Ich lächle: „Hat sie ja nicht ganz unrecht. Ist ja auch das dritte Mal diesen Monat!" „Ich hasse kochen!",erwidert er. Und ich muss grinsen. „Du kannst es ja auch nicht." „Das kommt noch dazu!" Wahrscheinlich kommt es daher, dass all meine Kochversuche in einer chaotischen Küche und angebranntem Essen geendet haben.
„Und was hast du ihr gesagt?" „Das sie mir was kochen soll, wenn ich keine Pizza mehr essen soll." „Jaja, soviel zum Thema Emanzipation." „Ach ich bitte dich, das hat damit nichts zu tun. Es hat eher damit zu tun, dass ich die Nudeln eher mit Zucker kochen würde als mit Salz!" Ich schüttle grinsend den Kopf.

Zuhause angekommen, versuchen wir möglichst leise das Haus zu betreten. Als wir jedoch Mom im Flur stehen sehen, fällt die Stille von uns. „Mom? Du bist noch wach?" „Grundgütiger, jag mir bitte nie wieder so einen Schrecken ein Ava!" Sie kommt die Treppe herunter gelaufen und drückt mich an sich. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Ryan seinen Blick abwendet. „Mir geht's gut Mom!",ich schiebe sie von mir und laufe die letzten Stufen die Treppe hoch. „Ryan, schläfst du heute hier?",fragt sie dann überrascht.
„Ja! Und jetzt lässt uns rein gehen!", funke ich dazwischen, ehe Ryan antworten kann. Mein Vater sieht meine Mutter an, einfach ruhig zu sein. Also bleibt sie stumm. „Viele Dank", sagt Ryan dann leise und läuft zu mir hoch und gemeinsam betreten wir die Wohnung. Sie ist nicht groß. Nichts im Vergleich zu Anton's. Aber sie ist gemütlich eingerichtet. Überall steht eine Pflanze herum und lockert das ganze etwas auf. Meine Mom liebt Pflanzen, besonders Palmen.
Wir zwei gehen in mein Zimmer. „Ich glaub ich hab noch Sachen von dir da." Ich such in meinem Schrank nach Klamotten die einer der Jungs bei mir vergessen hat. Als ich fündig werde, reiche ich ihm die Sachen und entschuldige mich dann. Ich sage ihm ich muss auf's Klo. Stattdessen möchte ich meinen Eltern erklären was passiert ist.

Weil wir Freunde sindWhere stories live. Discover now