Anton

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6:45
Anton

Mein Wecker klingelt. Ich bin wach schon bevor er geklingelt hat. Meine Gedanken haben mich wach gehalten. Die gesamte Nacht.
Erschöpft schlage ich die Bettdecke beiseite und raffen mich auf. Erst ein Bein aus dem Bett, dann das andere.
Danach eine warme Dusche. Und dann sitze ich frisch angezogen am Frühstückstisch.
„Hast du das heute Nacht mitbekommen Schatz?", fragt meine Mom mit einer Pfanne Rührei in der Hand. „War ja kaum zu überhören!",brumme ich. Sie stellt die Pfanne auf ein Brett und setzt sich neben mich. „Schläft May noch?",wechselt sie das Thema. Manchmal bin ich darüber verblüfft, wie schnell sie das Thema wechseln kann. Ich zucke nur mit den Achseln. „Ist nicht mein erster Gedanke morgens, nachzusehen ob May noch schläft!" „Naja, sie müsste eh später Schule haben." Innerlich kann ich nur den Kopf über sie schütteln. Warum fragt sie überhaupt, wenn es doch sowieso egal ist?! „Oder? Warte ich schau mal." Sie steht auf und wirft einen Blick auf May's Stundenplan. „Ja, sie hat zur dritten Stunde!" Ich verdrehe die Augen. Ohne auf sie zu warten schaufle ich mir etwas Rührei auf den Teller. Wirklich Hunger habe ich nicht. Mom setzt sich wieder neben mich. „Ich hab heute Nacht echt gedacht ich steh im Wald!" Auch sie schaufelt sich etwas Rührei auf ihren Teller. „Mitten in der Nacht war das!" Sie schüttelt den Kopf und pickst einen Klumpen Ei auf. „Was denken die sich denn dabei? Mal ehrlich? Ich geh heute mal zu denen und rede mit denen!"
„Mom, ich glaube nicht, dass das noch etwas bringt",versuche ich sie etwas zu beschwichtigen. „Das weiß ich auch! Aber es geht mir doch um's Prinzip! Es gibt schließlich Leute die um diese Zeit schlafen! Ich meine ich muss morgens früh raus!" Ich esse schweigend mein Ei. „Weißt du, wäre es andersrum dann würden die hier den großen Aufstand machen!", sie fuchtelt mit der Gabel in der Luft herum. „Margret hat sich auch schon über die aufgeregt." Ich schiebe den leeren Teller von mir weg. „Oder sehe ich das zu eng, Anton? Kann ja sein, dass es wirklich an mir liegt." „Nein, ich seh das genauso wie du. Aber ich glaube du kannst mit denen so viel reden wie du willst. Die werden weiterhin ihre Feiern veranstalten und auch weiterhin durch die Gegend schreien und auch weiterhin mit ihren Autos durch die Straße heizen!" Ich werfe einen Blick auf die Uhr. 7:20. „Ich muss." Ich stehe auf und nehme meinen Ranzen und verschwinde damit aus der Haustür. Wie kann diese Frau nur so früh am Morgen schon so viel reden?
Schweigend laufe ich die Straße entlang. Ich bin niemand der seine Augen ständig auf sein Handy gerichtet hat. Ich bin jemand der es genießt morgens einfach nur die Umgebung zu beobachten. Leute wahrzunehmen. Gespräche aufzufassen und mir meinen Teil dazu denken. Und den frischen Morgenduft zu genießen.
Wie ausgemacht stehe ich, wie jeden Morgen, um halb acht vor ihrem Haus. Müde lehne ich am Pfosten der Anfang oder Ende des Zaunes ist.
Als ich die Tür aufgehen höre drehe ich meinen Kopf zu ihr. „Morgen." „Morgen", damit stoße ich mich vom Pfosten ab. „Du siehst aus, als hättest du die ganze Nacht nicht geschlafen",meint Ava.
„Hab ich auch nicht." „Wegen der Sache mit Ryan?"
Ich zucke mit den Schultern. „Auch." Sie legt mir eine Hand auf die Schulter. „Und was noch?" Ich sehe zu Boden. „Nicht-nicht so wichtig." „Wenn es dich wach hält scheint es mir aber schon wichtig zu sein." Ich schüttle ihre Hand ab und gehe weiter. „Lass uns zu Ryan gehen." Ava seufzt.
Gemeinsam und schweigend laufen wir zu Ryan. Als wir vor dem Mehrfamilienhaus ankommen fällt mir mal wieder auf in was für einer heruntergekommenden Gegend Ryan lebt. Überall liegt Müll herum und eine halbnackte Frau liegt vor dem Eingang. In ihrer Hand hält sie eine Flasche. Alles an ihr schreit förmlich: ich bin eine Prostituierte. Ohne es gemerkt zu haben bin ich etwas näher zu Ava getreten. Schon als wir klein waren haben wir zwei uns kaum alleine her getraut. Was vielleicht auch daran lag, dass unsere Eltern uns nicht gelassen haben. Zu zweit geben wir uns Sicherheit. Ava ist klein und zierlich. Wenn wir gemeinsam hier warten habe ich das Bedürfnis sie zu beschützen. Wie es ein großer Bruder machen würde.
Ava hat keine Geschwister, so wie Ryan und ich. Ryan hat zwei kleine Brüder. Tilo und Elias. Tilo ist zwei und Elias fünf. Ryan's Mutter war achtzehn als sie Ryan zur Welt brachte. Also fast so alt wie Ryan jetzt ist. May, meine Schwester, ist achtzehn. Sie ist zwei Jahre älter als ich. Und sie ist noch immer nicht aus der Pubertät raus. So eine Zicke.
Als Ryan rauskommt sieht er schlecht aus. Das sehe ich sofort. Geschickt klettert er über die Prostituierte rüber und kommt auf uns zu.
„Moin." „Morgen." Ich nicke ihm nur stumm zu. Er gefällt mir nicht. In letzter Zeit scheint es ihm immer schlechter zu gehen. „Wartet ihr schon lang?",fragt er. „Nein, höchstens fünf Minuten."
Er nickt:„ Wollen wir?" Zu dritt machen wir uns auf den Weg zur Bushaltestelle. Wir schweigen. Es kommt in letzter Zeit öfter vor. In der Ferne erahnt man bereits die Bushaltestelle. Mit uns stehen meistens nur zwei andere Kinder dort. Ich meine sie heißen Ann und Flynn.
„Alles gut?",höre ich Ava Ryan leise fragen. Ich tue so, als hätte ich sie nicht gehört. Aber ich spüre wie sie sich etwas von mir entfernen. „Alles bestens",höre ich Ryan flüstern. Lüge! „Ryan! Ich weiß, dass es dir nicht gut geht." „Wieso fragst du dann?" Ava seufzt leise. „Hast du denn was von ihm gehört?" Einen Moment ist es still. Ich überlege kurz, ob ich etwas sagen soll, so als habe ich das Ganze nicht mitbekommen und einfach etwas sage, aber etwas hält mich davon ab. Ich will hören, was Ryan sagt. „Nein!",sagt er dann laut. Ich spüre, wie Ava mich ansieht. Aber ich bleibe einfach still. Mache das was ich am besten kann. Schweigen, zuhören.
„Du weißt, dass du mit mir reden kannst, Ryan." „Ich brauche aber niemanden zum Reden!",faucht er und legt dann einen Zahn zu und läuft vor. Verwundert sehe ich ihm nach. Mir war bewusst, dass ihn das Ganze mit nimmt. Aber so sehr? Er hat noch nie einen von uns beiden so zurückgewiesen wie jetzt gerade. Er schließt uns aus. Will es für sich selbst klären. „Er wird daran kaputt gehen!",sagt Ava neben mir. Zustimmend nicke ich.

Weil wir Freunde sindWhere stories live. Discover now