EINUNDZWANZIG

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Freitag
16.06.2017

Julian sah mich mit einem ungläubigen Blick an, ließ sich fassungslos aufs Sofa fallen und fuhr sich schockiert durch seine etwas  längeren blonden Haare.

"Sag mir bitte, dass du mich anlügst."

Seine Haut war ganz blass. Er wirkte zerstört. Dabei hatte er keinen Grund dazu. Meine Erzählung handelte weder von ihm noch von etwas was ihn betraf. Es war schließlich mein Liebesleben. Da gab es keinen Platz für ihn.

Alles von dem ich sprach handelte über Carlo und den Fall seiner Maske, der nie kommen würde.

Vieles wusste ich zwar nicht, im Gegensatz zu den meisten war ich wirklich unwissend oder kurz gesagt dumm, diese kleine Nichtichkeit allerdings wusste ich. Warum sollte er es denn tun?

"Er wird es ja sowieso nicht tun."

Ich stand direkt vor ihm, sah ihm zu wie er seinen Kopf in den Händen vergrub und ihn leicht schüttelte. Er wirkte echt verzweifelt und das obwohl ich diese Sache nur im Vorbeilaufen erwähnt hatte. Wenn ich gewusst hätte, dass es zu einer solchen Konversation kommen würde, ich wäre still geblieben. 

Gesprächig war ich sowieso nie.

Ich meine, wer hat den schon Lust die ganze Zeit jemanden zuzuhören, der von der Liebe spricht, als wäre sie das schönste auf der Welt, während man selbst daran untergeht.

"Lina, was hast du getan? Du weißt ja nicht einmal was in dieser Nacht passiert ist. Wie kann man nur so dumm sein?"

Ich runzelte meine Stirn und zog eine Augenbraue hoch. Nach seinen Angaben war er nur gegangen, weil ihn Carlo wirklich darum gebeten hatte. Er meinte, er wäre völlig am Ende, wegen dieses Meetings gewesen, obwohl ich das nicht verstanden hatte, denn es kamen ja nur zwei seiner Geschwister. Julian hatte bis dahin aber darauf gesetzt, wiederholte diese Begründung sogar ein paar mal. 

Diese Version kannte ich, dass was jetzt folgte war mir vollkommen fremd.

Ich dachte er würde ehrlich zu mir sein. Er war mein Bruder.

Ich hasste Lügen. Ich hasste sie immer mehr.

"Du hast 3 Minuten Zeit, um mir die Wahrheit zu sagen."

Verunsichert ließ ich mich neben ihn nieder, versteckte diese hinter einem Schleier Wut. Was hatte er mir verschwiegen? War es wirklich genug, um Carlo dazu zu bringen, seine Maske abzulegen?

Stumm saß ich da. Tat nichts was ich später bereuen hätte können. Im Moment hatte ich zu viele falsche Entscheidungen getroffen. Ich wollte nur da sitzen und warten, bis man mir erklärt hatte, was ich schon wieder vermasselt hatte.

"Ich kenne Carlo schon eine halbe Ewigkeit. Das habe ich dir nie gesagt, weil ich eben weiß, wie er mit Frauen umgeht."

Er spricht von einer rosigen Zukunft und lässt einen dann links liegen. Ich wusste es jetzt auch. Hätte er es mir gesagt, ich hätte ihn nie angesprochen. Aber schön zu wissen, dass es jeder besser weiß, als man selbst.

"Wenn man von umgehen reden kann, deshalb war ich zuerst auch sauer, als ich von euch erfuhr."

Von uns? Es gab nie ein uns. Nur ein Er und ein Mich.

Aber ich verstand ihn. Das hatte ich schon, als Carlo mir dieses Blatt hinterlassen hatte. Ab da war ich sauer auf mich selbst, dass ich Julian nicht geglaubt hatte. Ich hätte mir weitere Tage voller Demut ersparen können. Ich hätte...

"Aber als wir dann die ganze Nacht über dich sprachen."

Ich hatte recht. Es ging um mich.

"Habe ich gemerkt, wie sehr er dich wirklich mag. Und versteh mich bitte nicht falsch , denn er hat es mir nicht gesagt, ich habe es herausgefunden."

Das hieß, er hatte keine Ahnung, ob er mich jetzt echt mochte. Carlo hatte irgendwas gesagt und Julian hatte es falsch gedeutet. Ende. Die Maske wird nicht fallen.

"Als ich ihn darauf ansprach, konnte er aber auch nicht leugnen, dich nicht mehr als nur zu mögen."

Mein Herz blieb stehen. Mein Mund stand offen, ich war sprachlos. Konnte das Carlo überhaupt? Ich meine jemanden mögen. Er hatte mir gesagt, er habe damit aufgehört.

"Und wenn man Carlo Jahrelang zugeschaut hat, wie er die Frauen anlügt, damit sie mit einem mitkommen und weiß was für ein guter Lügner er doch ist, dann weiß man auch, dass es selten ist, dass er es nicht schafft, seine Gefühle zu verbergen."

Wenn man ihn so kannte wie ich, reichte es vollkommen aus. Ich wusste es, aber nicht das er mich mochte. Seine Maske würde er deshalb allerdings noch nicht fallen lassen. Ich war eine von vielen, nur die kleine unreife Paulina.

"Wir haben also ganz normal geredet, bis ich ihm meine Vermutung sagte und er es nicht schaffte, es zu leugnen."

Mit jedem weiterem Wort wurde mir der Umfang des ganzen bewusst, was ich gesagt hatte und warum ich vielleicht an allem Schuld war.

"So weit waren wir schon."

Er sollte auf den Punkt kommen. Ich wollte alles wissen.

"Jedenfalls fragte ich wie ernst er es meint und er erklärte mir, dass er keinen Plan hat. Er liebt dich zwar, aber hat immer noch Angst. Darum ist er auch abgehauen​, er hat Angst.",

Es war das erste Mal, dass er das Wort 'lieben' benutzte. Hatte auch Carlo es erst dort in den Mund genommen? Ich hatte ja selbst auch Angst. Ich hatte vor so vielem Angst. Vor allem vor diesen Worten, vor diesem Wort.

"Er hat gesagt... er liebt mich?"

Sein Nicken stahl mir meine Luft. Konnte das die Wahrheit sein? Was bedeutete das für Carlos Zukunft? Unkontrolliert fing ich plötzlich an zu zittern. Wäre er wirklich so dumm sein jetziges Leben für mich aufzugeben? Starr sah ich auf den Boden. Ich kannte diese Person nicht. Würde er für eine fremde Person seine Anonymität aufgeben?

Mein Augen suchten Julian seine, fanden sie allerdings nicht. Er war nicht mehr hier. Saß ich denn lange alleine auf dem Sofa?

Langsam stand ich auf und lief in die Küche, um dort nach ihm zu sehen. Wenn ihn etwas beschäftigte, machte er sich immer einen Kaffee. Nur heute war niemand hier.

"Julian!", schrie ich und hörte später seine Schritte von oben zu mir her kommen. Plötzlich waren seine Augen wieder vor meinen.

"Würde Carlo wirklich seine Maske fallen lassen?"


wunderschöne Lügengeschichten (Cro Ff)Where stories live. Discover now