ACHT

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Freitag
26.05.2017

Ich fühlte mich als wäre ich obdachlos wie ein Penner in der groß Stadt.
Jeden Tag suchte ich mir einen neuen Platz, wo ich schlafen konnte. Nur damit ich meiner besten Freundin nicht über den weg lief. Ein Zuhause hatte ich somit nicht mehr, weil sie dort war.
Momentan konnte ich ihr einfach nicht unter die Augen treten. Egal wie sehr ich es wollte. Nachdem ich sie zur Schnecke gemacht hatte und jedes einzelne Wort auch genau so meinte, fühlte ich mich befreiter, selbst mit den Schuldgefühlen, die mich plagten. Das durfte ich nicht zerstören. Endlich hatte ich ein wenig Ballast verloren. Außerdem hatte Kathy sich auch noch nicht gemeldet. Deshalb entfernte ich mich von ihr. Wir beide brauchten diesen Abstand.

Dabei war es meistens Carlo bei dem ich unterkam. Zumindest die letzten vier Tage verbrachte ich bei ihm. Der erste Eindruck von seinem Haus war unfassbar. Es war riesig, wunderschön, atemberaubend und hatte bestimmt ein kleines Vermögen gekostet. Seine Reaktion hingegen war noch viel unglaublicher. Ich dachte er würde prallen oder total arrogant wirken, nachdem ich das Haus von weiten gesehen hatte,  doch selbst er schien das alles noch nicht zu glauben. Das machte ihn um so vieles sympathischer. Ließ mein Herz ein wenig schneller schlagen.

Nun saß ich auf seiner Couch und versteckte mich hinter seinem Pullover, den er mir gegeben hatte. Am ersten Tag hatte er mir noch ein T-Shirt gereicht, bis er bemerkte, dass ich zitterte. Desto trotz trug ich es darunter, weil es nach ihm roch.

"Tag Numero quatre", ließ er mich lachend wissen und ließ neben mich aufs Sofa fallen. Er schlang seinen Arm um mich und drückte mich zu sich her und einen Kuss auf den Ansatz meiner Haare. Das tat er jeden Morgen und ich hätte mich wirklich daran gewöhnen können.

Auf eine Weise, die ich nicht verstehen konnte, gab er mir das Gefühl erwünscht zu sein und gleichzeitig fühlte ich mich hier nicht willkommen. Was an der Größe der Räume hätte liegen können und der Einsamkeit, dich ich damit verband. Auch wenn ich sonst oft in meiner Wohnung alleine war, so war hier, wenn Carlo arbeitete, viel zu viel Platz nur für mich alleine übrig. Ich fühlte mich bei all dem Platz eingeengt.

"Tut mir leid, aber ich kann noch nicht zu Kathy."

Sein Lachen wurde lauter und leicht wuschelte er mir durch meine Haare.

"Jeder weiß doch, dass ein Bumerang immer wieder zurück kommt."

Ein kleines Schmunzel zog sich über mein Gesicht. Jeden Tag ließ er mich vor meiner Wohnungstür stehen. Betreten tat ich dennoch nur Carlos Haus. Böse war er mir zwar nicht, glücklich gerade auch nicht, dennoch half er mir mich selbst wiederzufinden.

Zusammen hatten wir ein Bild gemalt. Er hatte mir seine Techniken gezeigt und seine kleinen Kunstwerke, die mir den Atem raubten. Er verstand sein Handwerk und ließ mich es besser verstehen. Mit ihm lernte ich mehr, als sonst irgendwo anders auf der Welt. Er gab mir eine Menge möglichkeiten, die ich nie gesehen hatte.

-

Seine Hände lagen auf meiner Taille und zusammen betrachteten wir unser gemeinsames Kunstwerk. Es sah nicht aus wie das von gestern oder vorgestern. Es hatte so vieles an sich. So viel leben, so viel Leidenschaft, so viel Verzweiflung. Daneben lag mein Skateboard, welches auch nicht verschont geblieben war. Seine Lippen legte er an meinen Hals und küsste mich sanft.

"Wir sind Künstler", murmelte er und ich nickte. Wir waren mehr als das. Wir waren unsterblich, unendlich.  Über meinen ganzen Körper zog sich eine Gänsehaut. Seine Küsse wurden immer sanfter und verschwanden schließlich ganz. Dabei störten sie mich ganz und gar nicht. Seine Nähe war befreiend.

Whippin lief ihm Radio. Er drehte mich zu sich um, kam näher an mich heran und tanzte. Unsere kleine Hausparty begann und ich fühlte mich lebendig.

Leise sang Carlo zu dem Song und nach einiger Zeit stimmte ich mit ein. Die Lieder wechselten, sie wurden schneller, wir tanzten weiter auseinander und kamen uns irgendwann wieder ganz nah. Der Geruch von Alkohol wurde immer Stärker, der Aschenbecher jedoch stank heute ausnahmsweise nicht nach Rauch. Dafür hatte er keine Zeit gehabt. Zu viel Arbeit musste vom ihm bewältigt werden. Seine Lippen kamen meinen immer näher. Meine Augen wurden groß. Es kam mir vor wie unser erster Kuss. Zumindest fühlte er sich danach an. Alles in mir spannte sich an und entspannte sich urplötzlich. Wir lösten und fingen an zu lachen. Daraufhin tanzten wir weiter.

Seine raue Stimme ließ die Musik kurz verstummen. "Du kannst auch ein Kunstwerk sein."

Laut lachte ich los.

"Nein, wirklich. Werde ein Model. Werde selbst das Kunstwerk."

Ich biss mir auf die Lippe.

"Und von wem?"

Seine Hand war auf meiner Wange. Wir blieben stehen. Der Tanz war vorbei.

"Von mir."

Von seinem Vorschlag war ich wenig angetan und trotzdem wollte ich wissen was Carlo mit mir vorhatte. Dieses Angebot war unschlagbar. So durfte ich heute nicht nur Kunstwerke erschaffen, sondern auch zu einem werden. 

Ich zog mich bis auf die Unterwäsche aus und stellte mich vor ein leeres weißes Blatt hin. Es war mein Hintergrund. Seine Augen musterten mich. Die ersten Fotos wurden geschossen. Meine Posen durften alles sein außer gewöhnlich. Es sollte alles anders sein genauso wie er es war. Nach mehreren Fotos reichte er mir andere Unterwäsche. Verwundert betrachtete ich sie.  Sah das Logo an und erkannte eine außergewöhnliche Marke. Mein Mund stand offen, konnte das wahr sein? Carlo zog meinem Kopf zu sich hoch.

"Sei mein Model für VioVio."

Mehr als ein 'okey' brachte ich nicht hervor und verschwand um mich umzuziehen. Ich hatte so vieles von der Marke gehört, hätte aber nie für möglich gehalten, dass Carlo verantwortlich dafür war. Das ihm diese Firma gehörte.

Es folgten weitere Fotos und dann ging er plötzlich nach hinten. Er holte zwei Eimer mit Farben. Einer war schwarz der andere rot.

"Bekommen ich jetzt einen Hintergrund?", fragte ich grinsend den Blick auf die weiße Wand gerichtet.

Carlo, der sich wegen der Hitze Oberkörperfrei bewegte, verneinte.
Mit dem Pinsel trat er mir näher und fing an auf mich zu malen. Die zweite Farbe stand einfach nur so da und ich beschloss Farbe in sein Leben zu bringen. Die Klamotten wurden dreckig und wir waren plötzlich unsere eigenen Kunstwerke, so wie er es mir versprochen hatte.
Während wie malten schoss seine Spiegelreflexkamera die ganze Zeit Fotos. Es waren ausschließlich Erinnerungen für uns. Die restlichen Fotos schoss er anschließend. Er tat es mit Leidenschaft.
Ansehen durfte ich keines von ihnen. Das einzige was ich von ihm bekam war eine Umarmung und das Kommentar, dass sie perfekt sind.

Und urplötzlich stand vor mir ein Carlo, der nicht nur Musik machte, sondern auch Designer war und ich war eines seiner Models.

wunderschöne Lügengeschichten (Cro Ff)Where stories live. Discover now