VIER

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Freitag

19.05.2017

Viele Menschen saßen da, sie saßen überall um mich herum und hörten einer einzigen Person, die mitten im Raum stand, zu. Alle hier schrieben auf einen Block oder per Computer das wichtigste über ein Thema mit, welches mich auch einmal fasziniert hatte. Welches mich so gefesselt hatte, über das ich Stunden hätte reden können und mit dem Thema, mit dem ich mein Leben verbringen wollte.

Dann jedoch hatte der Dozent angefangen zu reden und ich? Ich hatte mich nur gefragt, was das alles mit Kunst zu tun hatte. Es schien mir so skurril. Denn für mich war Kunst eine Leidenschaft für den Mann dort vorne anscheinend jedoch nur Theorie und neutrale Fakten, eben nur ein Job. Seine eigene Meinung blieb aus der ganzen Sache heraus und dass schon seit ich hier her gekommen war. Alles was ich hier tat, war es mich zu langweilen. War das der Sinn der Sache? Wozu war ich denn hier her gekommen? Wo blieb die Leidenschaft zwischen dem auswendig gelerntem Wissen? Wenn der Sinn ja sowieso fehlte, warum war ich denn hier?

Naja, ich hatte keine Ahnung wo ich hingehen hätte sollen. Denn ich hatte vergessen was ich hier wollte. Darum blieb ich einfach sitzen. Es war ein Fehler, das wusste ich. Das System hatte mich aber schon so in der Hand, dass mir es nicht auffiel. Nur manchmal bemerkte ich es. Es waren Momente wie diese.

Schon seit Minuten hatte ich aufgehört aufzupassen und sah starr geradeaus. Das hier war eben nicht das richtige für mich, aber was war denn überhaupt richtig? Schon so lange suchte ich nach dem Richtigen, fand allerdings nichts. Nichts außer einer bitteren Enttäuschung, die mich noch mehr in die heutige Gesellschaft zwang.

Leicht beugte ich mich über mein Blatt und fing an kleine Strichmännchen zu zeichnen. Nichts mehr als einfache Striche. Können tat ich es besser, aber ich tat es nicht. Denn ich tat es nur, dass die Langeweile ein wenig verschwand. Damit ich nicht das gleiche wie die anderen tat. Darunter schrieb ich einen einzelnen Satz, den ich lange einfach nur anstarrte. Die Zeit verging, der Dozent verstummte und ich sah nur auf mein fast schon leeres Blatt.

"Geben wir liebe unsere Freiheit auf?"

Zum ersten Mal seit gefühlten Stunden wendete ich meinen Kopf hoch. Sah ein monotones braun vor meinen Augen und bemerkte wie leer es hier geworden war. Nur wenige Studenten packten ihre Sachen zusammen. Die einzige, die saß, war ich.

"Warum bist du hier?"

Was sollte ich hier denn schon tun.

"Sieht man das nicht? Ich lerne."

Es war der 19. Mai. Erst ein Tag nachdem wir diese Wette abgeschlossen hatten und er stand schon hier. Zeit wollte er anscheinend nicht verlieren, aber ich brauchte ihn gerade nicht, sondern seine Zeit. Ich benötigte so viel von ihr.

Ich wollte aufstehen und gehen da setzte er sich neben mich hin und zog mich wieder auf den Stuhl zurück. Dieser Raum war der Horror für mich und er ließ mich nicht gehen.

"Aber was machst du wirklich hier?"

Er hielt meine Hand fest und sah mich besorgt an. Hilfesuchend starrte ich ihm entgegen und dachte kurz wirklich, er würde es ernst meinen und Interesse an meinem Leben haben. Dann allerdings kam mir in den Sinn, dass er so nicht war, es ging ihm nur ums Geld.

Aus Reflex zog ich meine Hand zurück, brach den Blickkontakt ab und rutschte auf meinen Stuhl nach links. Augenblicklich wurde seine Haltung gelassener. Es ging ihm nie um mich. Die Luft kam in meine Lunge zurück.

"Lass dir etwas Besseres einfallen, Waibel", sagte ich versucht gelassen und trotzdem war ich dafür viel zu angespannt. Sobald er mir näher kam wurde ich ganz kribbelig, mein Atem fehlte und ich wollte nunmehr verschwinden. Er hatte das an sich, diese Art, die einen verrückt machte.

"Ne wirklich, was machst du hier?"

Seine Stimmlage wurde härter und unfreundlicher, während er mit der Hand auf das Blatt zeigte. Ich legte meinen Kopf leicht schräg. Die Realität war nur einen Windhauch von dem Spiel entfernt und meine Antwort lag irgendwo am Nordpol versteckt.

"Kei... keine Ahnung. Zeit verschwenden?"

Ein betrübtes Lächeln schmückte mein Gesicht. Er schüttelte seinen Kopf, nahm das Blatt zu sich hinüber und fing an etwas zu zeichnen. Stumm saß ich da und versuchte irgendetwas zu erkennen, allerdings verdeckte er alles so gut es eben ging und führte plötzlich das Gespräch weiter.

"Du magst Kunst?"

Nachzudenken war bei dieser Frage Zeitverschwendung,

"Ja, ich liebe sie."

Er legte den Stift beiseite. Skeptisch sah er mich an, beinahe ein wenig böse auf meine Worte und legte dem Block vor mich hin. Böse wollte er ganz bestimmt nicht wirken, er war nicht sauer auf mich, doch er wollte, dass ich den richtigen Weg ging, dachte ich zumindest.

Meine Augen klebten auf den Blatt. Um meine Strichmännchen war ein Ort aufgetaucht. Er war perfekt. Auf einmal hatten sie alle eine Persönlichkeit. Der eine trug eine Cap, der nächste hatte einen Joint in der Hand und der letzte war auf einmal weiblich.

Seine raue Stimme erfüllte den nun ganz leeren Raum.

"Wenn du Kunst machen willst, dann mach Kunst."

Mein Hals war trocken. Wenn das so leicht gewesen wäre. Ich hätte alles hingeworfen, aber dann wäre das nächste Problem aufgetaucht. Zurzeit war alles gut. Wieso das aufgeben? Ich hätte sie nur enttäuscht, meine ganze Familie. Darum ging es, sie zählten auf mich.

"Das bringt mich nicht weiter. Sie zählen alle auf mich..."

"Hören sie dir denn überhaupt zu? Jeder der dich hier drinnen schon mal gesehen hat, hätte merken müssen, dass du hier nicht glücklich bist. Ich meine, ich habe es gesehen und wir kennen uns nicht mal."

Unbeabsichtigt rammte ich meine Fingernägel in meine Haut. Diese Sätze schmerzten, denn sie waren Wahr.

"Geben wir unsere Freiheit auf oder nur du deine?"'

Je mehr er sprach, desto mehr bemerkte man, dass er darüber schon mehr Mals gesprochen hatte. Anscheinend allerdings noch nie was erreicht. Davon hielt ich nichts. Für ihn warf ich nichts hin. Das hier war nur eine dämliche Wette.

"Bist du auch wegen des Kurses hier?"

Er verneinte. Er wollte nur gewinnen. Ich auch.

"Von wo wusstest du, dass ich hier bin?"

Carlo zuckte mit seinen Schultern. Seine Grübchen erschienen und sein Kopf blieb kurz vor meinem stehen.

"Schicksal, Darling das ist Schicksal."

Und unser Schicksal hatte brünette Harre und gerade erst Geburtstag gefeiert. Dabei hatte ich Kathy absichtlich nichts von ihm gesagt.

"Aber du lenkst ab. Baby, denk mal drüber nach. Folge deinem Traum, er wird nicht zu dir kommen"

"Als du kamst, war das also die Ausnahme."

Mitspielen war angesagt, auch wenn dieser Versuch kläglich scheiterte.

"Flirten geht anders, Girl."

Und der Zentimeter zwischen uns verschwand.

wunderschöne Lügengeschichten (Cro Ff)Where stories live. Discover now