„Was? Du verschweigst mir schon wieder etwas?"

Karosh machte ein zerknirschtes Gesicht.

„Er ist nicht nur der hiesige Thronfolger, auch im Süden! Und er hat seinen hiesigen Platz schon an Katur abgetreten!"

Tulutt sprang auf.

„Er hat was? Was soll das bedeuten?"

Karosh zog ihn wieder auf seinen Sessel.

„Sei ruhig, kleiner Bruder! Du weckst die Frauen auf! Ich denke, er wird Großkönig im Süden werden. Meine Spione haben mir berichtet, dass dieser Kerl, Sumek, sein Land nicht gut führt. Das Volk sehnt sich nach Makuc. Makuc ist aber noch nicht bereit dazu, sich seiner Verantwortung zu stellen. Er galt immer als der Zweitgeborene. Deswegen macht er sich keine Gedanken darum, dass er eingreifen sollte und muss!"

Tulutt dachte eine Weile nach. Dann lächelte er.

„Karosh! Die beiden wären das Bindeglied zwischen dem Norden und dem Süden! Es würde allen um einiges besser gehen, wenn Makuc wirklich seinen Platz einnehmen würde!"

Karosh sah seinen Bruder erstaunt an.

„Dann hast du nichts mehr gegen ihn als Schwiegersohn?"

Tulutt schnaubte.

„Oh, ich bestehe sogar darauf, dass er Neva zur Gemahlin nimmt! Es gibt Sachen, vor denen kann er sich nicht drücken. Er hat sie genommen und muss nun die Ehre wieder herstellen!"

Er stand auf und streckte sich gemächlich.

„Aber eines sage ich dir! Einfach werde ich es ihm nicht machen!"

Sein Grinsen ließ Karosh dröhnend auflachen! Nein, daran zweifelte nicht einmal Karosh!



Meridea, nein, Neva konnte es immer noch nicht glauben.

Sie hatte keinerlei Erinnerungen gehabt und dann sah sie die zwei Männer vor sich und all ihre Erinnerungen brachen über sie ein wie eine Flutwelle!

Sie erinnerte sich wieder an alles!

Ihre schöne Kindheit im Palast ihrer Eltern, der dem des Großkönigs so glich.

Sie erinnerte sich an ihre Eltern: Tulutt und Livia.

Ihr Vater, der immer schon groß, stattlich und auch streng gewesen war. Aber er hatte sie immer liebevoll behandelt und es verging nie ein Tag, an dem er seinen Kindern nicht sagte, dass er sie liebte.

Ihre Mutter, wunderschön und gütig, aber auch gewitzt und immer ein Lächeln auf den Lippen.

Sie erinnerte sich, wie ihre Eltern miteinander umgegangen waren und sie sich sehnlichst einen Mann gewünscht hatte, mit dem sie auch so eine Beziehung führen konnte.

Sie erinnerte sich an ihre zwei Brüder.

Nevo, der nur einige Minuten älter als sie war. Er glich Vater am meisten. Das war zumindest so gewesen, bevor sie entführt worden war. Jetzt war er ein Schatten seiner selbst. Aber ihr Vater hatte ihr versichert, dass es jetzt schon um einiges besser ging, seit er sie wieder gesehen hatte.

Und natürlich Notuk, ihr jüngster Bruder. Er war der Schelm in der Familie, aber alle hatten ihm immer seine Streiche verziehen.

Bis zu dem einen Tag, an dem das Unglück über die Familie eingebrochen war.

Neva! Er hat es nicht so gemeint!"

Nevo rannte hinter ihr her, als sie weinend zu der Lichtung im Wald lief, zu der sie immer flüchtete, wenn sie alleine sein wollte.

Meridea - Dienerin der Dunkelheit Where stories live. Discover now