Kapitel 1

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Freitag Vormittag. Joseph und Rita saßen am Frühstückstisch. Er blätterte in der Zeitung, während sie genüsslich ihr Laugencroissant aß. Das Wetter draußen war trist. Die Wolken hatten den ganzen Tag lang noch kein Fleckchen Himmel freigegeben und der Regen trommelte ununterbrochen gegen das Küchenfenster. Insgesamt passte das Wetter zur Stimmung im Raum und vor allem zu Josephs Gemütslage. Es war jetzt schon 3 Wochen her, dass sie seinen Vater beerdigt hatten. Verkraftet hatte er es bislang dennoch nicht. Er hatte sich diese Woche Urlaub genommen, weil er es nicht mehr ausgehalten hatte, Tag für Tag im elterlichen Betrieb zu arbeiten. Plötzlich war er der Chef und hatte die Verantwortung für alles. Zwar hatte sein Vater versucht, ihm alles Notwendige beizubringen, was man für den Posten des Firmenchefs brauchte, allerdings fühlte er sich unsicher bei dem, was er tat, wenn sein Vater es nicht kurz absegnete und das übliche "Du wirst immer besser, mein Sohn" anschloss, während er ihm liebevoll mit der Hand über den Hinterkopf streichelte. Er hatte stets so getan, als wäre Joseph ein kleines Kind, das gerade seine ersten Schritte machte.
Etwas albern, würden Außenstehende vielleicht denken, aber Joseph hatte es trotzdem immer genossen.

Joseph riss es aus seinen Gedanken, als er auf seine Finger schaute, die unwillkürlich gegen die Tischkante trommelten. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er damit angefangen hatte; so sehr war er in seine Gedanken vertieft.
Jetzt, da er seine Finger so betrachtete, atmete er schwer aus. Er erinnerte sich daran, wie er sich als Kind immer gefragt hatte, weshalb sein Vater solch raue Hände hatte. Heute sahen Josephs eigene Hände kein Stückchen besser aus. Völlig ausgetrocknet und rau von der ganzen Arbeit.

Dabei war er kein guter Handwerker; das wusste er. Insgeheim hatte Joseph sich wohl auch immer zu Höherem berufen gefühlt; hatte sein Abitur gemacht und wäre nur zu gerne studieren gegangen. Doch der elterliche Betrieb lief damals nicht gut. Das war genau zu der Zeit, als sein Vater sich bei Heimwerker-Arbeiten in den Arm gebohrt hatte und verschiedene Nerven getroffen hatte. Joseph hatte damals für ihn einspringen müssen und schon damals gegen seinen Willen die Rolle des Junior-Chefs übernommen. Doch seit jeher hatte sich das Verhältnis zwischen ihm und seinem Vater stetig verbessert und Joseph hatte die Arbeit des Fliesenlegers von Tag zu Tag mehr Freude bereitet. Doch jetzt war sein Vater tot. Und mit ihm auch der einzige Anreiz, seinen Job mit Vergnügen auszuüben.

Joseph würde es dennoch weiterhin machen. Sein Vater hätte es so gewollt. Er wäre stolz, wenn er sehen könnte, dass aus Joseph ein guter Chef werden würde.
Ja, er machte die Arbeit weiter. So viel stand fest.

Aber nicht heute, heute musste er mal einfach nur für einen Tag seine Ruhe haben.

***

Auch Rita, die Joseph schweigend gegenübersaß, wusste, wie hart der Verlust seines Vaters für ihren Verlobten sein musste. Die Familie hatte bei ihm immer schon an erster Stelle gestanden. Zu Beginn ihrer Beziehung hatte Rita die Tatsache, dass Joseph immer zuerst mit seinen Eltern sprach, bevor er ihr seine Sorgen anvertrauen konnte, für mangelndes Vertrauen ihr gegenüber gehalten. Recht schnell hatte sie dann jedoch begriffen, dass er einfach ein ungewöhnlich gutes Verhältnis zu seinen Eltern pflegte. Und irgendwie hatte sie genau das an der Familie Heimbeck zu schätzen gelernt. Sie genoss die Spiel-Abende, die gemeinsamen Familienfeiern oder manchmal auch einfach nur die Tasse Kaffee mit ihrer Schwiegermutter, zu der diese sie immer eingeladen hatte, wenn die Männer zu einer Baustelle mussten, die weiter entfernt war, und mehrere Nächte von Zuhause fortblieben.

Leider war die ungewöhnliche Nähe zu seinen Eltern jetzt Josephs größtes Problem. Schon vor zwei Jahren, als seine Mutter überraschend gestorben war, hatte Rita ewig gebraucht, ihm über den Verlust hinweg zu helfen. Doch damals gab es noch seinen Vater, - Johann Heimbeck - der ihr und vor allem seinem Sohn Joseph geholfen hatte.

Wie lange wird er wohl dieses Mal brauchen? Jetzt, wo keiner von beiden mehr da ist?

Diese Frage hatte sich Rita in den vergangenen Wochen tausende Male gestellt. Es war kaum zu ertragen, wenn er sich so verhielt wie er es jetzt tat. Er ließ niemanden an sich heran. Rita gab ihr Bestes, um seinen Kummer irgendwie zu lindern, aber ohne Erfolg. Er hatte ihr nur gesagt, dass er einfach ein paar Tage Ruhe bräuchte. Aus diesen Tagen waren jetzt Wochen geworden und Rita schwieg schon rein intuitiv.

So wie jetzt beim Frühstück. Sie strich etwas Butter an ihrem Croissant ab und biss ein Stückchen ab. Nichts war zu hören, außer dem Ticken der Uhr.

Tick Tack, Tick Tack.

Eine unerträgliche Stille. So empfand Rita sie zumindest. Doch wenn es die einzige Möglichkeit war, Joseph zu helfen, dann schwieg sie. Sie schwieg.

Zwischen alten Decken Where stories live. Discover now