Kapitel 37.

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Mit einem traurigen Lächeln sah ich meinem Dad dabei zu, wie er Grandma die Hand tätschelte. Ihr weißes Haar war wegen der Chemo vollkommen ausgefallen. All diese Untersuchungen und Behandlungen und nichts brachten. Ich ballte die Hände zu Fäusten und warf einen Blick auf meinen Großvater, wie er schlafend auf einem Sessel saß. Melanie legte gerade eine Decke über ihn. Grandma sollte eigentlich im Krankenhaus sein, aber Grandpa und meine Eltern hatten dafür gesorgt, dass ihr Wunsch zuhause sein zu können in Erfüllung gehen konnte. Zwei Mal am Tag kam eine Krankenschwester vorbei und sah nach dem Rechten.

"Wie geht es dir, mein Schatz?" Ich spürte wie meine Mum von hinten ihre Hände auf meine Schultern legte und sanft zu drückte. Ich ließ meine Arme, die ich vor meiner Brust verschrenkt hatte, an den Seiten meines Körpers schlaff hinunter hängen und drehte mich zu ihr um.

"Mir geht es gut." sagte ich und versuchte ehrlich zu klingen.

"Du und ich, wir beide wissen, dass das eine Lüge ist." entgegnete sie leise und streichelte über meinen Oberarm.

"Warum fragst du mich dann wie es mir geht?" Ich wollte nicht zu zickig klingen, nicht so sein, wie ich mich die letzten Tage verhielt, aber ich konnte es nicht ändern. Ich hatte extreme Stimmungsschwankungen und ließ sie meist an meinen Eltern oder sogar Emilia aus. Die einzigen Personen, denen ich mit zumindest ein wenig Freundlichkeit entgegen trat waren meine Schwester und meine Großeltern. Während Melanie vergeblich versuchte sauer auf unsere Großmutter zu sein, weil sie von uns ging, verbrachte ich meine Zeit damit still vor mich hin zu trauern und so gut wie jeden anzumeckern.

"Emilia hat mich angerufen, weil sie sich Sorgen um dich macht, Schätzchen. Ich weiß, dass du Kontakt mit ihr meidest." Der besorgte Blick meiner Mutter ließ mich wütend werden. Emilias Verhalten ließ mich wütend werden.

"Woher hat sie überhaupt deine Nummer?" Ich presste die Kiefer aufeinander und sah sie zornig an.

"Ich hab sie ihr mal gegeben. Für den Fall, dass sie irgendwas braucht oder dass etwas mit dir sein sollte." antwortete Mum in einem ruhigen Ton und zog mich langsam aus dem Schlafzimmer meiner Großeltern. Ich begann im Flur auf und ab zu laufen. "Du solltest sie nicht von dir stoßen. Vor zwei Wochen warst du noch glücklich mit ihr. Ich hab gesehen, wie ihr Abschied von einander genommen habt und du mir kurz darauf erzählt hast, dass ihr zusammen ziehen wollt, auch wenn ich das für ein wenig voreilig halte. Und kaum eine paar Tage später beginnst du jeden zu beschimpfen." Ich blieb mit den Rücken zu ihr gekehrt stehen. Sie hatte Recht, aber ich konnte und wollte es nicht ändern. "Emilia sorgt sich um dich. Wir sorgen uns alle um dich und glaube mir Grandma hilft es nicht, wenn du dich so erhälst." Wie als wüsste meine Mum welche Reaktion ihre Worte in mir auslösen würden schloss sie die Tür hinter sich und machte einige Schritte auf mich zu. Ich drehte mich mit malmenden Kiefern zu ihr um und sah sie mit so viel Zorn und Hass in den Augen an, wie noch nie zuvor.

"Ihr hilft nichts mehr! Ich werde sie verlieren, wobei ich sie doch eh nie sehen konnte! Du hast doch gar keine Ahnung wovon du sprichst! In deinem Leben läuft alles glatt. Du hast das was du willst, was du dir immer gewünscht hast! Und ich warne dich, wenn du mir noch einmal vorschreiben willst, wie ich meine Beziehung zu führen habe, dann...dann...argh!" Ich schrie. Ich wollte nicht schreien. Ich wusste, dass jeder in diesem Haus jedes einzelne meiner Worte verstanden hatte und ich schämte mich dafür. Meine Brust hob und senkte sich. Ich drehte mich wieder von meiner Mutter weg. Ich hörte wie die Tür hinter mir sich öffnete und leise wieder schloss.

"Du hast Opa geweckt und Oma macht sich Sorgen. Sie will mit dir sprechen, alleine, aber erst, wenn du dich beruhigt hast. Und im Übrigen, Mum hat Recht." Ich drehte mich zu meiner Schwester um. Sie sah mich ernst mit den Armen vor der Brust verschrenkt an, während meine Mum etwas hilflos an der Wand lehnte. Ich biss mir kurz auf die Unterlippe und sah zu Boden. Sie hatten tatsächlich jedes Wort gehört. "Komm, Mama." sagte Melanie zu unserer Mutter und zog sie den Flur entlang. Mit einem Seufzen öffnete ich die Tür zum Schlafzimmer und warf einen Blick auf meine kranke Großmutter. Sie setzte sich mit einem strengen Blick auf.

"Du wolltest mich sprechen?" Ich sah sie abwartend an.

"Wenn du dich beruhigt hast und ich nicht das Risiko eingehen muss an einem vorzeitig Herzinfarkt zu sterben, weil meine Enkelin mich anschreit." Grandma redete und scherzte in letzter Zeit andauernd über ihren Tod. Ich hatte das Gefühl, dass es nicht so schlimm für sie war, wie für uns. Mit großen Augen starrte ich sie an und schluckte. Grandpa erhob sich aus seinem Sessel und deutete meinem Vater das Zimmer zu verlassen, bis schließlich nur noch Grandma und ich im Raum waren.

"Du schreist deine Mutter an, weil sie dir die Wahrheit sagt?" Sie zog die Augenbrauen hoch und deutete mir mich zu setzen. Ich brach den Blickkontakt und ließ mich betröppelt im Stuhl neben dem Bett sinken. "Ich weiß nicht was es mit deiner Beziehung auf sich hat. Ich hätte mich gefreut, wenn du mir davon erzählt hättest und ich es nicht durch sinnloses Rumgeschreie erfahren hätte müssen. Kommen wir zu dem anderem Thema. Nein, mir kann nichts mehr helfen, deswegen seid ihr hier. Aber es ist so wie es ist und jeder Mensch stirbt früher oder später. Sehen wir der Wahrheit ins Auge, ich bin nicht mehr die Jüngste. Es war klar, dass es bald Zeit für mich wäre zu gehen. Diese Zeit ist nun gekommen." Sie machte eine Pause und legte die Hand auf mein Bein. "Ich will dir nicht die Trauer verbieten. Im Gegenteil, aber ich möchte, dass du meine letzte Zeit nicht mit Hass verbringst. Ich will eine schöne Zeit mit meiner Familie haben."

"Es tut mir leid, Grandma."

"Was genau, mein Engel?" Ihre Lippen trugen ein einfühlsames Lächeln.

"Alles. Dass ich so bin und bin verhalte, wie eben. Dass ich dir meine Fre-" Ich stockte. "Dass ich verschwiegen habe eine Beziehung zu haben." Meine Großmutter hatte keine Ahnung von meiner sexuellen Orientierung.

"Letzteres darf dir gerne weh tun, aber sonst nichts. Weißt du, du ähnelst deinem Vater, als er in deinem Alter war. Als...als seine Schwester gestorben ist, hatte er auch Hass auf jeden und alles. Mittlerweile hat er gelernt damit umzugehen und aufzuhören die Menschen um sich rum von sich weg zustoßen." Meine Mutter hatte mir die Geschichte oft erzählen müssen. Als mein Dad achtzehn Jahre alt gewesen ist, starb seine ältere Schwester an einem Autounfall. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht gelebt und meine Tante nie kennen gelernt. Ich wendete den Blick zu Boden und schwieg. "Na gut, aber jetzt erzähl mir von deinem Freund." sagte Grandma nach einigen Sekunden. Anspannung breitete sich in mir aus und ich sah meiner Großmutter nervös an.

"Ich äh" ich räusperte mich und begann an meinem Top zu spielen. "also ich sollte dir vermutlich vorher etwas sagen." meinte ich mit kratziger Stimme. Grandma hob verwirrt die Augenbrauen und deutete mir fortzufahren. "Ich stehe nicht nur auf Männer, sondern auch auf Frauen. Ich bin bisexuell."

"Gut, dann erzähl mir eben von deiner Freundin. Das ist es doch worauf du hinaus wolltest, oder?" Mit einem entspannten Lächeln auf den Lippen sah sie mich an. Und ich dachte die Frau wäre konservativ. Falsch gedacht, Yasmin. Schade, dass du es erst jetzt raus gefunden hast. Ich nickte leicht, mit einem zufriedenem Lächeln im Gesicht.

"Ähm, sie heißt Emilia." sagte ich schüchtern und sah meine Großmutter unsicher an. "Sie ist 21 und hat nächsten Monat Geburtstag."

"Weiter, Schätzchen. Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen." sagte Oma und richtete das geblümte Tuch, welches um ihren kahlen Kopf gebunden war. "Wie lange seit ihr schon zusammen? Wie habt ihr euch kennengelernt?" Ich kicherte, ehe ich begann die Fragen meiner Großmutter ausführlich zu beantworten.

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Ich bedanke mich schon mal für jegliche Art der Kritik.

The girl from the bus stop I girlxgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt