Kapitel 36.

1.6K 129 6
                                    


"Hey, Schatz." ertönte die Stimme meiner Freundin. Mit dem Handy zwischen dem Ohr und der Schulter eingeklemmt, schloss ich die Zimmertür hinter mir und balancierte zwei Kartons auf den Armen.

"Hi, Emilia." sagte ich leicht außer Atem und stellte schnaufend die Kartons vor mir auf dem Boden ab.

"Du klingst ja begeistert meine Stimme zu hören." Die Ironie dieser Worte war deutlich in Emilias Ton zu entziffern. Ich fuhr mir kurz durch die Haare, ehe ich mich auf den Boden setzte und gegen die Pappkartons lehnte.

"Entschuldige. Ich war nur den ganzen Tag unterwegs und muss jetzt anfangen mein Zeug auszuräumen. Ich bin wirklich froh jetzt mit dir telefonieren zu können." Ich schloss kurz die Augen und genoss den Moment der Ruhe.

"Wart ihr schon bei deiner Großmutter?" Emilia klang ruhig und mitfühlend, während sie interessiert auf eine Antwort wartete. Ich begann langsam zu nicken.

"Ja." Ein trauriges Lächeln schlich sich auf meine Lippen und Tränen sammelten sich in meinen Augen, die ich aber erfolgreich wegblinzelte.

"Wie geht es ihr?" Ich haderte mit meiner Antwort. "Ich hab doch gesagt, dass ich keine Zeit habe. Regel das mit Naomi, sonst kannst du deinen Umzug gleich in den Sand setzen." sagte Emilia nach einigen Sekunden. Sie klang nun deutlich mitgenommen und genervt.

"Hä?" Ich runzelte die Stirn. "Was für ein Umzug?" Mir war bewusst, dass sie nicht mit mir geredet haben konnte, schließlich hatte ich ja wohl kaum was mit Naomi zu tun.

"Sorry, Alex kam nerven. Vergiss es einfach wieder. Es ist nicht...wichtiges. Also wie geht es deiner Großmutter?"

"So wie es einer Krebspatientin eben geht, ziemlich beschissen. Aber jetzt erzähl mir von diesem Umzug." Emilia seufzte.

"Alex hat mir heute....Nein, warte Naomi hat mir gesagt, dass Alex umzieht. Er hat ihr den Ersatzschlüssel gegeben, weil er erst später kommen würde und so kamen wir ins Gespräch. Letztendlich sind wir beide, Naomi und ich, angepisst, weil Alex mir nicht früher gesagt hat, dass er umzieht. Ich meine sie haben ja sogar schon den Vertrag unterschrieben und in einem Monat ziehen sie dort ein und ich hatte keine Ahnung davon." Ich konnte deutlich hören, wie verletzt sie war und es tat mir weh.

"Warum hat er dir nicht einfach früher Bescheid gegeben? Das ist doch der letzte Dreck! Das heißt, dass du jetzt für die Miete allein aufkommen musst?" Ich runzelte die Stirn und knubbelte an einem der Kartons rum.

"Ich hab keine Ahnung. Aber ja muss ich, zumindest für den Anfang und dann werde auch ich ausziehen und mir was Kleineres suchen müssen. Ich kann die Miete dafür nicht ewig tragen." Ich biss mir zögerlich auf die Unterlippe. Mir war sofort dieser eine Gedanke gekommen. Ich sollte es nicht aussprechen, aber ich wollte unbedingt.

"M-meinst du, du kannst noch für drei Monate brav dort weiter wohnen und regelmäßig Miete zahlen, ohne Pleite zu gehen?" Ich schloss hastig die Augen, nachdem ich das ausgesprochen hatte und wartete auf eine Antwort. Hoffentlich würde die Anspielung auf's Zusammenziehen deutlich gewesen sein. Ich brauchte ja auch eine Wohnung, wenn ich nach Deutschland zurückkehren würde und da Emilia sich sowie so eine neue suchen musste, wäre die Idee doch eigentlich nicht so schlecht.

"Fragst du mich gerade indirekt, ob ich noch genug Geld für die Miete habe, bis du wieder hier bist und wir zusammen ziehen könnten?" Emilia klang leicht amüsiert über meine Art genau das auszudrücken.

"Ja." Es klang eher wie eine Frage, als eine Aussage. Meine Stimme war zittrig und viel zu hoch. Ich hatte Angst etwas falsches gesagt zu haben.

"Und würdest du dir wünschen in eine neue Wohnung zu ziehen oder meine zu behalten?"

"Uhm," Diese Frage ließ mich nachdenken. Ich mochte Emilias Wohnung. Sie war wirklich schön. Andererseits würde der neue Lebensabschnitt vielleicht auch besser mit etwas neuem beginnen. "Das ist mir egal." sagte ich schließlich, auch wenn ich letztendlich meine Entscheidung getroffen hatte.

"Egal?" Sie klang ein wenig stutzig.

"Ja? Also, ich meine ich mag deine Wohnung." Wieder kaute ich nervös auf meiner Lippe.

"Aber?" Ich schwieg. "Schatz, bitte sag mir was du willst."

"Vielleicht sollte man einen neuen Lebensabschnitt mit etwas Neuem beginnen." murmelte ich unschlüssig.

"Ja." Mehr sagte sie nicht. Nur dieses eine Wort und ich hatte keine Ahnung, was es zu bedeuten hatte.

"Ja?"

"Ja, ich will mit dir zusammen ziehen." Und das waren die Worte, die ein fröhliches Lächeln auf meine Lippen zauberten.

~~~~

Glücklich summend ging ich die Treppe nach unten und setzte mich ins Esszimmer, wo der gedeckte Tisch stand und das Essen vor sich hin duftete und dampfte. Während Melanie wieder mehr mit ihrem Handy beschäftigt war, anstatt mit irgendwas anderem, stand meine Mum hinter Dad und massierte sanft seine Schultern. Er sah wirklich betroffen aus.

"Nanu, was ist denn mit dir geschehen? Heute Mittag warst du doch noch fast am verzweifeln und jetzt strahlst du wie ein Honigkuchenpferd." Meine Mum sah auf und blickte mich verwundert an.

"Sie hat mit Emilia telefoniert." sagte Melanie und legte ihr Handy grinsend bei Seite. "Zumindest habe ich sie Lachen gehört, laut Lachen. Und alles andere lasse ich jetzt aus." Ein frecher Blick beobachtete, wie ich auf der Stelle rot wurde und mich angespannt auf den Stuhl fallen ließ. Dad warf mir einen skeptischen Blick zu. Tatsächlich hatte ich noch den halben Tag mit Emilia telefoniert. Sie hatte mir von Alex' Gedanke ans Heiraten erzählt, der Uni und der Arbeit, während ich ihr Bericht von meinem Tag erstattet hatte, aber wir hatten nichts gemacht, was auch nur Ansatzweise auf Melanies Kommentar hinweisen würde, nun gut, bis auf das laut Lachen eben. Meine Schwester prustete los, als sie die Blicke unserer Eltern und auch meinen auf sich spürte. "Zum Beispiel das ganze Liebesgedudel und dieses 'Ich liebe dich' und 'Ich liebe dich mehr' Gelaber." fügte sie schließlich hinzu. Die Röte verschwand allmählich aus meinem Gesicht und auch die leicht verstörten Blicke meiner Eltern lösten sich von ihrer jüngsten Tochter.

"Sehr lustig, Schwesterherz." Mensch, dieses Mädchen war ein richtiger Teufel.

"Hat sie irgendwas interessantes erzählt?" fragte Dad, während Mum sich neben ihm hinsetzte.

"Dies und das." antwortete ich und schenkte mir und meiner Schwester Wasser in die Gläser ein. "Ach und wir haben beschlossen, dass wir dann zusammen ziehen." Ich ließ diese Information wie etwas Beiläufiges und uninteressantes erscheinen. 

"Das freut mich, Schätzchen." sagte Mum mit einem ehrlichen Lächeln auf den Lippen.

"Ja, das ist wirklich" Dad zögerte kurz und bediente sich am Abendessen. "schön. Wenn ihr meint, dass es an der Zeit ist." 

___

Ich bedanke mich schon mal für jegliche Art der Kritik.


The girl from the bus stop I girlxgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt