Jungs- Versteherin? Was ist das genau?

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Pferde zu striegeln, ihr warmes dichtes Fell auszubürsten, sie wiederkäuen zu sehen und dieses Schnurpsen zu hören- das finde ich unvorstellbar beruhigend!

Es sei denn, dein Pferd heißt "Blacky" und ist ein älterer, tiefschwarzer Friese mit langer Mähne , der es liebt, sich auch einmal dreckig zu machen und statt mit stoischer Ruhe dein Abstriegeln zu ertragen, stetig die Ohren anlegt und nach dir schnappen will!

Mir wurde heute "Blacky" zugeteilt- da ich recht groß bin findet unsere Reitlehrerin das richtig.

"Blacky" ist wohl der einzige Junge, den ich nie verstehen werde und dessen Dickkopf mich schon seit längerer Zeit nervt- mehr als die Jungs der Schule. "Blacky" scheint mich nicht zu mögen! Warum? Das weiß er womöglich selbst nicht einmal.

Annika und ich müssen uns beim Reiten auf "Blacky" stets abwechseln an den zwei Reitstunden pro Woche im Verein. Sie kann viel besser mit dem Pferd umgehen, ist- wie ich finde- manchmal recht ruppig mit ihm. "Blacky" hört dann aber! Das ist sehr seltsam. Annika und ich haben schon mehrfach überlegt, ob "Blacky" auf Domina's steht und masochistische Wesenszüge hat. Undurchschaubar- dieses Tier! Das würde Einiges erklären! Eine Menge würde dies erklären!

An die Boxtür eng und fest angeknotet wirkt "Blacky" fast lammfromm heute. Annika und ich stehen zu beiden Seiten des Pferdes und ziehen mit den Bürsten unsere Bahnen an hals und Körper des Tieres.

"Um es noch einmal anzusprechen, Helena: Du versuchst die Jungen zu verstehen? Geht denn das überhaupt?"

"Denke schon- irgendwie? Naja, ich hab es mir so eingeredet, dass ich dies machen sollte! Es fühlte sich für mich richtig an, um mir über manches klar zu werden!"

"Wegen Oliver? Weil er dich hat sitzen lassen- und jetzt mit Jule zusammen ist?"

"Ja. Ich denke, hier ist wohl diese fixe Idee entstanden."

Wir striegeln weiter. Innerlich steigt da eine Frage in mir auf. Hier- wo nur Mädchen sind und auch noch Annika, als -naja- immer noch gute Freundin- kann ich diese Frage doch einmal offen aussprechen.

"Annika? So eine Jungs- Versteherin? Was glaubst du, macht so eine Jungs- Versteherin eigentlich aus?"

Annika prustet kurz aus. Es klingt fast ratlos, dennoch antwortet sie mir.

"Keine Ahnung? Was macht eine Jungs- Versteherin aus? Sie wird wohl wissen, was Jungs meinen und wollen. Was Jungs so für Interessen haben! Schätze mal, eine Jungs- Versteherin könnte kluge Tips geben, oder so! Mädchen mit Brüdern könnten vielleicht Tips geben!"

"Hmm!", stimme ich- ebenfalls ein wenig ratlos zu.

"Jungs sind ja auch irgendwie komplett anders, oder?", fragt Annika. "Ich meine, sie regen sich immer tierisch auf, wenn irgendwo eine Werbeunterbrechung geschaltet ist! Sie Rülpsen, Pupsen, Spucken. Sie popeln auch viel, was voll eklig ist. Jungs schauen sich vielleicht mehr so Sportseiten an und schauen viel Fußball im Fernsehen. Ich glaube auch, Jungens stehen auf Auto's."

"Ja.", sage ich. "Und ständig schauen sie uns auf die Hintern! Und wenn ein Mädchen große Brüste hat- ich glaube, das finden sie auch ganz toll!"

"Ja! Ständig klotzen sie uns nach! Nicht?" Annika macht sich groß, um über den Rücken des Pferdes mit lachendem Blick meine Worte zu bestätigen.

"Ja!"

Lächelndes Schweigen. "Blacky" mustert mich mit seinen großen dunklen Augen.

"Weißt du, Helena, was ich immer mache, wenn ich so einen richtig doofen Typen vor mir habe?", Annika scheint das Gespräch zu gefallen.

"Nein? Was?"

"Ich stell mir den Jungen im rosa Tütü- Röckchen vor! Das macht das nötige Gespräch dann wesentlich einfacher."

"Glaub ich dir!"

Nach einer kurzen Pause beginnt Annika die Hinterhufe auszukratzen, um den Mist der Box von den Hufen im Gang zu verteilen.

"Helena, die Jungs- Versteherin. Also ich find das Super! Da muss ich dir ein Geheimnis verraten. Ich werde aus dem Frank aus der 10/2 nicht schlau. Ich denke, er würde gern mit mir gehen wollen, aber der hat so gar nicht den Mum, mich mal anzusprechen."

"O M G! Der Frank? Hat der Vater nicht an der Tankstelle gearbeitet?"

"Ja. Macht er auch noch. Aber um noch einmal auf Frank zurück zu kommen. Sollte ich den Frank einfach mal ansprechen?"

Ich versuche Blickkontakt zu Annika zu bekommen. Sie zeigt verschmitzt ihre weißen Beißerchen mit einem übertriebenen Lächeln der ertappten Diebin.

"Du stehst auf den Typen?"

"Weiß nicht, vielleicht? Irgendwie ist Der immer so ruhig- nicht so, wie die anderen Jungs?"

"Also wenn er dir gefällt, dann mach doch ruhig den ersten Schritt! Sonst wirst du nie erfahren, was er für dich über hat."

"Ich will nur nicht, dass die anderen Jungen vielleicht dummes Zeug quatschen! Von wegen- leicht zu kriegen- und so!" Annika scheint wirklich besorgt darüber, wie ihr Gesicht zeigt. Und diese Sorge ist ja auch nicht unbegründet.

"Vielleicht versuchst du es mal? Aber Face- to- Face! Und ohne das andere Jungen dabei sind! Und auf keinen Fall zu viel sagen! Der muss schon selbst darauf kommen. Aber du musst ihm die Chance geben, aktiv werden zu müssen. Wenn er auch Interesse hat, dann wird er schon aktiv werden! Und mal ehrlich- du bist doch toll. Er wäre doof, wenn er diese Chance dann nicht ergreift."

"Aber wie soll ich das angehen- so eine unverfängliche Frage?"

"Wart mal. Ich überleb mir da mal was!"

- Ich glaub nicht, was ich hier grade mache- ich gebe Tip's! So wie Annika es von einer Jungs- Versteherin erwarten würde. Irgendwie beängstigend! Ich bin auf dem Weg, eine Jungs- Versteherin zu werden! -

Offenbar beschleicht auch Annika diese Einsicht. Sie macht große Augen, dann prustet sie vor Lachen los.

"Mädels! Ruhe im Stall, bitte! und seht zu, dass ihr den Friesen fertig bekommt, ihr Trödeltanten!"

Peggy, unsere Kursleiterin vom Reitverein, drängt zur Eile, bevor sie in der Sattelkammer verschwindet.

Später in der Reithalle überlege ich, wie man es am Besten für Annika angehen könnte. Vermutlich durch das Training geprägt hab ich da so eine Idee- jedoch keine Gelegenheit, Annika beim Wechsel am Pferd und den Nachstellen der Steigbügellänge einen Tip zu geben, denn hier muss man bei der Sache bleiben- dem Reiten.

Nach dem Durchfegen zwischen den Boxen am Ende des Training hab ich endlich die Möglichkeit, meine Idee vorzubringen: "Annika? Wir haben doch am Wochenende Stalldienst. Frag doch den Frank, ob er dich einmal hier abholen würde und nach Hause begleiten könnte. Du hast niemanden, der dich da begleitet und allein wäre gruselig?"

"Stimmt doch gar nicht! Ich bin doch mit dem Rad und wenn .... . Aha! Du willst seine Beschützerinstinkte wecken? Das er mich hilfloses, schutzloses Mädchen heim bringt?"

Ich nicke!

"Du bist ja ein cleveres Ding! Cool! Und wenn er zusagt und ich hier mein Fahrrad rausschiebe, dann sage ich: 'Tschuldigung, musste notgedrungen das Rad nehmen! Wollte meine Mutti so.' Aber bleib doch bitte! und so weiter!", Annika malte es sich schon in rosa Wolken aus.

"So? Und ich bin die Clevere?"

"Naja, dann schiebe ich nach Hause und er kann mich begleiten- nur zu meiner Sicherheit!"

"Aha? Annika? Ich glaub, so ein wenig Jungs- Versteherin steckt auch in dir, was?"

"Hihi! Aber du bist da schon viel weiter, glaub ich! Toller Tip! Wenn das klappt, kann ich dann für Dich ein wenig Werbung machen?"

"Klar!", sage ich. "Die Jungen schalten bei Werbung soundso immer um!"

Wir lachen. Vielleicht macht reiten auch deshalb schon so viel Freude, weil es anscheinend nur uns Mädchen in den Bann zieht!

Bin wohl doch schon ganz gut, im Jungs verstehen.

 

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