Kapitel 17

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Als es ein Tropfen nach dem anderen regnet und die Landschaft glänzen lässt, entkommt mir ein ungewolltes Seufzen. Nebeneinander saßen wir schon einige Minuten einfach nur still und sahen aus dem Fenster.

Es war eine Stille, wie in der Natur nach einem Sturm, wo man nur den Wind draußen umher ziehen hört. Der Schmerz und die Spannung im Raum war unübersehbar, jedoch weiß man, dass es das Beste wäre, alles einfach so zu lassen wie es bereits ist und nicht mit leeren Worten zu füllen. So war es schon schwer genug.

Anscheinend hat es tatsächlich eine kleine fünfzehnjährige Diva mit dem Namen Doreen geschafft, sich in die Beziehung meiner besten Freundin zu drängen. Anfangs setzte sie sich nur neben Louis im Bus, ein paar Wochen darauf begann sie mit ihm zu reden über alles Mögliche. Irgendwann wurde ihr das alles zu langweilig und sie suchte körperliche Nähe zu ihm. Egal wie oft der ausgewachsene Junge ihr sagte, dass er bereits eine wunderschöne feste Freundin habe, sie schien es nicht hören zu wollen.

Angeblich hat er ihr sogar Hoffnung gemacht, dass sie bestimmt bald einen tollen passenden Typ für sich selbst finden würde. Des Weiteren verfügt sie seit gut einem Monat über seine Handynummer und versuchte, ihn mit unglaublich schlechten Anmachsprüchen anzulocken. Die Tatsache, dass doch eine bestimmte Entfernung zwischen Alice und Louis liegt, nutzte sie zu ihrem Vorteil, um ihn nur noch öfter zu sehen.

Der Höhepunkt wurde anscheinend gestern erreicht, als meine beste Freundin die beiden an der Bushaltestelle sah, wie sie eng umschlungen zusammenstanden und herummachten. Ich persönlich vermute ja, dass der Kuss und die Nähe von ihr aus begannen, aber ganz sicher bin ich dann doch nicht, denn ganz ehrlich Jungs darf man niemals vertrauen. Alle waren, sind und werden immer gefährliches Terrain bleiben.

Auf einmal kam mir allerdings eine Frage. Langsam drehe ich mich fragend zu ihr.

„Hat Mason eigentlich davon gewusst?" Allgemeines Wissen bis gestern war offensichtlich, dass Louis vollkommen die Situation in Kontrolle hatte und mit ihr reden würde, das alles zu lassen. Danach sah es ja jetzt doch nicht mehr aus. Ich frage mich ja nur, ob Mason Bescheid wusste, dass Louis Probleme mit ihr hatte.

„Keine Ahnung, aber ich wette er hat nur seinen Bruder beschützen wollen vor mir wie auch ihr... Wieso müssen alle männlichen Wesen nur so schwach und dumm sein?", antwortet sie.

Leicht tadelnd schüttle ich meinen Kopf.

„Das kannst du doch nicht einfach so verallgemeinern. Nicht ausdrücklich alle und jeder Junge ist doof."

„Das habe ich auch nicht gesagt. Die meisten sind es aber. Definitiv.", gibt sie stur von sich, bevor sie weiterredet, „Weißt du, ich habe ihm wirklich vertraut. Klar, es war nicht alles immer perfekt aber es schien so, als könnte das zwischen und wirklich funktionieren. Er war genau das, was alle vor ihm nicht waren und das machte es mir einfacher ihm zu vertrauen. Wie konnte ich auch nur glauben, er hätte das alles im Griff?" Zum Ende bricht ihre Stimme, was mir zusätzlichen Schmerz gibt.

Sanft und vorsichtig lege ich meinen Arm um ihre Schulter und ziehe sie an mich.

„Also hör mal, ihr habt euch noch gar nicht miteinander ausgesprochen." Das muss man echt in Betracht ziehen.

„Ja, das stimmt schon, aber trotzdem tut es weh. Rina, es tut so unglaublich weh. Er hätte es mir doch einfach sagen können, anstatt mich anzulügen.", klagt sie zurecht.

Ach, meine liebe Alice, das hat sie wirklich nicht verdient. Ich werde jetzt nichts bringen wie „Ich weiß, es tut weh.", „Ich weiß genau wie du dich fühlst." Oder „Das wird schon wieder." Denn ganz ehrlich, mir wurde bis heute noch nicht das Herz gebrochen und so kann ich ihre Gefühle auch nicht kennen, ich kann es mir nur vorstellen.

„Du verdienst das ganze Glück auf der Welt, ich hoffe das weißt du. Irgendwie kriegen wir das alle schon wieder hin. Aber jetzt habe ich eine schöne Idee, was wir noch schnell machen müssen, bevor wir wieder hierherkommen."

Neugierig sieht sie mit roten Augen mich an. Trotz der getrockneten Tränen ist sie so wunderschön, ich kann immer noch nicht glauben, dass irgendjemand sich traut ihr wehzutun.

Eine Antwort gebe ich nicht, sondern ziehe sie mit mir von der Couch hoch. Theoretisch hätten wir noch eine Stunde jeweils, sie Physik und ich Biologie, aber es bestand kein Zweifel, dass es ziemlich schwierig wird aufzupassen im Unterricht.

„Na komm, es gibt eine Sache, die ein Mädchen nie im Stich lässt.", tröste ich sie. Schon nach wenigen Sekunden blickt sie wissen zu mir und schickt mir ein vorsichtiges Lächeln.

Nach dem großen Flur und einem Weg durch die siebten Klassen erreichen wir endlich unser Ziel. Die Süßigkeiten Automaten.

„Womit kann er dir heute dienen?", will ich von ihr wissen, um die Wahl zu bestimmen.

„Hmm Schokowaffel?", entscheidet sie sich zweifelnd. Sanft nicke ich bevor ich ihr ein Stück kaufe und mir ebenfalls. Normalerweise würde sie jetzt peinlich berührt dreinsehen und mir sicherstellen, dass sie mir das Geld morgen gleich wieder zurückgeben wird, doch heute kommt nichts dergleichen. Dafür ist der Tag schon jetzt zu schwierig gewesen.

„Können wir bitte einfach wieder ins Rests gehen?", fordert sie.

Und genau das taten wir. Mit unserem gekauften Snack und einer weiteren Tasse Tee (dieses Mal war es meine Lieblingssorte, Pfefferminz) machten wir es uns gemütlich und lernten beiläufig noch die Theorieunterlagen für die Feuerwehr.

Als hätten wir noch nicht genug Stress mit dem baldigen A-Level Prüfungen, ist auch das silberne Leistungsabzeichen mit einem zusätzlichen Theorietest in einem Monat. Da wir wegen der Schule nicht zu jeder Übung kommen können, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns selbstständig dafür vorzubereiten. Der Rest der Freistunde verlief ereignislos.

Biologie war extrem ermüdend. Im Unterricht war es still, da wir für die heutige Stunde unseren Stoff selbst zusammenfassen sollten mit dem gegebenen Material. Der Platz neben mir war frei, was es minimal besser machte. Überraschend fand ich es wirklich nicht, dass Mason nicht aufgetaucht ist. Wahrscheinlich geht er mir absichtlich aus dem Weg und steht seinem Bruder bei. Zugegeben, in seiner Haut würde ich auch nicht stecken wollen. Auch wenn Alice vorhin noch getrauert und den Schmerz begrüßt hat, wird sie mit doppelter Kraft zurückschlagen. Sie wird zu ihm gehen und mit ihm reden wollen. Wie es auch eigentlich richtig ist. Ich hoffe nur, dass er auch bereit ist, zu reden.

Nach Unterrichtsschluss bewege ich mich langsam durch den Verkehr von jüngeren Schülern zum Bus. Es regnete immer noch. An jedem anderen Tag hätte es mir ein Lächeln entbracht, nur genau in diesem Moment wünschte ich mir nichts anderes als Sonne.

Innen drin, suche ich mir einen Platz links in der vorletzten Reihe am Fenster und lasse mich auf den alten Sitz nieder. Das nächste Lied auf meiner Musik-Playlist ist We can hurt together von Sia. Irgendwie entspricht es total meiner Stimmung. Versunken in die Wörter des Songs und die vorbei rauschende Landschaft bemerke ich viel später den eingehenden Anruf. Die Musik stoppt und ich blicke auf das Display.

Es ist niemand anderes als Mason. Soll ich akzeptieren? Er war doch derjenige, der nicht mit mir sprechen wollte, also wieso auf einmal? Trotz aller Argumente nehme ich den Anruf an.

„Hallo?"

„Irina, wo bist du?" Er muss sich also gar nicht mehr erklären, wie? Seine Stimme klingt genervt.

„Im Bus?" Worauf will er hinaus?

„Auf dem Weg nach Hause, also?", fragt er nach.

„Ja, wohin den sonst?" Ich kann mir diese Antwort nicht verkneifen.

„Ich warte vor deinem Haus. Wir müssen reden.", grummelt er, bevor er ohne Warnung auflegt. Tja Freunde, was macht man jetzt?

Seufzend lehne ich mich in meinem Sitz zurück und beschließe, einfach alles auf mich zukommen zu lassen. Der Tag war ohnehin schon gelaufen.

Honest HumansWhere stories live. Discover now