Kapitel 4

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Blaue Augen. Das ist das Einzige, was ich aus meiner Freundin Alice herausbekomme als sie mir erzählt, dass sie einen Freund hat.

„Ich dachte, wir haben keine Geheimnisse vor einander.", bemerke ich. Wir sind auf dem Weg nach Hause. Der Bus ist wie oft viel zu voll. Kennt ihr diesen Schweiß Geruch, wenn viel zu viele Menschen auf einem Platz sind? Das ist einfach nur ekelig.

„Haben wir ja auch nicht. Es ist erst gestern passiert.", verteidigt sie sich. Heute hat sie ihre langen braunen, fast schwarzen Haare zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden. Das steht ihr richtig gut.

„Nicht das noch. Womit habe ich es verdient, dass ich meine beste Freundin an solche verliebte Waschlappen verliere? Ich bin immer ein braves Mädchen gewesen. Das ist nicht fair.", stöhne ich genervt. Ich gönne es ihr. Wirklich. Doch muss es unbedingt jetzt sein?

„Jetzt übertreibe nicht. Ich bin dieselbe und werde es auch bleiben. Du hast echt nichts zu befürchten.", verspricht sie mir. Ist das ihr Ernst? Leider kann man da nichts dagegen tun.

„Ok. Wenn du meinst. Ich habe dich gewarnt. Wollen wir wetten? Er wird dir das Herz brechen, aber du darfst ja nicht auf mich hören.", ist meine schlichte Antwort.

Sie nickt. Scheiße. Ich glaube, sie ist mir beleidigt. Schon den ganzen Schultag diskutieren wir über ihn. Den unbekannten Typen nenne ich ihn ab jetzt.

Er ist schon längst fertig mit der Schule und studiert in irgendeiner Großstadt. Außerdem ist diese mehr als 50 Meilen von hier entfernt, aber er hat vor, sie jedes Wochenende zu besuchen, damit sie etwas machen können. Alice hat schon immer auf ältere Typen gestanden. Allerdings habe ich nie gedacht, dass es einmal tatsächlich dazu kommen würde, dass sie einen Freund hat. Jedenfalls nicht so früh. Wir sind im Abschlussjahr. In wenigen Monaten werden wir unsere A-Levels machen. Solche Ablenkungen wie Beziehungen oder einen Schwarm zu haben, tuen keinem von uns gut.

Bereits wenige Minuten später hält der Bus an meiner Haltestelle.

Seit meinem letzten Argument redet sie nicht mehr mit mir. Gott sei Dank ist sie nicht nachtragend. Morgen ist bestimmt alles wieder okay.

Mit schnellen Schritten steige ich aus und mache mich auf den Weg nach Hause. Als nach nur wenigen Sekunden Mason neben mir auftaucht, schnappe ich Luft. Es sind drei Wochen vergangen, nach seinem Schwindelfall. Ich weis noch genau, wie blöd ich geschaut habe, als er am nächsten Tag putzmunter in der Schule erschien. Er scheint sich echt schnell wieder erholt zu haben. Die Geschwindigkeit macht mir nur etwas Angst. Jedenfalls hat er mich seitdem ignoriert, wobei eigentlich nicht. Der Junge redet zwar nicht mit mir, allerdings ist das Starren intensiver geworden. Das muss aufhören. Wenn er nicht anfängt, dann muss ich es eben machen. Den Anfang.

„Hey. Wie läuft's bei dir so, momentan?", beginne ich mit etwas brechender Stimme.

Das liegt nicht an der Nervosität oder ähnliches. Bestimmt nicht. Er sieht mich für wenige Augenblicke an. Dann entscheidet er sich doch anders und blickt zu Straße. Dies wiederholt ungefähr vier Mal bis er zum ersten Mal spricht.

„Hey. Ganz gut. Es ist vielleicht ein bischen stressig, ich hätte definitiv nicht in den Kreatives Schreiben – Kurs gehen sollen. Doch sonst. Nein es passt. Und bei dir? Gibt es etwas neues?"

Anscheinend kommt mein Gehirn nicht mit, denn es muss ja unbedingt einzelne Wörter wiederholen. So etwas unnötiges. Eigentlich.

„Kreatives Schreiben?"

Er lacht. Laut und ehrlich. Das soll die beste Mischung sein, hat man mir gesagt. Ich kann mir ein peinliches Lächlen nicht verdrücken. Die Art und Weise wie seine Augen strahlen und funkeln, wenn er lacht, lässt Schmetterlinge in meinem Bauch auftreten. Dumme Gefühle. Es darf nicht passieren. Ich. Darf. Mich. Nicht. In. Ihn. Verlieben. Unter gar keinen Umständen. So schwach bin ich nicht.

„Ja. Einige mögen Mathe, ich eben Literatur und English. Hast du etwas dagegen?"

Wie zum Teufel soll ich auf so eine Frage antworten? Entweder es klingt, als ob ich an ihm interessiert bin oder ich verletzte ihn einfach. Hör auf dein Herz. Creepy! Woher kommt denn nun diese Stimme? Möglicherweise aus deinem Inneren? Echt jetzt? Irgendwie fühle ich mich gerade wie in einem von diesen Filmen, wo dein innerer Teufel und Engel erscheinen und du zuhören musst, wie sie über irgendetwas vollkommen banales diskutieren. Das soll aber jetzt aufhören!

„Nein. Im Gegenteil. Ich lese zwar viel, doch ich könnte nie etwas selbst schreiben. Dafür bin ich zu inkompetent.", lache ich über mich selbst.

Wenigstens ist es die Wahrheit. Wir biegen in unsere Straße. Dennoch geht er extra für mich langsamer. Es ist echt blöd, kleiner zu sein. Mason ist mindestens eineinhalb Köpfe größer als ich. Dabei habe ich schon eine Größe von 1,80 m erreicht. Da soll Einer mir sagen, dass ich klein bin. Tja hier handelt es sich offensichtlich um einen Riesen. Eindeutig. Mein Nachbar sieht überrascht zu mir.

„Versuch es doch einfach mal. Irgendwie muss man irgendwie seine Gefühle loswerden. Die Frage ob es Verbal, körperlich oder schriftlich lasse ich erst einmal offen. Es ist doch egal wie. Solltest du es jemals versuchen, dann tue es doch einfach. Als ich zum Schreiben begonnen habe, lernte ich mich selbst kennen. Ich kann es echt nur empfehlen."

Wow. Damit hätte ich ehrlich gesagt nicht gerechnet. Mir ist gar nicht aufgefallen, wie schnell wir gegangen sind. Vor uns erstreckt sich die Steinstrecke zu meinem Haus und gegenüber, mit etwas Abstand, dasselbe zu seinem. Mit einer ausnahmsweise eleganten Bewegung drehe ich mich zu ihm.

„Ich kann es ja mal versuchen. Weist du, wenn du nicht die ganze Zeit mich bloß anstarrst, kannst du echt ok sein." Das war doch nicht zu nett, oder? Er lächelt und verbeugt sich gespielt vor mir.

„Danke. Danke. So etwas höre ich nur zu gern.", verkündet er mir in Sing Sang. Das kann er echt gut. Kein Wunder, er ist ja auch in der Theater Gruppe. Er bewegt sich zum Gehen, doch hält abrupt an und ruft noch zu mir.

„Ach und Irina? Du bist auch nicht so die typische Bitch, für die ich dich am Anfang gehalten habe. Bis morgen und träum von mir!" Schon ist er weg.

Gekonnt ignoriere ich den letzten Satz und gehe durch die Haustür in mein Zuhause. Mein Inneres schmunzelt. Du kannst es halt, Irina. Check!



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