01. Hazard

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♪ Let's get it on - Marvin Gaye


~~~ Niall ~~~



„Something told me it was over", leise sang ich den Text des Liedes mit, welches gerade aus dem Autoradio dudelte, während ich mich durch den dichten Londoner Verkehr quälte. „When I saw you and her talking, something deep down in my soul said, 'Cry, girl.'"

Ich war zwar kein Girl, aber im Prinzip konnte mir das egal sein. Mein Faible für ältere Songs würde ich wohl niemals ablegen und Etta James gehörte für mich zu den ganz Großen, die die Musikwelt bereichert hatten. Zu schade, dass viele von ihnen bereits das Zeitliche gesegnet hatten, so auch Etta.

'I'd rather go blind' war mein absoluter Lieblingssong von ihr und es gab auf dem ganzen Planeten nur eine Frau, die ihn annährend so zu singen vermochte wie Etta. Und das war Beyoncé. In dem Film Cadillac Records, den ich bereits mehrmals angeschaut hatte, verkörperte sie die Rolle der Etta James. Eine grandiose Besetzung, wenn man mich fragte.

Regen trommelte gegen die Windschutzscheibe und ließ mich wissen, was ich an LA so mochte. Das schöne, warme Wetter und den seltenen Niederschlag.

„Du Idiot, tritt mal aufs Gas", schimpfte ich, als der Autofahrer vor mir fast einpennte und somit beinahe verhinderte, dass ich noch bei Grün durchfuhr.

Ich befand mich auf dem Weg zu einem Record Label, um einen Freund zu besuchen. Jeremy und ich hatten uns schon seit längerem nicht mehr gesehen, da ich ständig zwischen LA und London pendelte. Mein Kumpel arbeitete dort als Mädchen für alles, sodass unserer Fachsimpelei nichts im Wege stand. Außerdem spielte er wie ich Gitarre und war stets zu Späßen aufgelegt.

Mit ein wenig Verspätung traf ich vor dem kleinen Gebäude ein, das auch schon bessere Tage gesehen hatte. Wenn ich da an Capitol Records dachte, bei denen ich unter Vertrag stand – da lagen echt Welten dazwischen.

Capitol Records gehörte zur Universal Music Group und war mit seinen über tausend Angestellten eines der drei größten Musik Labels der Welt. Als man mir im letzten Jahr einen Vertrag anbot, hatte ich natürlich zugegriffen. Dort saß ich in trockenen Tüchern, ganz anders als Jeremy, wie ich wenig später erfahren sollte.

Nach einer euphorischen Begrüßung zerrte er mich in einen kleinen Raum, dessen fleckige Wände direkt in mein Blickfeld fielen. Die Stühle wirkten wackelig und trotz des geschlossenen Fensters zog es im Zimmer wie Hechtsuppe. Gott sei Dank hatte ich meinen Schal noch um, denn ich war am Hals ziemlich empfindlich und legte keinen gesteigerten Wert darauf, mir eine Erkältung einzufangen.

„Du hast es gut getroffen, Niall", seufzte Jeremy laut.

„Inwiefern?"

Er druckste ein wenig herum bevor er die Katze aus dem Sack ließ.

„Ich weiß nicht, wie lange ich meinen Job noch haben werde, mit unserem Label sieht es nicht gut aus."

„Finanzielle Schwierigkeiten?"

„Könnte man so sagen."

„Dann soll Morris es verkaufen."

Mit meinen kalten Händen umfasste ich den heißen, mit Kaffee gefüllten Becher, um diese ein bisschen warm zu kriegen. Warum musste es in London im Dezember auch so abartig kalt sein? Zum Glück würde ich direkt nach Weihnachten zurück nach LA fliegen, um dort Silvester zu feiern und die Sonne am Pool meines Hauses zu genießen. Einfach nur chillen, ein paar Freunde treffen, das hatte ich mir nach dem anstrengenden Jahr und der kleinen Tour, die ich unternommen hatte, redlich verdient.

SOULWhere stories live. Discover now