Disaster

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„Das war...," begann Mavie und schüttelte den Kopf, als versuchte sie das, was gerade geschehen war, zu verarbeiten. Kade schloss die Autotür und sah sie im Halbdunkel der noch immer brennenden Lampe zerknirscht lächelnd an.

„Du hast es immerhin geschafft," sagte er nur und strich ihr eine Strähne ihres schwarzen Haares aus dem Gesicht.

„Ja..?", sagte sie und sah aus ihren mandelförmigen, wunderschönen Augen verwirrt auf. Sie standen noch immer vor dem Anwesen seiner Eltern und Kade wusste, dass sie drinnen nur mit dem Massaker weiter machten, nur eben nicht neben Kade und Mavie über Politik, Wirtschaft, Kades ruinierte Karriere und die Tatsache, dass Mavie asiatisch war diskutierten, wobei ‚diskutieren' ein sehr netter Ausdruck für das war, was sie eben für mehr als drei Stunden abgezogen hatten.

Kade fühlte sich leer. Er wusste nicht, was er erwartet hatte. Dass seine Eltern sich geändert hatten, dass sie ihn nicht mehr verabscheuten, dass sie seine Entscheidungen nicht mehr verabscheuten? Nein, denn er wusste schon seit Jahren, dass er die Enttäuschung schlecht hin war, dass er es mit seinem verdammten Studium niemals zu etwas bringen würde, aber wenn sie es neben der Liebe seines verdammten Lebens sagten, dann tat das weh. So sehr, wie er es nicht für möglich gehalten hatte.

Denn sie waren beide so gute Redner. Seine Mutter hatte Mavie seine ursprüngliche Studiumswahl so attraktiv präsentiert, sein Vater hatte ihr beigepflichtet und die Chancen, die man danach hatte anschaulich dargelegt. Und Kade hatte es geschehen lassen, verdammt, was musste Mavie nun von ihm, dem Versager, denken?

„Ich bin echt froh, dass du nicht der Sohn bist, den sie wollen," sagte sie und durchbrach die Stille. Kade musterte ihr Gesicht, und ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen. „Wir wären niemals da, wo wir jetzt sind. Ich meine du wärst einer dieser furchtbaren Snobs, die sich für das Beste überhaupt halten, die glauben, dass die Welt ihnen zu Füßen liegt. Du wärst so anders. Du wärst nicht Kade Irons. Und ich weiß, dass deine Eltern furchtbar sind, aber dieser Abend hat mir wirklich gezeigt, wie froh ich bin, dass du du bist. Und nicht eine perfekte Version deiner Eltern. Danke dafür."

Kade nahm ihr Gesicht in seine Hände und sah ihr tief in die dunklen Augen, wurde sich mit einem Mal bewusst, wie sehr er diese Frau liebte. Sie hätte alles sagen können und es wäre nicht richtig gewesen. Aber sie schaffte es immer. Sie schaffte es immer das Richtige zu sagen, etwas zu sagen, dass ihm nur zeigte, wie perfekt sie war. Wie perfekt sie für ihn war.

„Verdammt, ich liebe dich so sehr Mavie," sagte er nur und schloss die Augen, als er sie sanft küsste. Sie schmeckte nach dem Kaffee, den sie vorher noch getrunken hatte und sie erwiderte seinen Kuss. Und Kade wusste, dass er niemals wieder andere Lippen küssen wollte und als sie sich voneinander lösten, startete Kade den Wagen und sie fuhren los. Nach Hause, in ihre gemeinsame Wohnung.

Die Nacht war dunkel und sie fuhren schon seit mehr als zwei Stunden und Kade spürte, wie seine Augen immer müder und müder wurden und langsam der Kaffee nachließ.

„Machen wir bei dem nächsten Motel eine Pause?", fragte Kade und rieb sich müde über die Stirn, Mavie, die neben ihm saß nickte nur und strich ihm beruhigend über den Arm.

„Ich kann auch fahren, weißt du?", sagte sie vorsichtig und er sah kurz zu ihr hinüber, sah ihr ermunterndes Lächeln und erwiderte es.

„Ich weiß, Schatz." Er atmete tief durch und konzentrierte sich wieder auf die Straße vor ihm, die nass vom Schnee war. Die Scheinwerfer erhellten die Nacht, die unzähligen Schneeflocken, die vom Himmel fielen sahen aus wie kleine, weiße Punkte, die so sehr reflektierten, dass der Wald, der um sie herum war, wie ein Meer aus Schatten aussah. „Wenn wir anhalten, dann..."

Weiter kam er nicht mehr, denn mit einem Mal war er zu schnell, mit einem Mal war da eine Kurve, die aus dem Nichts kam, mit einem Mal verriss er sein Lenkrad, mit einem Mal spürte er fast, wie die Reifen den Halt verloren und sie schlingernd, rutschend von der Straße abkamen.

Alles ging so schnell und gleichzeitig war es so langsam. Er spürte beinahe jeden Atemzug, jeden Schlag seines Herzens, jedes Haar auf seinem Arm, das sich trotz der angenehmen Wärme im Wagen aufgestellt hatte, er spürte alles und nichts, als sie für einen Moment im Vakuum waren.

Dann war da das Schreien von Metall, das Knirschen der Karosserie, die verbogen wurde. Sein Kopf knallte gegen das Lenkrad und er spürte, wie sich der Airbag aufblies. Ansonsten spürte er für einen Moment nichts. Er versuchte seinen Kopf zu bewegen, versuchte mehr zu sehen, als den Rauch, der aus der zerquetschten Motorhaube kam, versuchte den Baum zu ignorieren, der sich durch die Windschutzscheibe gepfählt hatte. Und er schaffte es. Er blendete den Schmerz in seinen Knochen aus, die unzähligen kleinen Wunden, als er Mavie sah. Ihre Augen waren geschlossen, Blut befand sich auf ihrer Stirn, auf ihren bloßen Armen waren unzählige Wunden.

Kade spürte, wie sein Atem schneller ging, hörte ihn beinahe laut in seinen Ohren und hob eine Hand, um nach ihr zu greifen, doch als er das versuchte, spürte er nur einen gleißenden Schmerz, der sich so anfühlte, als würde seine Seite aufgespießt werden.

Er wollte bei ihr bleiben, wollte bei Mavie sein, doch der Schmerz war zu viel und er spürte nur mehr, wie sein Kopf wieder nach vorne fiel, als die Dunkelheit ihm umfing und weiß wie der Schnee wurde. 

This Is ActingWhere stories live. Discover now