PART 6 AKA HIDDEN SCARS

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„Kade," zischte eine Stimme an sein Ohr und schlaftrunken fuhr er auf und sah in zwei braune Augen, die ihn anstarrten. Er versuchte sich zu orientieren und kurz erinnerte die Umgebung ihn an sein Hotelzimmer, abgesehen von der Tatsache, dass Lycia Robertson da war.

Erst da kamen die Erinnerungen zurück und er sah an sich herab. Er hatte hier übernachtet? Und sie hatte ihm eine Decke gegeben?

Schließlich setzte er sich auf und rieb sich müde über die Augen. „Was? Wie spät ist es?"

„Es ist fast acht Uhr. Um neun müssen wir in der Stadt sein, das weißt du," sagte sie nur und er hielt sich den Kopf.

Verdammtes Kopfweh.
Verdammter Alkohol.

Als Lycia die Bewegung verstand, hielt sie ihm ein Glas Wasser hin, in der eine Aspirintablette sich langsam auflöste. „Wir haben noch etwa eine halbe Stunde. Möchtest du was essen?"

Erst jetzt wurde ihm der Geruch bewusst. Es roch nach Waffeln. Er kippte das Wasser in einem Zug hinunter und ging dann mit ihr, war sich nur allzu gut bewusst, wie er aussehen musste. Seine Haare zerzaust, sein Blick verschlafen; doch auch sie schien noch nicht fertig zu sein. Sie trug einen Morgenmantel, den sie gut verschlossen hielt, weshalb er nur ihre langen Beine bewundern konnte, die darunter hervorsahen und ihre Haare hingen ihr nass über ihre Schultern.

„Ist nicht heute das Photoshooting?", fragte er. „Mit Warren Zeter?"

In dem Moment, als er das sagte, wollte sie ihm gerade die Waffeln auf sein Teller legen, doch sie hielt inne, ehe sie langsam, bedächtig fortfuhr. „Ich dachte der käme erst in einer Woche an?"

Er musterte genau ihr Gesicht, jede Regung. Er wusste nichts von einem Photoshooting. Kade Irons wollte einfach nur ihre Reaktion auf etwas herausfinden, was sein betrunkenes Ich gestern realisiert hatte. Die Frau vor ihm versteckte etwas. Etwas Großes, vielleicht so groß wie sein Geheimnis, so groß, aber nicht größer.

Er kannte jede erdenkliche Art von Schauspieler, seit er seinen Durchbruch hatte. Er kannte die Trinker und Drogenabhängigen, die Abgehoben und die Bodenständigen, doch kannte er auch jene, die immer schauspielerten und die, die es versuchten.

Und er hatte Lycia Robertson schauspielern gesehen. Sie war gut. Und sie schauspielerte noch immer. Also hatte er beschlossen jedes erdenkliche Thema anzusprechen, dass sie reizen könnte, das eine echte Reaktion hervorrufen würde. Und das war anscheinend Warren Zetter.

Sie hatte es gestern getan, für kurze Zeit, als sie betrunken war, doch jetzt, die Frau, die Waffeln kochte und so tat, als würde er nichts erreichen? Das war geschauspielert. Und er hatte es sich zur Aufgabe gemacht die Frau aus ihr herauszuholen, für die er sie hielt.

Mittlerweile lagen die Waffeln auf seinem Teller und Lycia hatte einen Kalender und ihr Telefon geholt. „Heute drehen wir bis siebzehn Uhr. Ich habe keine Nachricht wegen einem Fototermin. Der ist erst nächste Woche. Für... für die Vibe."

„Dann muss ich mich getäuscht haben," erwiderte er nur und aß schnell auf, ehe er das benutzte Teller und das Besteck in den Geschirrspüler gab. Erst dann ging er zur Tür.

„Ich mach mich jetzt dann auch fertig. Ich schätze wir sehen uns dann am Set."

Sie winkte ihm hinterher und er schloss die Tür, ehe er zu seinem Zimmer ging und aus seiner Hosentasche die Schlüsselkarte holte, mit der er aufsperrte und sofort in sein Bad ging. Er hatte noch gut fünfundvierzig Minuten um zu duschen und sich fertig zu machen und die würde er auch nutzen.

Selbst als Lycia und Kade eine Stunde später pünktlich am Set ankamen, brauchten sie dennoch noch Zeit, um in die Maske zu gehen und um einfach die Licht- und Toneinstellungen zu perfektionieren. Die Kameras befanden sich bereits auf Schienen, denn diese Szene musste aufwendiger und öfter gedreht werden.

Ihre ging einkaufen und traf dabei auf Owen Laiken, Kades Rolle. Hörte sich nicht aufwendig an, doch sie mussten jede Szene alleine wegen den Kameraeinstellungen mehrmals drehen, oder weil jemand von ihnen entweder den Text vergaß oder im falschen Moment in die falsche Richtung sah. Zwar mussten sie die meiste Zeit nur eine Einstellung zurück, aber dennoch nervte es.

Erst drei Stunden später hatten sie die Szene wirklich im Kasten und da es genau zwölf Uhr war und am Set ein riesiges Buffett aufgebaut war, musste keiner von ihnen Hunger leiden.

„Bereit für die nächste Szene?", fragte Kade und Lycia sah zu ihm auf, ihr Mund voll, weil sie sich so viel Essen hineingestopft hatte, weshalb sie erst schlucken musste, ehe sie antworten konnte, was Kade ein Grinsen hervorlockte.

„Autopanne, oder?", fragte sie und er nickte. Sie zeigte ihm ein Daumen hoch, ehe sie wieder zu Essen begann und er ließ sie alleine. Nachdenklich biss er von seinem Hot Dog ab und setzte sich auf einen, extra für ihn, vorbereiteten Stuhl.

Erst als er angesprochen wurde, bemerkte er, dass neben ihm jemand saß. „Wie gefällt es dir bis jetzt?", fragte der Regisseur, Richard Montgomery, und Kade nickte, während seine Augen jede von Lycias Bewegungen verfolgte. Erst da realisierte er, was er gerade tat und wandte sich bewusst ab, doch Richard hatte es mitbekommen und tätschelte seine Schulter. „So geht es jedem, der mit ihr arbeitet, sie ist... widersprüchlich, aber lass dich davon nicht abhalten. Manchmal ist es schwer die Rolle und den wirklichen Menschen auseinander zu halten. Besonders, wenn man so verletzt wurde, wie sie. Und das ist nicht oft so."

Er schüttelte den Kopf und ging ohne ein weiteres Wort und Kade sah ihm mit einer hochgezogenen Augenbraue nach, während er versuchte aus seinen Worten schlau zu werden. Hatte der Regisseur gerade innerhalb eines Satzes gesagt, dass Lycia Robertson widersprüchlich, unglaublich war und mehr als einmal verletzt wurde?

Kade hatte ja bereits viele Verdachte, was ihr Geheimnis anging, aber, dass sie mehrmals in Stich gelassen wurde, auf das war er noch nicht gekommen. Wie tief versteckte sie ihre Geheimnisse? Wie tief waren ihre Narben?

Sie versteckte sie gut, so viel war klar, denn er hatte bis jetzt nur die roten Ränder gesehen, die von den Verletzungen standen und er wusste, dass sie sich nur selbst beschützte.

Verdammt, wusste sie eigentlich, wie ähnlich sie sich waren?

Vermutlich nicht.

Nein.

Sie wusste es sicher nicht. Auch wenn er Geheimnisse hatte, tiefe Geheimnisse, die niemand wusste, dann versteckte er sie zumindest besser, das wusste er, denn er lebte schon so lange damit. So lange, dass es sich anfühlte, als wäre er mit diesen Narben geboren worden, aufgewachsen. Er gestand sich selber ein, dass ein Teil der Narben seine eigene Schuld waren, dass er es gewählt hatte sie zu tragen, doch andere waren reine Fremdeinwirkung gewesen. Unwillkürlich griff er wieder an seine Schulter, wie er es oft tat, wenn er in Erinnerungen schwelgte.

Die Glocke, die alle teilnehmenden Schauspieler und die Crew wieder vor und zu den Kameras rief, läutete und Kade wurde so aus seinen Gedanken gerissen. Die Statisten gingen auf ihre Posten und er lief auf die Straße, sah zu, wie sie zu filmen begannen und Lycia in den Wagen einstieg und ihn startete, doch als sie wegfuhr, die Reifen des Wagens ein Loch aufwiesen.

Sein Einstieg. Mit selbstsicheren Schritten und gegen die helle Sonne blinzelnd ging er auf sie zu und hielt sich an der Autotür fest.

Er wusste die Worte, sah sie gedanklich vor sich und lächelte selbstbewusst.

„Brauchen Sie Hilfe?"

This Is ActingWhere stories live. Discover now