PART I AKA OPENING SCENE

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Fast sechs Monate später

„Und Cut, gut gemacht Leute, die Szene ist im Kasten," schrie der Regisseur Richard Montgomery und Lycia, die im Moment noch am Boden lag, rappelte sich mühsam auf und klopfte den groben Dreck von ihrer Kleidung, ihrem Gesicht, allgemein ihrem Körper.

Ihre Kleidung war wegen den klammen Erdklumpen fast feucht und sie schlang zitternd ihre Arme um ihren Körper, ehe sie von ihrer Assistentin Mira ein Handtuch um die Schultern geworfen bekam und mit einem Mal eine Hand auf der Schulter spürte.

„Lycia, ich bin dann weg. In drei Stunden musst du wieder drehbereit sein," sagte Richard und sie zuckte unter seinem festen Griff zusammen, ehe sie sich entspannte.

Wow, auffälliger ging es aber wirklich nicht.

Sie musste sich daran gewöhnen, wie er mit ihr umging, so als kannte er sie schon sein ganzes Leben, obwohl es eigentlich keine sechs Monate her war, dass sie Richard kennengelernt hatte. Es war um die Zeit gewesen, in der sie das Skript zugeschickt bekommen hatte und sie keinen sehen wollte, nicht einmal ihre Tante und Managerin Alice.

„Also kann ich die Perücke abnehmen?", fragte sie und eine Angestellte, die in der Maske arbeitete und für ihre Haare zuständig war, nickte, weshalb sie sich die schwarzen, glatten und vor allem künstlichen Haare vom Kopf zog und das Band herunternahm, ehe sie ihre von Natur aus braunen Haare frei schüttelte.

„Geh in die Dusche, Mädchen," sagte die älterer Frau, deren schwarzes Haar mit weißen Strähnen durchzogen war und die sie freundlich anlächelte. „Du hast überall Erde."

Einmal mehr sah Lycia an sich herunter und dachte an die Anstrengung zurück, die alleine bei dieser Szene mit einher gingen.

Sie hätte die Szene von einem Double oder einfach mit Computeranimationen drehen lassen können, doch das wäre erstens kein guter Start in ein so aufwendiges Filmprojekt und zweitens nicht typisch für einen Salvatore-Film gewesen.

Die Kleidung klebte an ihr wie eine zweite Haut und mühsam schälte sie sich heraus, immer noch in Gedanken bei der gedrehten Szene. Oh ja, ein Double hätte so viel vereinfacht, aber sie wusste, dass Filmkenner ihren Körper leicht von dem eines Doppelgänger unterscheiden konnten und sie wollte etwaige Peinlichkeiten vermeiden.

Die Crew hatte Ewigkeiten alleine für die Vorbereitungen der einen Szene gebraucht, die folgendermaßen ablief:

Zuerst sah man nur das kleine Jagdhaus, welches extra aufgebaut worden war und davor ein frisch zugeschüttetes Grab. Bis auf einmal eine Hand herausfuhr und sich mühsam frei buddelte, ehe sie zu dem Haus ging, mit einer Axt in der Hand, bereit, um den Mann, der im Haus saß, der sie zuvor noch töten wollte, umzulegen, doch bevor sie das tun konnte, wird die Frau, von der man nur die Umrisse im fahlen Licht einer Lichtquelle sah, von jemanden geschlagen und fällt zur Seite. Dann Schnitt.

Derzeit war es fast sieben Uhr in der Früh und hier, tief im Wald war noch kein Sonnenstrahl durchgebrochen. Zwar wurde es im Frühling wärmer, aber im Norden von Montana, wo sie sich im Moment befanden, war es dennoch kalt und dunkel. Dank einem breiten Zugang für den Sauerstoff, künstlicher, leichter Erde und einer Barrikade aus Holz, die sie davon abhielt verschüttet zu werden, war es ihr möglich gewesen, den Dreh zu überleben. Licht hatten sie durch fahle Lampen geschaffen, ansonsten war es vollkommen dunkel.

Mit feuchten Haaren trat sie aus dem Zelt hervor und trug bereits die Kleidung, die die Crew ihr hinterlegt hatte. Nur das Make-up musste noch gemacht werden.

Lycia spielte beim Haus und ein Teil der Crew war bereits auf den Weg dorthin um alles vorzubereiten, ein anderer Teil drehte mit Kade Irons eine Szene in der Stadt, in der seine Rolle als Detective lebte und der Rest baute hier alles ab. Die Jagdhütte blieb stehen, denn der Abbau würde mehr kosten als der Aufbau. Wenn der Film erfolgreich werden würde, dann würden viele Menschen hierherkommen um die Stellen zu sehen, wo gedreht worden war.

Filmdrehs waren aufwendig.

Wenn die Szene nicht zwischen elf und dreizehn Uhr fertig gedreht wurde, mussten sie entweder eine komplett neue drehen oder aber bis zum nächsten Tag warten. Das war das Problem, wenn man von Umwelteinflüssen abhängig war. Würde es regnen, dann müssten sie warten, bis die Erde wieder trocken war und wenn sie Regen brauchten, dann mussten sie ihn mit viel Tricks faken. Doch für einen wahren Salvatorefilm war genau das authentisch. Das seltene Benützen von Studios, das Arbeiten mit natürlichem Licht. Klar konnte das Probleme hervorrufen, denn sie konnten wirklich nur dann drehen, wenn auch die Tageszeit stimmte, aber das machte alles so einzigartig und verdammt langwierig.

Und ließ viele Kritiker verstummen.

Der Weg zum Haus war kurz und kaum, dass sie unter dem braunen, baufälligen Zaun hindurchging, sah sie die ersten Zuständigen. Überall waren Schienen aufgebaut für die Kameras, die die verschiedenen Perspektiven flüssig filmen würden. Außerhalb des Sichtfeldes waren kleine Zelte aufgebaut, in denen die Schauspieler geschminkt werden würden. Der Film selber bestand abgesehen von den drei Hauptrollen, die Lycia selber, Kade und William Michaels spielten, nur aus kleineren Nebenrollen. Ansonsten konzentrierte sich der ganze Film auf die drei.

Das Haus selber war vor ungefähr achtzig Jahren einmal eine riesige Villa gewesen, doch nach dem Tod des letzten Erben der Natur übergeben worden. Die Farbe des Holzes splitterte an vielen Stellen ab und die Ecktürme waren mehr zerfallen, als das sie überhaupt existierten. Es beeindruckte sie jedes Mal, wie so ein Haus einfach stehen konnte, ohne, dass jemals irgendjemand das Grundstück gekauft hätte. Sie hätte die Abgeschiedenheit von Montana dem hektischen Treiben von New York vorgezogen, aber der größte Vorteil von Städten war, dass sie innerhalb weniger Minuten von A nach B kam.

Lycia hatte keine Zeit um die ganzen Sinneseindrücke zu verarbeiten, denn sie wurde von Mira bereits in eines der Zelte gezogen, ließ sich die Haare föhnen und ging währenddessen noch einmal im Kopf die nächste Szene durch.

Im Spiegel ihr gegenüber blickte ihr Spiegelbild sie ausdruckslos an: Die braunen, leicht gebogenen Augen und die braunen Haare, die in leichten Wellen über ihre Schultern fielen, die verblasste Narbe, die sie von einem Sturz von einem Baum davongetragen hatte, als sie ungefähr zehn Jahre alt gewesen war. Bronzene Haut und die gerade, lange Nase. So vertraut und doch wurden ihr ihre eigenen Züge jedes Mal fremd, wenn sie ihre Narbe geschickt überschminkten, ihre Augen größer wirken ließen, ohne sie wirklich aufdringlich zu schminken. Sie sah aus, wie sie selbst, aber dennoch war sie anders.

In dem Moment riss jemand mit einer vollen Wucht die Zeltplanen zur Seite und jeder, der sich im Inneren befand, zuckte zusammen. Genauso Lycia, die den Neuankömmling verwirrt im Spiegel musterte.

„Alice?", fragte sie ihre Tante, als deren gehetzter Blick den ihren traf. „Was ist geschehen?"

Ein mulmiges Gefühl bahnte sich in ihrer Magengrube an und sie wusste intuitiv, dass etwas geschehen war, etwas, das für den Verlauf des Filmes essentiell war.

„Es gab eine Planänderung," erklärte ihre Managerin und kam zögernd auf sie zu.

Verdammt, Planänderungen waren nie gut.

„Michael... Mr. Willian, der..., du weißt schon, wen ich meine, der andere Hauptdarsteller, der neben dir und Kade gespielt hätte, er ist ausgefallen."

Im Zelt wurde es augenblicklich totenstill und in Lycias Kopf jagten die verschiedensten Gedanken herum, schlugen Purzelbäume.

„W-was bedeutet das?", fragte sie nervös, versuchte ihre zitternden Finger unter Kontrolle zu bekommen. Würden sie den Film absagen? Würden sie die Dreharbeiten verschieben? Was, was war es?

Alice griff nach ihrer Hand und Lycia wusste, dass, was immer auch geschehen war, es katastrophal war. „Seine Frau ist wegen frühzeitigen Wehen ins Krankenhaus geliefert worden und es steht wirklich schlecht um das Baby. Er ist sofort ausgestiegen, als er das gehört hat, um für seine Frau da zu sein. Bemerkenswert, wirklich. Doch Darin... Mr. Salvatore hat sofort einen neuen Schauspieler gesucht und ihn ziemlich schnell gefunden."

Alice Händedruck wurde fester, als fürchtete sie sich vor den kommenden Worten, als wollte sie Lycia all ihre Stärke geben. Erst jetzt fiel Lycia auf, dass jeder im Zelt zuhörte, in seinem Tun innegehalten hatte und ihnen zusah, auf ihre Reaktion wartete.

„Sie haben... Warren hat angenommen. Warren Zetter spielt jetzt mit, er ist die dritte Hauptrolle."

This Is ActingWhere stories live. Discover now