Die Trennung

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"Sie wollte es so.", murmelt eine Stimme.

"Sie wollte sich definitiv nicht umbringen, Ian.", schreit Matty seinen Freund an.

"Beruhigt euch jetzt. Euer Rumgeschrei hat sie geweckt.", beendet Steven die Diskussion und blickt zu mir. Mein Kopf dröhnt, mir ist schlecht, ich will mich übergeben.

Die Blicke der Jungs liegen auf mir, was ist los? Wo bin ich?

"Was ist passiert?", krächze ich, meine Stimme ist futsch.

Steven kommt auf mich zu und setzt sich auf den hölzernden, quietschenden Stuhl neben mir. Während ich mich umsehe, bemerke ich, dass ich in einem Krankenhaus bin.

"Du hattest eine Überdosis. Theoretisch warst du schon tot, aber sie haben dich reanimiert.", spricht er.

So viel Enttäuschung liegt in seiner Stimme. Vorsichtig blicke ich zu Matty, wessen Blick ich nicht deuten kann.

"Mum kommt in ein paar Minuten wieder. Sie unterschreibt gerade die Papiere für den Entzug. Du wirst direkt überwiesen, wenn es dir besser geht.", erklärt er mir, ohne mich wirklich anzusehen. Er schaut immer knapp an mir vorbei.

Ich nicke einfach nur und gucke an mir herab. Eine klare Flüssigkeit fließt durch einen Port in meinen völlig entkräfteten Körper. Ich spüre etwas an meinem Bauch, aber will gar nicht erst nachgucken, da mir sowieso schon schlecht genug ist.

Ian verlässt schweigend das Zimmer und Steven blickt stumm aus dem Fenster. Ich habe es verbockt, ich habe alles ruiniert.

Entweder tot oder nicht tot, aber mein jetziger Zustand ist unerträglich. Ich vegetiere vor mich hin, will nicht mehr leben und habe es erst recht nicht mehr verdient. Mein Freund hat fest mit meinem Entzug gerechnet und ich habe ihm meine Einverständnis gegeben, aber verrecke dann fast an einer Überdosis.

"Es tut mir leid.", stottere ich eine schon längst überflüssige Entschuldigung heraus. Matty und Steven blicken mich beide an. Natürlich glauben sie mir nicht. Tatsächlich tut es mir wirklich leid. Nicht, dass ich fast gestorben bin, sondern, dass ich es erneut verbockt habe. Und sie somit immer wieder enttäusche und verletze.

"Könnt ihr bitte etwas sagen? Es tut mir wirklich leid.", wimmere ich verzweifelt. Sie ignorieren mich vollkommen und das bringt mich um meinen, sowieso schon kaputten, Verstand. Steven schnaubt verächtlich auf und läuft durch das Zimmer. Er explodiert gleich, aber schweigt dennoch.

Matty hingegen starrt mich an. Er starrt mich einfach nur an. Wir alle drei sind am Ende, aber niemand tut was dagegen.

"Hört auf! Redet mit mir! Bitte, das ist so unerträglich! Beschimpft mich, beleidigt mich, schreit mich an, bitte sagt nur irgendwas.", schreie ich heiser, was nun eine Regung bei beiden bewirkt.

Die Jungs tauschen einen Blick aus und blicken mich dann beide an. Sie sagen gleich etwas und ich habe Angst. Große Angst.

"Bedeute ich dir so wenig, dass du dich wirklich umbringen willst? Sind wir dir alle so egal?", spuckt mir Matty vor die Füße.

Ich will antworten, aber komme nicht dazu.

"Und mir sagst du noch, dass du entziehst. Dass du es diesmal ernsthaft versuchst. Macht es so viel Spaß uns anzulügen?", redet nun Steven weiter.

Sie haben das alles geplant. Das Schweigen, die darauffolgende Reaktion von mir und die jetzige Konfrontation. Deshalb sage ich nichts und lasse sie ausreden.

"Sind Drogen etwa das einzig wertvolle in deinem Leben? Sehen wir wie Luft aus? Hast du eigentlich schonmal daran gedacht, wie es für uns wird, wenn du nicht mehr da bist? Hast du das, Ava?", spottet mein Bruder. Er redet nie so mit mir, ich habe ihn verloren. Ich habe mich verloren. Ehrlich gesagt habe ich nie daran gedacht, wie eine Welt ohne mich aussieht, weil ich es nicht für relevant gehalten habe.

"Du denkst, dass du das alleine regeln kannst, aber das kannst du verdammt nochmal nicht. Und hältst du uns eigentlich für so bekloppt? Wieso sollten wir, wenn wir ununterbrochen in deiner Nähe sind, nicht bemerken, dass du wieder abhängig bist? Du bist das Letzte.", beendet er seine Rede und verlässt das Zimmer. Erneut weine ich, da ich nicht einmal weiß, was ich sonst noch tun sollte.

Steven blickt mich an und guckt mir beim Weinen zu. Er hat kein Mitleid mit mir, wieso sollte er auch. Trotzalledem sehe ich ihm an, dass er mich in den Arm nehmen will. Aber er wird es nicht tun. Diesmal wird er nicht mehr weich, diesmal gibt er nicht nach.

"Wenn du willst, kannst du auch gehen.", murmle ich und wische grob über mein Gesicht.

Steven kommt auf mich zu und setzt sich dann auf die Bettkante. Er blickt mir in die Augen und seufzt.

"Entweder stehe ich diesen Entzug jetzt mit dir durch oder du machst es ohne mich. Dann aber für immer. Dann belästige ich dich nie wieder.", spricht er und verzieht kein bisschen sein Gesicht.

Ich muss so oder so in den Entzug, aber kann frei entscheiden, ob ich Steven dabei haben will oder nicht. Theoretisch will ich ja, dass er mir beisteht und mich unterstützt, mir Kraft gibt. Andererseits werde ich ihn aber sowieso nur runterziehen, verletzen, demütigen. Ich kann egoistisch sein und ihn behalten, oder ihm ein besseres Leben schenken und ihn gehen lassen.

"Ich will nicht, dass du dein Glück von einer Drogensüchtigen abhängig machst. Und ich will nicht, dass du dir ständig Sorgen machen musst und mir beim Leiden zusiehst. Ich will das Beste für dich, aber das bin einfach nicht ich.", bringe ich die traurige Wahrheit heraus und versuche nicht zu hyperventilieren.

Das bricht mir mein Herz. Ich liebe Steven mehr als alles andere, er steht mir seit ich ihn kenne bei. Und nun verliere ich ihn, weil ich ein widerwärtiger Junkie bin.

Er nickt mehrmals und schließt dann seine Augen.

"Wenn das dein Wunsch ist.", wispert er und schluchzt laut auf. Genaugenommen habe ich gerade unsere Beziehung beendet.

"Krieg ich wenigstens noch einen letzten Kuss?", sagt er nach einiger Zeit Schweigen.

Wir weinen beide, aber man kann nie jedem alles recht machen. Ich nicke und vorsichtig nähert er sich meinem Gesicht. Er sieht mich an, als würde er jede einzelne Stelle meines Gesichtes analysieren, als würde er sich jede Struktur, jede Unebenheit, jeden Makel einprägen wollen. Als würde er mich danach nie wieder sehen.

Und dann, als unsere Lippen aufeinander treffen, spüre ich das ganze Leid der letzten Monate. Den Schmerz, die Arbeit hinter unserer Beziehung, die Trauer. Aber auch die unendliche, unbeschreibliche Liebe. Der Kuss dauert sehr lang, gefühlte Jahre, aber definitiv nicht lang genug.

Den schließlich steht er auf und läuft zur Tür.

"Ich hoffe, du schaffst es.", meint er zuletzt, lächelt und verlässt dann den Raum.

Werde ich ihn jetzt wirklich nie wieder sehen?

CleanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt