Der Rückfall

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"Lange nicht mehr gesehen, hm? Wie geht es dir?", fragt er mich und drückt seinen Körper kurz an mich. Man könnte sagen, dass wir so etwas wie Freunde waren.

Ich war schließlich seine treueste Kundin gewesen, wir haben oft zusammen gekifft.

"Könnt besser sein. Dir?", gebe ich mürrisch von mir.

"Ziemlich gut. Soll ich machen, dass es dir besser geht?"

Ich bin clean. Ich war im Entzug. Ich will das Zeug nie wieder anrühren.

Es ist falsch, ich sollte einfach wieder gehen.

"Ja."

Verdammt, was ist da gerade aus meinem Mund gekommen? Warum bin ich so ein Idiot? Warum tue ich mir das selbst an?

Tony greift in seine Jackentasche und hält mir seine klitzekleine Tüte unter die Nase. Das weiße Pulver grinst mich an, es verspottet mich, es lacht mich aus. Ich kann immer noch nein sagen, ich kann noch gehen.

"Das bekommste sogar umsonst. Damit du wieder lächelst.", meint er, gibt mir einen Kuss auf die Wange und steckt das Zeug in meine Jackentasche.

Dann kommt der Bus und Tony verschwindet. Schmeiß das Zeug weg, Ava.

Wirf es so weit weg, wie es geht. Verbrenn es, zertrample es. Zerstör es, bevor es dich zerstört.

"Warum, Ava?", höre ich jemanden hinter mir sagen. Ich drehe mich um und sehe die kleine Fette.

Sie ist mir schon einige Tage nicht mehr erschienen, ich freue mich wirklich sie zu sehen.

"Ich habs doch noch gar nicht genommen.", meine ich und sehe mich um. Niemand ist hier.

"Du wirst es aber nehmen. Warum tust du dir das an? Guck doch, wo ich gelandet bin."

Sie entspricht meinem Gewissen und mein Gewissen versucht mir einzureden, dass das gerade ziemlich falsch ist. Das weiß ich selber. Aber wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, ziehe ich es eigentlich immer durch. Ich bin so stur, so dumm und so so stur.

"Du wirst es bereuen.", versucht sie es weiter.

Das weiß ich. Natürlich werde ich es bereuen. Ich bereue das mit den Pillen ja jetzt schon. Wäre es kein Horrortrip gewesen, würde ich diese nun nicht mehr haben. Wahrscheinlich hätte ich täglich eine eingeschmissen.

"Ava, bitte."

Sie sieht verzweifelt aus.

"Sind wir dann nicht quitt?", meine ich und laufe los. Ich laufe in den Wald, damit mich ja keiner sieht.

Die kleine Fette läuft hinterher, sie versucht mich immer noch davon abzuhalten. Sie redet ununterbrochen auf mich ein, aber ich ignoriere sie. Es ist sowieso nur meine Vorstellungskraft, ich bin ganz alleine.

Ich krame in meiner Jacke und finde eine alte Fahrkarte, perfekt.

"Hör auf!", schreit sie.

Ich schnaube verächtlich auf und hole das Päckchen aus meiner Jackentasche. Es fühlt sich gut an, es riecht gut, es sieht so schön aus. Und als es in Berührungen mit meinem Körper kommt, fühle ich mich frei. Ich fühle mich erfüllt. Wer braucht schon Conor, wenn man sowas hat?

Warum um Gottes Willen habe ich damit aufgehört?

"Dann stirb doch.", ist das letzte, das Patricia sagt, bevor sie verschwindet.

Ich lache und setze mich auf den Boden. Die soll ihre Klappe halten, sie hat mich verlassen. Außerdem kann sie doch glücklich sein, so sind wir uns ganz nah.

Die Zeit vergeht und innerhalb von wenigen Minuten wird es hell. Mein Kopf brummt, ich will schlafen. Langsam stehe ich auf und fall erst einmal voll auf die Fresse. Na geil.

Ziemlich langsam laufe ich dann nachhause. Meine Beine sind schwer, sie ziehen mich zu Boden.

Schade, dass Koks nur so kurz wirkt. Das gute Gefühl hätte ich echt länger brauchen können.

Ich stehe vor meiner Haustüre, einen Schlüssel habe ich natürlich nicht, weshalb ich klingeln muss.

Nach etwa einer Minute macht mir ein verschlafener Matty auf. Er begutachtet mich erschrocken und sieht plötzlich nicht mehr so müde aus.

"Heilige Scheiße, Ava. Wo warst du? Ich hab das gar nicht alles mitbekommen, jemand hat mir erzählt, dass was zwischen dir und Steven war und Conor abgehauen ist. Wie geht es dir? Was ist passiert?"

Er spricht so schnell, dass er sich verschluckt und zu husten anfängt.

"Steven hat mich geküsst, Conor hat es gesehen. Jetzt bin ich Single.", spreche ich die ernüchternde Wahrheit aus.

Es tut weh, das zu sagen. Gut, Conor war sowieso nicht meine große Liebe, aber es schmerzt trotzdem.

"So ein Idiot.", murmelt er.

"Conor?"

Mein Bruder schüttelt den Kopf.

"Nein, Steven natürlich."

Ja, selbstverständlich ist Steven ein Idiot. Ich dachte er wäre mein Freund und stattdessen küsst er mich, obwohl ich vergeben bin. Das wars dann wohl mit der Freundschaft.

"Muss ich mir wohl 'nen neuen besten Freund suchen.", murre ich und laufe ins Haus. Mum kommt heute wieder, na super.

"Nein, warum denn?"

Matty ist ein Idiot. Der glaubt doch nicht wirklich, dass jetzt alles Friede Freude Eierkuchen ist. Sicher nicht.

"Er hat meine Beziehung ruiniert, nur weil er mal ein bisschen Bock auf rummachen hatte. Er hätte auch einfach irgendeine Tusse fragen können."

Während Matty und ich reden, trotte ich langsam in die Küche, um mir etwas zu essen zu machen. Es wundert mich ehrlich gesagt, dass Matty nicht merkt, dass ich rückfällig geworden bin. Es steht mir auf die Stirn geschrieben. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein.

"Und ich dachte, ich bin dumm."

Oh scheiße, er hat es gemerkt. Er denkt, dass ich denke, dass er es nicht bemerkt. Ok, cool bleiben.

"Was meinst du?", frage ich scheinheilig und lege eine Scheibe Käse auf mein Brot. Man, ich hätte jetzt Lust auf Pommes.

"Es ist doch sowas von offensichtlich, dass er dich liebt, Ava. Er hat es dir sogar gesagt. Warum rennst du davor weg?"

Oh, das meint er. Mh.

"Das meint Steven nicht ernst. Er ist nur gerade Single und alleine, weshalb er ein bisschen Nähe sucht. Nur ich bin da die Falsche.", sind meine letzten Worte und dann beiße ich in mein Brot. Es ist trocken, weshalb ich mir etwas zu trinken hole.

"Er liebt dich verdammt nochmal.", schimpft mein Bruder und geht dann einfach aus dem Raum.

Er lässt mich alleine, so wie jeder es tut.

Mittlerweile sitze ich in meinem Zimmer, eine Pille von Ian und eine Flasche Wein intus und frage mich, ob das hier alles einen Sinn hat. Wofür lebe ich denn?

Dafür, dass ich tief falle und dann wieder auferstehe? Nach aufstehen oder klarkommen sieht das momentan aber wirklich nicht aus. Ich falle tief. Und ich falle schon wieder so tief, dass ich keinen Weg aus dem Loch heraus finden werde.

Wie alle wohl reagieren, wenn sie erfahren, dass ich einen Rückfall hatte? Von Koks bin ich nicht abhängig, das wird man wirklich nicht so schnell. Aber mein Verlangen danach und nach Gras ist sehr groß. Von Ians Pillen komme ich nicht mehr weg, sie sind zu geil. Mittlerweile hatte ich auch keinen Horrortrip mehr. Danach hab ich mich zwar scheiße gefühlt, aber dass hat die Flasche Wein wett gemacht.

Jup, ich bin definitiv clean.

CleanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt