Die kleine Fette

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Danach gehen wir zu uns nachhause, als wäre nie etwas passiert. Wir reden nicht mehr über James oder den Kuss. Wir reden über ganz belanglose Dinge.

Der Kuss war schön, leidenschaftlich, traurig.

Die Freundschaft zwischen mir und Steven ist komisch. Da ist mehr zwischen uns als Freundschaft, aber nie genug für eine Beziehung oder Ähnliches.

"Hey, wo wart ihr?", fragt Ian, als wir zur Tür reinkommen.

Er und Matty sitzen in der Küche und frühstücken. Wow, die haben ja lange gepennt.

"Skaterpark.", antworte ich und hole mir etwas zu trinken.

Ich biete Steven ebenfalls etwas an, aber er lehnt ab.

"So früh?", fragt mich Matty dann und ich sehe auf die Uhr. Es ist kurz nach 12, also nicht mehr wirklich früh.

"Nur weil ihr so lange pennt.", mischt sich nun auch Steven ins Gespräch ein.

Matty guckt uns kritisch an, aber sagt nichts weiter.

"Wo ist Mum?", frage ich nach einer kurzen Pause.

"In die Klinik gefahren."

Was? Warum das denn? In meine Entzugsklinik? Oh Gott, muss ich da schon wieder hin? Vielleicht hat sie das mit dem Bier rausbekommen.

Matty sieht meinen geschockten Gesichtsausdruck und redet weiter.

"Dein Arzt wollte was mit ihr bereden. Er hat ihr anscheinend eine Stelle angeboten."

Ich vergaß, dass meine Mutter Krankenschwester ist. Aber sie hat bereits einen Job.

"Da wird sie besser bezahlt.", redet Matty weiter, als hätte er meine Gedanken gehört.

"Na und? Wir brauchen das Geld nicht, wir haben genug. Dads Unterhalt und Opas Erbe reicht ein Leben lang."

Mein Vater hat uns bei meiner Geburt verlassen. Hat bestimmt gespürt, was für 'n scheiß Kind ich werde. Was auch immer, ich kann den Kerl nicht leiden. Wegen dem hat Mum ein Rad ab.

"Unterhalt zahlt er nur bis wir 18. sind, Ava. Und das Erbe, Mum wird es wenn wir achtzehn sind gerecht zwischen uns Beiden aufteilen. Sie wird sich davon nicht ein Stück nehmen."

Was? Das ist ja die dümmste Scheiße, die ich je gehört hab. Erstmal, wieso kann mein Erzeuger nicht lebenslang zahlen? So macht er sein Abhauen wieder wett. Und das Erbe ist echt großzügig, da wäre es schwachsinnig, wenn Mum nichts behalten will.

"Will sie auf der Straße enden?", frage ich völlig ernst, aber Matty fängt zu lachen an.

Was gibt's denn da jetzt zu lachen, du Holzkopf.

"So dumm ist sie auch nicht. Auch wenn du das jetzt denkst."

Stimmt, tu ich.

"Sie legt sich bis wir volljährig sind monatlich etwas bei Seite. So hat sie genug zum Leben, aber nicht genug um gut zu leben. Deswegen der Job."

Verständnislos guck ich meinen Bruder an. Kein Mensch kann so selbstlos sein, meine Mutter schon gar nicht. Vielleicht will sie sich ja wenn Matty und ich ausgezogen sind das Leben nehmen und braucht deswegen keine Kohle mehr.

Obwohl Matty weiter über das Thema reden will, blocke ich ab und ignoriere ihn. Ich bin mit dem Thema fertig und werde mich höchstens noch einmal mit meiner Mutter darüber unterhalten.

Ohne noch ein Wort zu sagen, verlasse ich dann unser Haus. Ich sollte mir echt mal nen Ipod besorgen, wenn ich schon kein Handy benutz. Ich vermiss meine Musik.

"Wo willst du hin?", ruft Matty mir hinterher.

Ich drehe mich um und sehe ihn mit Steven an der Haustüre stehen. Dieser zieht gerade seine Schuhe an. Er kommt mit, obwohl er nicht einmal weiß, wo ich hingeh.

"In die Klinik.", rufe ich zurück.

Matty rennt in Socken zu mir und stellt sich dann vor mich.

"Das ist keine gute Idee, Ava. Du wirst mit deiner Vergangenheit konfrontiert, außerdem wolltest du da nie wieder hin. Wieso jetzt? Wegen Mum? Du kannst auch später mit ihr reden."

Er ist so ein Schwachkopf. Aber irgendwie ist es auch niedlich, wie er sich sorgt.

"Ich will die kleine Fette besuchen und gucken, wie es ihr geht. Und Mum juckt mich n' Scheiß. Außerdem werd ich immer und überall mit meiner Vergangenheit konfrontiert. Ich kann nicht ewig weglaufen, Matty."

Er seufzt, denn er weiß, dass er mich nicht umstimmen kann.

"Dann fahrt wenigstens mit dem Auto."

Stevens Auto ist um die Ecke geparkt. Ich hab ganz vergessen, dass die alle schon fahren können. Ich sollte echt mal mit meinem Führerschein anfangen.

Es ist seltsam mehr Zeit mit ihm zu verbringen, als mit Matty. Ich gebe es nicht gern zu, aber durch meinen Absturz haben wir uns von einander entfernt.

"Ich mach Musik an, okay?"

Ich nicke bloß. Ich bin mir sicher, dass er sowieso keinen guten Musikgeschmack hat. Er macht Green Day an.

"Steven!", rufe ich aufgebracht, sodass er zusammenzuckt.

"Was denn?"

"Ich glaub, wir sind Seelenverwandte.", prophezeie ich ihm und bring ihn somit zum Lachen.

Ich habe wirklich Angst, dass unsere Freundschaft an irgendwas zerbricht. Er ist mein bester Freund. Naja, ich hab halt keinen anderen männlichen Freund. Vielleicht Ian und möglicherweise Dylan. Aber mit dem will ich nicht nur Freundschaft.

Wir kommen viel zu schnell bei der Klinik an, ich sehe das Auto meiner Mutter.

"Warten wir noch kurz.", sage ich zu Steven und er nickt bloß.

Er greift unter seinen Sitz und holt eine Zigarettenschachtel daraus.

"Was soll das?"

Er hat gesagt, er ist nur Partyraucher.

"Hab 'ne Krise ok?"

Also lass ich ihn. Auch wenn es mir nicht gefällt, aber ich kann ihm ja sowieso nichts vorschreiben.

"Dann gib mir auch eine."

"Was? Nein, spinnst du?"

Er zündet sich seine Zigarette an und zieht einmal daran, bevor ich sie ihm weg nehme und in meinen Mund steck. Ich hab Angst zu ziehen, weil ich bestimmt husten muss.

"Immer wenn du eine rauchst, rauche ich jetzt auch eine."

Dann ziehe ich daran und lasse den Rauch vorsichtig in meine Lunge. Es schmeckt ekelhaft und beißt im Hals. Es ist lang nicht so angenehm wie kiffen.

"Nicht dein Ernst, Ava. Dann rauch ich ja nie wieder."

Zufrieden nicke ich, ziehe noch einmal an der Kippe und geb sie ihm dann wieder.

Er raucht sie zu Ende und dann gehen wir zur Klinik.

Ich freue mich auf die kleine Fette, ich hab sie vermisst. Und ich weiß, dass sie mich auch vermisst.

"Hallo Mutter."

Meine Mutter dreht sich erschrocken um und guckt mich und Steven kritisch an.

"Was suchst du denn hier?"

Die ist aber happy ihre Tochter zu sehen.

"Will Patricia besuchen."

Echt komisch, nicht kleine Fette zu ihr zu sagen.

Mein Arzt gesellt sich zu uns und guckt mich niedergeschlagen an. Was denn mit dem los? Hat er wieder keine Patientin rumgekriegt oder was?

"Patricia ist heute früh gestorben."

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