Der geheimnisvolle Ort

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Scorpius sitzt mit dem Rücken zu mir an seinem Schreibtisch. Er schaut aus dem Fenster und sitzt so bewegungslos da, dass man meinen könnte, er wäre eine Statue. Ich schließe die Tür leise hinter mir und sehe mich in seinem Zimmer um.

An der linken Wand steht ein Himmelbett aus dunklem Holz. Es ist so groß, dass drei Leute darin schlafen könnten. Daneben steht sein Kleiderschrank. In der Ecke zwischen Kleiderschrank und Schreibtisch befindet sich eine runde Tür, die, wie ich vermute, zu seinem eigenen Badezimmer führt.

Ich räuspere mich, denn ich bin mir nicht sicher, ob Scorpius mich noch nicht bemerkt hat. Doch eigentlich besteht kein Zweifel. Ich bin so laut gewesen, dass er mich einfach gehört haben muss. Scorpius fährt erschrocken herum. Dann hat er mich also doch noch nicht bemerkt.

"Hallo", stammele ich. Mir fällt nichts ein, was ich zu ihm sagen könnte. Das letzte Mal, als wir miteinander geredet haben, sind wir in einem Streit auseinander gegangen. "Hi", begrüßt er auch mich. Aber Scorpius scheint nicht erfreut darüber zu sein mich hier zu sehen. Sicher wollte er nicht mit mir reden - immerhin ist er nicht unten beim Abendessen gewesen und hat seinen Dad alleine mit uns essen lassen.

"Hör mal!", beginne ich, doch Scorpius unterbricht mich, in dem er seine Hand hebt. Mein geöffneter Mund klappt zu. "Spar dir deine Worte.". Ich bin am Ende eines Nervenzusammenbruchs. Ich habe nicht geahnt, dass er so sein würde. Natürlich habe ich mir ausgemalt, dass wir uns wieder versöhnen würden. Er würde mir vergeben und wir würden wieder zusammen lachen können. Doch die Seifenblase, in der ich mein Wunschdenken aufbewahrt habe, zerplatzt bei diesen vier Worten.

Doch ich würde nicht Lily Potter sein, wenn ich mich damit zufrieden geben würde. "Du kannst mich nicht dazu zwingen, meine Klappe zu halten. Ich werde dir jetzt alles erklären und mir ist es egal, ob du mir dabei zuhörst oder nicht!", sage ich mit neuem Selbstbewusstsein und gehe hinüber zu einem Sofa, auf das ich mich setze, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt.

Scorpius macht keine Anstalten, darauf zu antworten, also fahre ich fort: "Damals, als ich Jack auf den Astronomieturm gefolgt bin, haben wir das erste Mal unter vier Augen gesprochen. Er hat mich gefragt, ob ich ihn denn gar nicht wieder erkennen würde. Dann sagte er, wir seien mal beste Freunde gewesen, als wir noch zusammen im Sandkasten gespielt haben. Jack wollte unbedingt, dass wir uns wieder anfreunden würden. Mehr war und ist da nicht!", beteuere ich.

Anscheinend ist Scorpius' Interesse geweckt, denn er fragt: "Und, was hast du geantwortet? Seid ihr jetzt wieder beste Freunde?". Was soll ich darauf antworten? Ich habe Jack noch nichts auf diese Frage geantwortet. Und ich habe mir auch noch nicht viele Gedanken darüber gemacht, denn meine Gedanken waren stets bei dem einen: "Den einzigen besten Freund, den ich haben möchte, bist du.".

Darauf folgt Stille. Sie drückt so schwer auf meine Ohren, dass ich mich wie betäubt fühle. Und ich frage mich schon, ob ich etwas Falsches gesagt habe, als Scorpius plötzlich aufsteht und in Zeitlupentempo auf mich zu kommt. Bis er mich in seine Arme schließt, vergehen gefühlte Stunden.

"Haben wir uns wieder vertragen?", frage ich sicherheitshalber und schaue hoch in sein blasses Gesicht. Der eine Muskel an seinem Kiefer zuckt leicht und er hat dunkle Ringe unter den Augen. Unser Streit hat ihm bestimmt auch einige Nächte lang den Schlaf geraubt. Scorpius nickt nur.

"Ich will dir etwas zeigen!", meint er nach einer Weile, in der wir nur dastanden. Ich folge ihm aus der Tür hinaus und wir stehen im südlichen Flügel. Danach gehen wir die große Treppe hinunter, in das erste Stockwerk, wo man gedämpfte Stimmen aus dem Esszimmer hören kann. Natürlich ist es unhöflich, an Türen zu lauschen, aber ich kann dem Drang trotzdem nicht widerstehen und gehe hinüber zur Tür.

"...also Schulleiter von Hogwarts?", hört man gerade die kalte, hochnäsige Stimme von Mr. Malfoy. Mein Dad antwortet auf die gestellte Frage: "Es bereitet mir viel Freude, diese Schule zu leiten. Man fühlt sich dann doch wieder so, wie als man damals als Kind durch das Schloss spaziert ist und alles erkundet hat.". Wieder ertönt die schnarrende Stimme von Mr. Malfoy: "Sie fühlen sich also wie ein Kind? Das sieht Ihnen sehr ähnlich, Mr. Potter.".

Ich schnappe nach Luft. Das ist nicht wirklich höflich gewesen! Und mein Dad wird sich jetzt auch nicht mehr unter Kontrolle haben können. Doch Mom rettet die Situation: "Sehr lecker, diese Pastete, Mr. Malfoy!". Ich grinse in mich hinein. Mom weiß wirklich, was man in solch einer Situation sagen muss. Bestimmt sind Mr. Malfoy und Dad jetzt so verwirrt über diesen plötzlichen Themenwechsel, dass sie vergessen, sich gegenseitig zu schikanieren.

"Komm!". Scorpius zupft am Ärmel meines Pullovers. Ich folge ihm nach draußen, durch den riesigen Garten, welcher noch zum Anwesen der Malfoys gehört. Ich bewundere die gerade geschnittenen Buchsbäume und den millimeterkurz gemähten Rasen, als wäre er mit einem Lineal gemessen.

"Wir haben eine Hausfrau. Sie kümmert sich um den Haushalt und um unseren Garten.", erklärt Scorpius, der meinem Blick gefolgt ist. Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. Wir haben nicht mal so viel Geld, um uns eine Haushaltshilfe leisten zu können. Aber die Malfoys werfen nur so mit Geld um sich!

Wir kommen an einem See an. "Hier ist es!", sagt Scorpius und macht eine ausladende Handbewegung. "Wow" ist das Einzige, was ich herausbringe. Aber dieses Wort beschreibt unser Umfeld schon ganz gut. Wir stehen auf einem kleinen Hügel, neben uns steht ein Baum mit violetten Blättern. Ich habe noch nie einen Baum solcher Art gesehen und weiß auch nicht, ob diese Art überhaupt existiert. Im Tal unter uns befindet sich der See, in allen nur erdenklichen Blautönen. Türkis, hell- und dunkelblau. Dann geht er in grüntöne über: Hell- und dunkelgrün, sowie ein saftiges grasgrün. Ich weiß gar nicht, wo ich als erstes hinsehen soll.

"Gefällt es dir?". Was für eine Frage. Natürlich gefällt es mir! Aber ich nicke nur, weil ich noch immer nichts sagen kann. "Dieser Ort ist nur für Zauberer sichtbar. Ich habe ihn mal früher beim Spielen entdeckt.", erklärt Scorpius. Wir gehen hinüber zu einem Steg, der wie aus dem nichts am See aufgetaucht ist.

Wir setzen uns nebeneinander hin und schauen schweigend auf das Wasser. Ich bette meinen Kopf auf seiner Schulter, die, wie ich in diesem Moment feststelle, unnatürlich weich ist. "Ich bin froh, dass wir uns wieder vertragen haben.", lege ich meine Gedanken offen dar. "Ich auch. Streiten ist anstrengend.", gesteht Scorpius und ich muss lächeln. Alles an diesem Ort und an der Situation ist einfach wunderbar. Ich wünschte, die Zeit würde stehen bleiben. Für immer.

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Hey,
ich möchte mich bei denjenigen bedanken, die mir in die Kommentare schreiben, wie sie meine Story finden. Es macht mich echt glücklich, eure Kommentare zu lesen 💞
Aber ich würde es natürlich auch gut finden, wenn noch viel mehr von euch, etwas in die Kommentare schreiben ✨
Ein schönes Wochenende euch allen!

Eure Vilureef

Die Tochter Harry Potters Where stories live. Discover now