Albträume und der große See

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Ich schlängele mich durch die Masse der Menschen. Alle Menschen weichen vor mir zurück und fallen tot um, sobald sie mir in die Augen sehen. Es ist ein schönes Gefühl der Genugtuung, allen Angst einzujagen. Ich fühle mich mächtig.

Weiter bewege ich mich in Schlangenlinien fort und komme bald in einem Raum an. Dieser Raum ist mir sehr bekannt, genau wie die Person, die hier vor mir steht. Sie sieht mich mit großen Augen an. Dann fällt sie langsam gen Boden und schlägt mit einem dumpfen Geräusch auf.

"Neeeeeeeiiiiiiinnnn!". Ich schlage meine Augen auf. Ich bin schweißgebadet, mein Schlafanzug klebt eklig an meinem Rücken. Ich keuche, gerade so, als wäre ich eben einen Marathon gelaufen. Neben mir schreit Summer leise im Schlaf. "Nein, nein, aufhören. Bitte...ich will nicht.".

Sicher hat sie einen schlimmen Albtraum, genau wie ich eben einen hatte. Ich habe gesehen, wie die Maulende Myrte gestorben ist. Sicher war das nur die Verarbeitung der Informationen, welche sie mir über ihren Tod erzählt hat. Doch trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass etwas mit diesem Traum nicht stimmt. Er hat sich so real angefühlt.

Ich war in einem anderen Körper. Alle Menschen um mich herum sind gestorben, bevor ich überhaupt das Wort "Tod" in den Mund nehmen konnte. Es war komisch, sehr komisch.

Seufzend stehe ich auf und stelle mich leise ans Fenster. Ich versuche, so wenig Lärm wie möglich zu machen. Dunkles Licht fällt auf das Schlossgelände, die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Ich habe nicht vor, wieder in den Verbotenen Wald zu gehen. Ich habe auch keine Lust darauf, überhaupt raus zu gehen. Am besten, ich schleiche mich hinunter in den Gemeinschaftsraum und lese in einem der Sessel am Kamin in meinem Zaubertrankbuch.

Plötzlich nehme ich eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahr. Mein Kopf schnellt herum. Dort unten kommt eine Gestalt aus dem Schatten des Schlosses. Ich kann sie von hier oben nicht erkennen, noch schwieriger zu erkennen ist sie außerdem auch noch durch den schwarzen Mantel, den die Gestalt trägt.

Neben ihr läuft noch eine Gestalt, etwas Kleineres, doch im Gegensatz zu der ersten Person muss es sich hier um ein Tier handeln. Die beiden laufen gemütlich am Schloss entlang, aber ich spüre, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht.

Die Beiden kommen nun nahe ans große Schlossportal und das Licht, welches aus der Eingangshalle dringt, wirft Streifen auf die zweite Gestalt. Mir bleibt mein Herz stehen, nur um dann doppelt so schnell weiterzuschlagen: Das ist doch der kleine Hund, der mir schon zu Hause begegnet ist und hier, im Verbotenen Wald! Offensichtlich bin ich nicht die Einzige, die öfter mal Gesellschaft von ihm bekommt...

Durch meine Erkenntnis habe ich nicht mitbekommen, wohin die beiden noch gegangen sind. Sie sind spurlos verschwunden. Mist, ich habe sie aus den Augen verloren!

Enttäuscht wende ich meinen Blick vom Fenster ab, ziehe mich an und mache mich auf den Weg nach unten zum Gemeinschaftsraum, wo ich bleibe, bis die ersten Schüler mir Gesellschaft leisten.

Als ich gerade von meinem Croissant abbeißen will, steigt die Lautstärke in der großen Halle unerwartet schnell an. Ein Chaos bricht aus, als die verzauberte Decke verdeckt wird. Hunderte von Eulen tümmeln sich an der Decke und halten nach ihren Besitzern oder nach den Empfängern ihrer Post Ausschau.

Erwartungsvoll schaue ich nach oben, vielleicht hat Mama mir ja auf den letzten Brief geantwortet? Plötzlich platscht es laut. Ich drehe meinen Kopf in die Richtung, aus der das Geräusch kam: Vor mir sitzt eine mit einer gelblichen Masse bekleckerten Ruby. Im ersten Moment kommt mir der schreckliche Verdacht, dass Ruby mit einer nicht sehr appetitlichen Substanz bespritzt worden ist. Doch dann sehe ich den Teller Rührei vor ihr und den darin liegenden Brief.

Angewidert und mit verzerrtem Gesicht holt Ruby den Brief vorsichtig aus ihrem Frühstück. Nach einem Blick darauf, sagt sie: "Deine Eule ist scheinbar nicht so zielsicher.". Und dann reicht sie mir den Brief rüber.

Ich nehme ihn mit spitzen Fingern entgegen und schaue unwillkürlich nach oben an die Decke. Augenblicklich entdecke ich Raven, die im Sturzflug auf mich zu kommt und sich dann ungewöhnlich sanft auf meine Schulter niederlässt. Ich gebe ihr etwas von meinem Croissant, da sie sicher hungrig vom Flug ist, und öffne dann - neugierig wie ich bin - den Brief:

Liebe Lily,
als ich deinen Brief gelesen habe, musste ich sofort an meine Zeit in Hogwarts denken. Mir ging es damals genauso: In der ersten Woche habe ich so viel erlebt, wie in meinem ganzen Leben noch nicht. Doch trotz der vielen Abenteuer ging die Zeit in Hogwarts so schnell zu Ende, als würde sie wie Sand durch meine Finger rinnen und ich bekam sie gar nicht zu fassen, so schnell war sie weg.
Hast du eigentlich schon mit Hagrid gesprochen? Was hat er erzählt?
Und als Dad mir das mit deiner Ohnmacht erzählt hat, wäre ich fast vom Stuhl gefallen! Hätte er mich nicht besänftigt, wäre ich glatt zu dir nach Hogwarts gekommen.
Es freut mich außerdem sehr, dass dir Zaubertränke so gut gefällt und du dich mit dem Lehrer verstehst, ich selbst war immer eine schlechte Schülerin in diesem Fach, aber deine Oma soll Jahrgangsbeste gewesen sein.
Ich habe dir übrigens noch zwei Ketten in den Umschlag gesteckt, die dein Opa in einem Muggelladen gekauft hat und sie dann verzaubert hat, damit sie wirklich wirken.
Der Saphir an der einen Kette steht für Verständnis. Er soll dir helfen, fair und ein guter Zuhörer zu sein.
Der Obsidian soll dir helfen, wichtige Entscheidungen zu treffen, ich weiß ja, dass dir das manchmal schwerfällt.
Hoffentlich hast du schon viele Freunde kennengelernt und dich noch nicht in Gefahr gebracht.
Wir sehen uns bald in den Winterferien!

Deine Mum

Ich greife in den Umschlag und hole die beiden Ketten heraus. Sie sehen sehr schön aus und ich finde die Idee mit den Steinen und den Eigenschaften sehr gut. "Die sind ja schön.", meint Ruby und ich nicke nur zustimmend.

Ein anderer Gedanke macht mir zu schaffen: Soll ich Mum fragen, ob sie davon weiß, dass Dad nach Slytherin gepasst hätte? Oder würde sie sich dann Sorgen um mich machen? Meine Gedankengänge werden jäh unterbrochen...

"Hey, Lily, hast du Lust, vor dem Unterricht noch schnell im Schwarzen See baden zu gehen?". Plötzlich tippt mir jemand von hinten auf die Schulter. Ich drehe mich um und vor mir stehen Hugo und Rose, mein Cousin und meine Cousine. Ich sage: "Klar, habe ich Lust. Wollen wir gleich losgehen?" und erhebe mich schon von meinem Stuhl. Den Umschlag mit dem Brief und den Ketten stecke ich in die Hosentasche meiner Jeans, die ich unter meinem Umhang trage.

"Tschüs, Raven, ich werde versuchen, dich mal in der Eulerei besuchen zu kommen. Vielleicht habe ich dann auch einen neuen Auftrag für dich! Aber bis dahin solltest du dich noch ein bisschen ausruhen.", verabschiede ich meine Eule, die immer noch auf meiner Schulter hockt.

Beim Herausgehen spüre ich einen Blick in meinem Nacken und drehe mich um. Ich starre in ein paar eisgrauer Augen und kann meinen Blick gar nicht abwenden, bis Rose mich mit sich zieht.

Als wir drei den See schon vom Weitem sehen, machen wir uns erst gar nicht die Mühe, unsere Kleidung abzulegen. Wir nehmen Anlauf und springen zu dritt gleichzeitig in den See. Als mein Kopf durch die eiskalte Wand der Wasseroberfläche dringt, sind meine Sorgen vergessen. Der Albtraum, der Hund und die Gestalt auf dem Schlossgelände, mein Dad, alles lasse ich über dem Wasser zurück. Wenigstens für einen kurzen Moment...

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Hey,
ich melde mich wieder mit einem neuen Kapitel. Ich bin jetzt wieder zu Hause und kann dieses Kapitel hier updaten ✨
Ich hoffe, es war nicht so schlimm, dass jetzt lange kein Kapitel mehr kam.
Ich freue mich über die 252 Reeds und bedanke mich bei euch dafür, dass ihr meine Geschichte lest 💞

Eure Vilureef

Die Tochter Harry Potters Where stories live. Discover now