Kapitel 2:

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Krampfhaft versuchte ich mich zu wehren.
Versuchte zu verstehen, was ich hier gerade machte oder warum ich eigentlich hier war.
Mein Kopf dröhnte und ich schloss meine Augen, versuchte die aufkeimenden Erinnerungen zu verdrängen.

Ich wollte abschließen.

Wollte dieses Haus noch zum letzten mal in diesem Zustand sehen, wollte es nach diesem Besuch für immer aus meinem Leben verbannen. Doch es war nicht möglich, denn es war schon immer ein Teil meiner Vergangenheit gewesen, der sich schon längst in mein Gehirn gebrannt hatte.

Egal, wie sehr ich es auch versuchte. Immer und immer wieder wurden mir die Narben erneut aufgerissen. Es fraß mich von innen, sowohl auch von außen auf.

Und nun bin ich hier, dachte es wäre der perfekte Zeitpunkt neu anzufangen. Doch nun wünschte ich mir, nie hier her gekommen zu sein.

Ich hob meinen Kopf und erblickte die zerbrochenen Scherben, die zwar klein waren, doch scharf genug waren, um das Leben eines Menschen zu beenden.
Tränen bahnten sich den Weg über meine Wangen und landeten auf dem kalten Boden. Das Bild klemmte dennoch im Rahmen und war unbeschadet. Es war noch so unglaublich perfekt.

Meine Familie blickte mich glücklich an. Meine Großeltern hatten sich auf zwei Stühle gesetzt und meine Eltern standen hinter ihnen. Zwischen ihnen war mein Bruder, um den sie ihre Arme legten. Masons Lachen war warscheinlich das einzige, das nicht echt war. Er war nicht glücklich, dass er ohne mich da stand.

Dass dieses Bild noch das einzige war, was ich von ihnen noch hatte, war mir egal. Ich konnte diese glücklichen Gesichter, die mich sonst immer abwärtend betrachtet hatten, nicht mehr sehen. Denn sie lachten mich nicht an, sondern lachten mich aus.

Mein Herz stach höllisch und das Atmen fiel mir schwer. Ich stützte mich nun mit meinen Händen am Boden ab und kniff meine Augen erneut zu, um meine Gedanken zu ordnen.

Es ist vorbei, Rose.
Es ist vorbei!

Sie werden nicht mehr kommen und das sollen sie auch nicht mehr in Gedanken!

Als ein schriller Ton ertönte zuckte ich auf und griff in meine schwarze Rocktasche.

Ich hatte mich für einen schlichten schwarzen Rock und einer einfachen weißen Bluse entschieden, da ich nicht lange meine Gedanken für mein heutiges Outfit verschwenden wollte.

Als der schrille Ton erneut durch meine Ohren drang schnaubte ich genervt auf. Wie ich diesen Klingelton abgrundtief hasste, doch die Zeit, die ich brauchte um ihn zu wechseln, hatte ich in letzter Zeit nicht gehabt und wenn es mal die Zeit dafür gab, hatte ich den grässlichen Klingelton auch schon vergessen.

Die harmlosesten Dinge vergaß man leicht, die eher belastbaren Dinge jedoch nicht.

,,Ja?", fragte ich ohne einen Blick auf den Anrufer zu werfen, da ich eigentlich fast keine Kontakte besaß, ausser vielleicht meine beste Freundin, meinen Bruder und ein paar Menschen aus der Berufsschule, mit denen ich früher oder später sowieso nichts mehr zu tun haben werde. Doch Kate war schon immer diejenige, die Kontakte geknüpft hatte und diese mir zugeschoben hatte, um auch Freundschaften knüpfen zu können. Ich war jedoch nicht Kate. Meine Absichten waren es, sowenig wie möglich Kontakt zu anderen Menschen aufzubauen, da diese einen am Ende sowieso hintergehen würden.
Zumindest hatte ich schlechte Erfahrungen gemacht.

„Verdammt, wo bist du?!", ertönte Kates Stimme aus der anderen Leitung. Sofort stand ich auf.

Mist, ich hatte gar nicht mehr auf die Uhr geschaut. Ich war definitiv zu spät!

„Ist Mrs. Robertson schon eingetreten?", war das einzige, was ich rausbrachte und versuchte mir nichts anzumerken.
Warum musste die Nase bloß immer beim Weinen anfangen sich zu verstopfen?
Sie verriet einen viel zu oft.

Doch wegen ihrer Aufregung, mir gegenüber, hatte sie gar nicht bemerkt, dass meine Stimme anders klang, sodass sie gar nicht erahnen konnte, dass ich gerade einen Heulanfall hatte. Ich wischte mir meine Tränen weg und fuhr mir durch die Haare, was mir nicht sonderlich leicht fiel, da ich heute ausnahmsweise einen Pferdeschwanz trug. Das bedrückende Gefühl, was immer noch vorhanden war, versuchte ich bestmöglichst zu unterdrücken. Ich schloss meine Augen.

'Zerbreche dir zuhause deinen Kopf, aber nicht jetzt', riet mir meine innere Stimme. Weise wie eh und je.

„Sie kam sogar pünktlich", schrie sie fast, doch konnte sich noch in der letzten Sekunde am Riemen halten.

„Scheiße", fluchte ich und lief aus dem Zimmer.

Unterdrückte jedes mal das unbehagliche Gefühl in meiner Magengegend.

Hastig stieg ich in mein Auto und schnallte mich an.

„Jetzt mach-"

„Mrs.Rutherford es gehört sich nicht an seinem Arbeitsplatz privat zu telefonieren und ich bin mir sicher, dass Sie wissen, dass wir noch keine Mittagspause haben!" , hörte ich Mrs. Robertsons strenge Stimme leicht im Hintergrund.

Ich flüsterte noch ein 'Sorry' in den Hörer und legte auf.
Na das kann ja mal heiter werden.

Völlig in hektik fuhr ich los und schaute mich im Rückspiegel an. Ausnahmsweise war ich mal glücklich, dass ich dieses mal keine Foundation weder Concealer aufgetragen hatte und nur meine Wimpern leicht getuscht hatte. Es war wenig genug, sodass man nicht einmal sah, dass etwas verschmiert war. Ich atmete laut aus.

Heute war erst der dritte Tag in dieser Firma und ich kam schon an so einem wichtigen Tag zu spät.
Okaaay, die letzten Tage war ich auch nicht gerade pünktlich, was jedoch an den Frühschichten beim Bäcker lag. Ab nächster Woche werde ich wahrscheinlich den Job kündigen, da mir mein Schlaf deutlich wichtiger war und mein Kaffee auch bald nicht mehr ausreichen würde. Frühschichten waren ganz und gar nicht meins. Hoffentlich würde Mrs. Robertson sich nicht mehr daran erinnern.

Prima gemacht, Rose!

Dennoch brannte eine Frage in meinem Gehirn.
Warum hatte ich mich doch noch dazu überredet hier her zu kommen?
War ich naiv genug, um zu glauben, dass ich damit nun endgültig abschließen konnte?
Pah, wenn ich nicht lache.
Ich hatte mich zwar in den letzten Jahren deutlich verändert, doch eins stand fest:

Ich war zu schwach, um abschließen zu können und das war mir schon von Anfang an bewusst.

Nur wollte ich es nicht wahr haben.

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Kurze Info:

Ihr werdet immer Stück für Stück mehr über sie erfahren. Mal durch die anderen Charaktere. Mal auch einfach in den Monologen von Rosalie. :)

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