Kapitel 15: Schritte in die falsche Richtung

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Nach dem Sportunterricht lasse ich mir absichtlich besonders viel Zeit, um zu den Umkleiden zu gehen. Ich habe keine Lust, erneut Izzie zu begegnen. Nachdem ich vorhin bemerkt habe, dass ich doch noch mehr für sie empfinde, als ich dachte, habe ich Angst etwas falsches zu sagen. Ich weiß, dass ich keine Gefühle mehr für sie haben darf und solange das noch der Fall ist, muss ich ihr so gut wie möglich  aus dem Weg gehen. 

Als ich in die Umkleide komme, merke ich sofort, dass etwas nicht stimmt. Mir werden seltsame Blicke zugeworfen und ein paar Mädchen flüstern sich gegenseitig etwas zu. Verwirrt schaue ich mich um, Izzie ist tatsächlich nicht mehr da. Die meisten anderen sind auch beinahe fertig mit dem Umziehen. Ich verstehe nicht, was sie von mir wollen. Also versuche ich die seltsamen Reaktionen der anderen zu ignorieren und fange an mich auszuziehen. Eines der Mädchen aus der Parallelklasse packt ihr Zeug hektisch zusammen und läuft zur Tür. Sie hat ihr Sportzeug noch an. Ihrer Freundin läuft polternd hinterher. "Was soll das, Emma? Warum machst du jetzt plötzlich so einen Stress?" Das Mädchen, was an der Tür wartet, hält inne, bis ihre Freundin sie erreicht hat. Dann senkt sie ihre Stimme und flüstert kaum hörbar: "Ich ziehe mich doch nicht vor der da um. Das ist ja ekelhaft." Mir läuft es kalt den Rücken runter und ich verharre mitten in der Bewegung. Die Tür fällt mit einem lauten Knall hinter ihnen ins Schloss. Die sprechen über mich. Auf einmal wird mir klar, warum sich hier alle so seltsam verhalten. Woher wissen sie das? Hat Izzie sich verquatscht? Das kann doch nicht wahr sein. In meiner Situation wäre das jetzt wirklich das Allerletzte, was ich gebrauchen könnte. Ich werde knallrot und versuche ruhig zu bleiben. Reiß dich zusammen, Jess. Du musst dich nicht dafür schämen, wer du bist. Das sind alles Idioten, was soll schon passieren?

Nach und nach leert sich die Umkleide hinter mir. Keiner sagt etwas. Mit zittrigen Händen ziehe ich mir meinen Pullover über und packe alles ein. Neben mir steht ein fremdes Mädchen, das mich die ganze Zeit schon beobachtet. Sie räuspert sich und bringt mich so dazu, aufzusehen. Ich kenne sie nicht, vielleicht ist sie neu auf unserer Schule. Nervös tritt sie von einem Fuß auf den anderen. Ich beiße mir auf die Lippe. "Was willst du?", frage ich harsch.  Sie schaut mich schuldbewusst an. "Stimmt das, was sie über dich erzählen?" Das ist meine Chance herauszufinden, welches Gerücht genau über mich verbreitet wird. "Was wird denn über mich erzählt?" Ich versuche mit fester Stimme zu sprechen, aber ich klinge verdächtig piepsig. Sie blickt mich weiterhin mit großen Augen an. Dann rückt sie ihre Brille zurecht. "Na, dass du und Isabel... Du weißt schon." Als ich nichts erwidere, setzt sie hinzu: "Emma behauptet, sie hat euch vorhin reden hören. Und geküsst haben, sollt ihr euch auch." Immer noch sprachlos, starre ich vor mich hin. So haben sie es also herausgefunden. Emma diese falsche Schlange hat uns belauscht und dann sogar noch ein paar Lügen eingebaut, damit alles brisanter wirkt. Wir haben uns gerade definitiv nicht geküsst, dass hätte ich jawohl mitbekommen müssen. Ich habe genug gehört, packe mein Zeug und laufe hinaus. Wieder einmal renne ich vor meinen Problemen weg, statt mich ihnen zu stellen. 


Die nächsten Tage sind schrecklich für mich. Ich werde ausgelacht, beschimpft und von Jungs blöd angemacht. Dabei geht es mir total beschissen, aber das sieht keiner. Es gibt viele, die kein Problem mit mir haben, jedoch trauen sich ausgerechnet die nicht, etwas zu sagen. Chloe hält mir so gut wie möglich den Rücken frei. Sie beschützt mich und fährt jeden wütend an, der eine Bemerkung macht. Ich bin ihr sehr dankbar, aber sie kann nicht immer da sein. Ich habe Izzie seit dem Gespräch in der Turnhalle nicht mehr gesehen. Ich glaube sie kommt nicht zur Schule. Auch sie hat mit Vorurteilen und Intoleranz  zu kämpfen. Irgendwann eröffnet mir Chloe traurig, dass es neue Gerüchte gibt. Josh, Izzies Freund, hat wohl herum erzählt, dass ich Izzie gezwungen hätte, sie zu küssen. Dass ich krankhaft von ihr besessen wäre. 

Heute ist die Situation in der Schule besonders schlimm. Im Unterricht werfen mich einige Jungs in der Klasse den ganzen Tag mit Papierkugeln ab, ich werde als "krank" bezeichnet. Natürlich alles hinter dem Rücken der Lehrer. Ich versuche immer wieder, mir das alle nicht zu Herzen zu nehmen. Sie haben keine Ahnung wovon sie reden. Das geht alles mal vorbei. Aber heute ist es mir zu viel. Ich stehe kurz davor, in Tränen auszubrechen, als ich Izzie an unserem Klassenraum vorbeigehen sehe. Sie hat den Kopf gesenkt, ihre besondere, selbstbewusste Ausstrahlung ist verschwunden. Ich renne auf sie zu. Als sie mich entdeckt, versucht sie schnell wegzukommen, aber ich bin schon bei ihr. Ich packe sie am Arm. Zwei Jungs aus der Oberstufe laufen pfeifend an uns vorbei. Es kommt einer der üblichen Sprüche: "Kommt mit zu mir, dann überlegt ihr euch das mit den Frauen nochmal!" Wir ignorieren sie.

 Izzie windet sich unter meinem Griff. Mir wird schnell klar, dass sie nicht mit mir gesehen werden will. Flehend schaue ich sie an. "Du kannst das nicht so stehen lassen. Mach etwas, bitte!" Sie schaut mich nicht an, als sie antwortet. "Ich kann nicht, Jess. Josh würde mich umbringen. Es ist so schon schwierig genug." Jetzt ist es mir egal, was die anderen denken. Ich schreie sie an. Die Worte sprudeln aus mir heraus. Ich bin wütend und enttäuscht zugleich. "Wie kannst du nur so egoistisch sein? Weißt du, wie ich mich fühle? Weißt du, wie es mir dabei geht? Für dich ist es vielleicht schwierig, für mich ist es die Hölle. Und das alles nur, weil dein bescheuerter Freund Lügen über mich in die Welt setzt. Steh dazu und tu etwas!" Sie weint. Der Anblick versetzt mir einen Stich. Trotz allem möchte ich nicht, dass sie weint. Ich will, dass sie glücklich ist. Mit mir. Wie gerne möchte ich sie jetzt in den Arm nehmen und trösten. 

In dem Moment spüre ich, wie mich jemand von hinten packt und herumreißt. Ich sehe Joshs wutverzerrte Visage vor meinem Gesicht. "WAS WILLST DU VON IHR?", schreit er mich in seinem amerikanischen Akzent an. Im Augenwinkel erkenne ich, wie auf den Gängen alle stehen bleiben. Es bildet sich eine Menschentraube aus neugierigen Schülern, die uns gebannt anstarren. Ich bin angeekelt davon, denn ich fühle mich, wie ein Tier im Zoo. Ich bin die große Attraktion. Josh packt mich noch fester und rammt mich gegen die Wand. "VERSCHWINDE VON HIER!" Ich versuche ruhig zu bleiben. Mein Arm schmerzt von seinem festen Griff. Ein bitteres Lachen kommt über meine Lippen. In einem Anflug von Mut antworte ich so gelassen, wie möglich: "Hast du etwas Angst, dass ich dir deine Freundin ausspanne, du Arschloch?" 

Ich sehe, wie eine Ader an seiner Stirn hervorquillt. Sein Gesicht ist rot vor Wut und ich merke, dass ich einen Fehler gemacht habe. Bevor ich einen Arm vors Gesicht nehmen kann, schlägt er zu. Ich höre ein Knacken. Die Schmerzen sind schrecklich. Voller Wucht trifft er erst zweimal ins Gesicht, dann so fest in den Magen, dass ich stöhnend zu Boden falle. Zusammengekrümmt und vor Schmerz winselnd liege ich da, während er wie von Sinnen auf mich einprügelt. Gedämpft höre ich Izzies Schreie im Hintergrund. Ich nehme wahr, wie einige Schüler und Lehrer ihn von mir wegziehen. Jemand ruft nach Hilfe, ein anderer schreit, man solle einen Krankenwagen holen. 

Dann wird alles um mich herum still. Ein lautes Piepen in meinen Ohren übertönt alles andere. Ich spüre wie jemand meine Hand nimmt und öffne flatternd meine Augen. Über mir sehe ich Izzies Gesicht auftauchen. Sie weint und schreit. Sie soll aufhören zu weinen, denke ich. Das ist alles gar nicht so schlimm. Ich will ihr sagen, dass alles wieder gut wird. Das sie sich keine Sorgen machen soll. Ich möchte sie in den Arm nehmen. Aber ich kann nicht. Ich muss hier liegen und zuschauen, wie ihr schönes Gesicht von Angst verzerrt wird und Tränen von ihren Wangen auf meinen nutzlosen Körper tropfen. 

Dann kommt sie mir immer näher, bis ihr Gesicht kurz vor meinem ist. Sie bewegt ihre Lippen. Ich kann sie nicht hören, aber ich verstehe, was sie sagt. Dann gewinnt der Schmerz die Oberhand und alles wird schwarz. Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist ihr hilfloses Gesicht. Und ihre Worte. 

"Ich liebe dich"


Vielen Dank für 100 Reads! Ihr seid der Hammer! Ich bin begeistert und motiviert die nächsten Tage weiterzuschreiben. Falls es euch gefallen hat, freue ich mich weiterhin sehr über ein Vote. Auch Kommentare mit konstruktiver Kritik und Vorschlägen für die Handlung werden gerne gesehen. Glaubt ihr noch an ein Happy End zwischen Izzie und Jess? Ich bin mir da noch nicht so sicher... :D 

She - Als mein Leben ins Wanken gerietWo Geschichten leben. Entdecke jetzt