8 | Astrid

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Ich saß an der Klippe. An derselben Stelle, wo Hicks so oft gesessen und den Sonnenuntergang bewundert hatte, so wie ich es jetzt tat. Wie viele Male hatte ich ihn beobachtet? Wie viele Male hatte ich hinter einem Baum gestanden und daran gedacht, mich einfach zu ihm zu setzen? Hätte es was geändert?

Er war weg. Abgehauen, möglicherweise tot, wer wusste das schon. Er hatte alles und jeden zurückgelassen. Er war ein Niemand, nur der hoffnungslose Nachkömmling des Oberhauptes. Bald würde er aus den Köpfen der Berkianer vergessen sein. Würde mein Herz das auch?

Ich kann nicht sagen, dass ich ihn liebe, denn das tat ich nicht. Liebe fühlte sich nicht so an, sie kommt mit der Zeit. Das hier, das war ... verknallt sein? Wissen, dass man denjenigen mögen könnte, wenn man es versuchte? Ich wusste es nicht. Vielleicht gab es keine Worte dafür, aber ich mochte ihn, auf meine eigene Art und Weise. Er hat mich beim Training mit unfairen Mitteln besiegt, zugleich hat er mich damit beeindruckt. Das hatte keiner von ihm erwartet, am wenigsten mein Vater.

Mein Vater, oh nein. Ich sollte lieber nach Hause, bevor er mich anschrie, wo ich so lange gesteckt habe. Ich stand auf, klopfte die Steine von meinem Rock und begab mich in Richtung des Dorfes.

Hicks schlich sich wieder in meine Gedanken. Wieso war er abgehauen? War es wirklich wegen dem Finale gewesen? Hatte er zu große Angst, dass der Drache ihn getötet hätte? Oder war es sein gutes Herz, was ihm sagte, dass Mord nicht richtig war? Wenn der Nachtschatten wirklich an seiner Seite war, glaubte ich das. Wie konnte man etwas umbringen, was einem zum Freund geworden war? Vor allem, wie hatte er das geschafft? Und hatte der Drache ihn dazu gebracht, Berk zu verlassen? Hatte Hicks sein Leben hier wirklich so sehr gehasst?

Durch meine Flut an Fragen bemerkte ich nicht, dass ich bereits im Dorf angekommen war, bis ich in jemanden hineinlief. Als ich hochblickte, sah ich in die grünen Augen unseres Oberhauptes. Das passte ja super.

Ich trat einen Schritt zurück. »Entschuldige, Chief. Ich war in Gedanken verloren und habe nicht darauf geachtet, wo ich hingehe.«

Er lächelte mich mitfühlend an. »Das macht doch nichts, Astrid.«

Ich versuchte das Lächeln zu erwidern, aber es gelang mir nicht. Ich sah wahrscheinlich wie eine gequälte Katze aus.

»Alles in Ordnung bei dir?«, fragte er besorgt und legte seine große Hand auf meine Schulter.

»Ja, alles gut«, sagte ich und versuchte nicht in seine Augen zu blicken.

»Ich sehe doch, wenn jemanden etwas mitnimmt.« Er wartete, ob ich etwas sagte, aber ich starrte nur seinen roten Bart an. Dann seufzte er und nahm seine Hand von meiner Schulter. »Komm, lass uns ein Stück gehen.«

Wir schlenderten durchs Dorf, begrüßten die paar Wikinger, die noch unterwegs waren und schwiegen uns an.

»Was liegt dir auf dem Herzen?«, fragte er mich nach ein paar weiteren Metern. Mein Herz, was für ein witziger Zufall. An das hatte ich kurz zuvor noch gedacht. Trotzdem schwieg ich zuerst. Es ging immerhin um seinen Sohn, ich wollte ihn nicht wieder traurig stimmen. Er seufzte. »Astrid, Kommunikation funktioniert nur, wenn beide Seiten daran teilhaben. Du kannst es mir erzählen, niemand wird etwas darüber erfahren.«

Er würde sich wahrscheinlich weiterhin Sorgen machen, wenn ich wieder sagte, dass es mir gut ging. Er glaubte mir nicht, denn er hatte ja recht, mir ging viel im Kopf herum. Auf der einen Seite wollte ich ihn nicht traurig machen, auf der anderen dachte ich mir aber, dass es vielleicht gut wäre, darüber zu reden.

Was wäre wenn?Where stories live. Discover now