15 | Hicks

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Zuerst dachte ich, meine Mutter hätte mich gesehen, da wir nicht weit von der Eishöhle entfernt waren, und würde sich für eine Pause zu mir gesellen. Ihre Schritte waren ebenso leicht, weil sie gelernt hatte, sich im Schatten unhörbar zu bewegen. Erst als Ohnezahn seinen Kopf hob und seine Augen leicht verengte, kam mir der Gedanke, dass sie es doch nicht war, aber in dem Moment saß sie bereits neben mir.

Astrid.

Sie sagte nichts, setzte sich nur lautlos neben mich und schaute für ein paar Sekunden in den Dschungel, bevor sie ihren Kopf zu mir drehte und wir uns in die Augen schauten. Sie waren immer noch so wunderschön blau wie damals, hatten ihren Glanz nicht verloren; also hatte ihr Vater sie nicht brechen können.

Ansonsten sah sie komplett anders aus, nur die Nieten und Totenköpfe an ihrem braunen Rock waren gleich. Sie trug jetzt ein türkises ärmelloses Oberteil mit einer roten kurzen Weste darüber. An ihren Schulterplatten sowie Unterarmschützern war nun Fell befestigt, ihre Hose war dunkler und die Stiefel höher. Ihre Haare waren nicht mehr in einem zerzausten Zopf auf dem Rücken gebunden, sondern ordentlich zur Seite. Zumindest war er ordentlich gewesen, bevor er von der hohen Feuchtigkeit hier kräuselig geworden war.

Sie war einfach noch viel schöner geworden.

Und ich hatte vor einem Tag beschlossen, sie hinter mir zu lassen.

War das ein Witz von den Göttern? War es ein Zufall? Warum war sie überhaupt so weit im Norden von Berk? Suchten sie etwa immer noch nach mir? Wenn ja, dann würde sie wahrscheinlich nicht alleine hier sein.

Ihre Augen wanderten meine Rüstung entlang, huschten hinunter und weiteten sich. »Wo ist dein Bein?«

Für einen kurzen Moment war ich zu verwirrt, um zu antworten. Ich schaute zu Ohnezahn hinunter, der uns fragend beobachtete, und zurück zu Astrid. Ihr Blick war wieder auf mein Gesicht gerichtet, sie schien ernsthaft geschockt und ... besorgt zu sein?

»Ist das wirklich das erste, was dir einfällt?«, sagte ich ein wenig zu harsch, denn sie zuckte kurz mit dem Kopf zurück.

»Alles andere weiß ich immerhin schon«, antwortete sie.

Ich kniff meine Augenbrauen zusammen. »Was weißt du schon?«

Sie zeigte auf Ohnezahn. »Ihn, zum Beispiel. Dass du ihn abgeschossen hast, wie du es gesagt hast. Dass du es irgendwie geschafft hast, dass er dich nicht frisst, sondern mit dir von Berk abhaut. Dass du deine totgeglaubte Mutter gefunden hast und die Drachen aus unserer Arena befreit hast. Dass du seit fünf Jahren in der Welt herumfliegst und deinen Vater verrückt werden lässt, weil er die Suche nach dir nicht aufgeben will, bis er dich vor sich hat.«

Also war sie doch alleine hier, sonst stände nämlich mein Vater bereits neben mir und würde mich anbrüllen. Aber warum war sie alleine unterwegs?

Sie schaute zu Ohnezahn hinunter, der sie anstarrte, als könne sie mich jeden Moment erstechen und er müsse sofort zur Hilfe eilen. »Ich weiß, dass du mit ihm glücklicher bist, als du es je auf Berk warst. Dass du genau wie deine Mutter bist und keinen Drachen was anhaben kannst, weshalb du mit ihnen zusammen lebst. Dass du geflohen bist, weil dein Vater nie auf dich gehört hat und dir nicht das Leben geben konnte, was du wolltest, genau wie bei Valka. Deshalb bist du nicht zurückgekommen, deshalb hast du ihn vor allen verschwiegen. Du wusstest, sie würden niemals auf dich hören. Sie würden ihn fesseln, einsperren, zur Show stellen. So bist du nicht, also bist du gegangen.«

Sie hatte mich erneut sprachlos gemacht. Es war alles so akkurat und der Wahrheit entsprechend, dass ich für einen kurzen Augenblick dachte, sie hatte mich all die Zeit beobachtet und erst jetzt entschieden, mich anzusprechen. So war sie aber nicht, sie hätte mich direkt bei der ersten Möglichkeit angesprochen.

Was wäre wenn?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt