Bevor er noch weiteres Nathan anstellen konnte, stellte ich mich so hin, wie ich es gelernt habe. Ich wusste, dass ich jeden in dieser Situation einschüchterte da ich einfach gefährlich aussah. Mein Opponent wollte nur missachtend drein gucken, doch ich sah wortwörtlich die Angst auf seiner Stirn geschrieben. Schweiß reflektierte das Licht und ließ mich triumphierend grinsen. Im Inneren natürlich, sonst wäre das doch unhöflich und respektlos.

Nach dieser Prozedur stand der Mann auf und ich stellte mich vorsichtshalber vor dem liegenden Nathan und sprach leise und langsam drohende Worte aus: „Du verschwindest jetzt lieber, bevor ich dir, dann deiner nicht so treue Freundin etwas antue. Verstanden?". Ehrlich gesagt sah er aus wie ein hilfloses Stück Scheiße, der keine Ahnung hatte wie man sich oberhalb der Erdoberfläche orientierte.

Schnell stolperte er ein paar Schritte nach hinten, ergriff die Hand der Ex von Nathan und warf noch ein: „Wir werden uns schon noch wiedersehen, Arschloch! Dann zeig ich dir, wer hier die Hosen anhat" in die Runde.

Kopfschüttelnd sah ich ihm hinterher. Er musste natürlich das letzte Wort haben. Einfach nur lächerlich, dieser Mann. Doch wo zur Hölle war das Sicherheitspersonal, wenn man sie mal brauchte? Standen vor jedem Geschäft herum und starrten einen komisch an, aber ihren echten Job konnten sie wohl nicht nachgehen.

Schließlich drehte ich mich zu Nathan, der den Boden küsste. Seine Nase blutete, aber ich konnte keinen Knochenbruch erkennen. Ich kniete mich zu ihm hinunter und hob ihn und die Einkäufe ohne Probleme hoch. Vielleicht hätte ich den Typen doch eine reinhauen sollen.

Eine kleine Menschenmenge hatte sich gebildet und niemand war auf die Idee gekommen, einzugreifen. Menschheit von heute. Ich machte mich ein wenig humpelnd auf den Weg und fand schnell die Toiletten. Ich schloss die gesamte Männertoilette ab, damit uns auch wirklich niemand störte. Angespannt lehnte ich den etwas benommenen Arzt an die Wand und machte schnell eine Kompresse aus den Inhalten des Erste-Hilfe-Kastens. Nach einigen Sekunden war diese schließlich fertig und mit schnellen Schritten ging ich zu Nathan und kniete mich zu ihm hinunter, auch wenn es ein wenig schmerzhaft war.

Er war am Dösen und mir durchfuhr ein Stechen, ihn so sehen zu müssen. Auf seinem weißen Shirt waren Blutflecken und man sah die getrocknete Blutspur von seiner Nase bis zu seinen Lippen. Lecker. Ich fuhr die leichte Kontur seiner Wange nach und ich hatte den Drang ihn einfach zu umarmen. Er sah so hilflos aus, wie er versuchte seine Augen offenzuhalten und aufrecht zu sitzen. Nathan wollte Arzt sein, muss sich aber von einem Soldaten versorgen lassen. Welch Ironie. Schnell verwarf ich diesen Gedanken und drückte sanft die Kompresse auf seine Nase. Wieso war ich nur so mitfühlend, ich sollte eigentlich neutrale Gefühle gegenüber ihm haben.

Seine Nase war bestimmt nur leicht geprellt, denn für eine gebrochene Nase sah sie noch sehr stabil aus und außerdem hatte dieser Möchtegern-Macho nicht gerade eine starke Rechte. Niemals hätte ich gedacht, dass ihm ein einziger Schlag ins Gesicht fast in die Bewusstlosigkeit kickte. Ich schmunzelte: er war doch nicht so taff wie ich dachte.

Langsam kam Nathan wieder zu sich und hielt sich benommen seinen womöglich pochenden Schädel und wenn ich gerade so darüber nachdachte, tat mir mein Knie unheimlich weh. Somit setzte ich mich neben ihn und lehnte mich an die Wand. Ich ignorierte gekonnt die nicht vorhandene Hygiene einer öffentlichen Toilette.

„Wie geht es deiner Nase?", fragte ich nach und sah ihn mir von der Seite an. Er zuckte mit seinen Schultern und ließ seine Nase weiterhin von mir kühlen.

Sein Seitenprofil war wirklich hübsch, das konnte ich zugeben. Nathans kleine Nase war mit leichten Sommersprossen bedeckt, doch die Schönheit wurde leider von einem blauen Fleck unterbrochen. Seine Wimpern waren voluminös, ebenso seine braunen Haare. Er war offensichtlich die schönere Sorte von Mann und wieso fiel es mir ausgerechnet jetzt auf? Seine verletzliche Lage brachte mich dazu, meine Einstellung gegenüber ihm zu ändern. Er war kein schlechter Mensch und bestimmt würde er mich nicht mit Absicht verletzen.

Nach ein paar Minuten Stille, nahm ich die Kompresse von seiner Nase herunter und versuchte mich aufzustützen. „Lass uns wieder gehen", meinte ich und versuchte die Tüten aufzuheben, doch das Hinunterbücken erwies sich bei mir nun als kleines Problem. Der Schmerz war nach diesem turbulenten Shoppingtag zurückgekehrt.

Nathan bemerkte dies und packte die Tüten, stand auf und nahm wortlos wieder seine Position unter meiner Schulter ein, um mich weiterhin zu stützen. Er war zuvorkommend und ich hätte nichts anderes von ihm erwartet.

Ich schloss die Tür wieder auf und uns erwarteten ein Haufen wütender Senioren. Wir entschuldigten uns und machten uns auf den Weg zum Auto.

Im Lift angekommen, fing Nathan wieder an zu reden: „Danke Paul. Ich weiß es wirklich zu schätzen wie du mir geholfen hast. Und das nächste Mal nehmen wir deine gottverdammten Krücken mit!". Ich blickte zu ihm herunter und lächelte ein wenig.


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„Wir waren zwei bis drei Jahre zusammen. Dann kamich an einem Tag später nach Hause und wollte ihr Bescheid geben, dass ich dichals neuen Patienten habe. Genau dann habe ich sie erwischt. Dieleidenschaftlichste Liebe war das im Endeffekt nicht mehr zwischen uns, abersie hätte wie jeder andere Mensch normal Schluss machen können", erklärte ermir auf dem Rückweg ohne eine Nachfrage von mir aus. 

Dieses Thema waranscheinend damit auch beendet, denn er widmete sich wieder der Autobahn underzählte mir etwas von der Stadt. Insgeheim wusste ich wie es sich anfühlte, jemandenzu verlieren, den man wirklich liebte. Er überspielte seinen Schmerz, aberinnerlich war er wahrscheinlich zutiefst verletzt. 



Was haltet ihr von Pauls Sicht? Steckt doch etwas hinter seiner sonst so kühlen Fassade?

- überarbeitet am 30.09.2021

Nathan |  ✓Where stories live. Discover now