Kapitel 28: Die Halle der Könige

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„Das ist Kristan Aellin, Odricks Vater." Rajan deutete auf die nächste auf einem Podest stehende lebensgroße Statue, an der wir langsam vorbei liefen. Ich hatte mich bei ihm untergehakt und lauschte seinen Erzählungen aufmerksam. „Er war der erste König der die Sklaverei vollständig verbot und damit die immer wieder aufkommenden Sklavenaufstände in Rotwind unterband. Dadurch gab es Aufhetzungen in der dortigen Bevölkerung, besonders im Adel, aber mit der Anerkennung Rotwinds als eigenständige Lordschaft und dem Zugeständnis der damit verbundenen Bürgerrechte, kehrte schnell wieder Frieden ein. Ich war noch jung damals, aber ich erinnere mich, wie mein Vater Meereshorn verließ und mit der Flotte gen Westen aufbrach."
„Gut, dass diese Zeiten vorbei sind", murmelte ich und betrachtete das ernste, steinerne Gesicht und die ausdruckslosen Augen. Wie auch bei den Denkmälern davor fiel es mir schwer, mir dieses Gesicht als das einer einst lebendigen Person vorzustellen.
Rajan neben mir lachte leise. „Ich glaube nicht, dass Rotwind es bisher ganz aus dem Sklavengeschäft geschafft hat. Natürlich, in Meereshorn kommen regelmäßig Schiffe der Lordschaft mit befreiten Sklaven aus den Provinzen des westlichen Kontinents, aber meiner Meinung nach war das Thema damals zu schnell geklärt, zumal ein großer Teil der Einnahmen vom sehr verbreiteten Sklavenhandel stammten. Der Adel dort ist sehr gerissen." Er zwinkerte. „Da das aber eine politische Anschuldigung wäre, habe ich dir das grade im Vertrauen gesagt, ja?"
„Könnte der König nicht Leute nach Rotwind schicken, die das überprüfen?"
„Leider nein, denn das gelte als Vertrauensbruch. Um Aufklärer zu schicken, müssten deutliche Beweise für diesen Verdacht vorliegen, doch die hat Rick nicht. Solange sich die Lords dort keine Fehler erlauben, sind ihm die Hände gebunden."
„Rotwind ist auf dem Turnier des Königs ebenfalls vertreten, nicht wahr?"
„Ja, einige der obersten Lords sind angereist."
Rotwind war die jüngste Lordschaft des Landes. Es war eine Insel im südlichen Ozean, westlich von Meereshorn gelegen. Lange Zeit stand sie unter der Herrschaft des Hohen Lords von Meereshorn, aber vor etwa zwei Dekaden wurde sie aufgrund von Verwaltungsschwierigkeiten und dortigen Aufständen zu einer autonomen Lordschaft erklärt. Allerdings wurde nicht wie in den älteren Lordschaften ein Hoher Lord gewählt, sondern ein Rat aus mehreren mächtigen Großgrundbesitzern, die die Bevölkerung vertraten und zusammen die Leitung des Landes übernahmen.
„Wofür ist der?" Verwundert zeigte ich auf einen leeren Sockel weiter vorne in der riesigen Halle.
„Das ist Odricks. Er wurde zu seiner Krönung hier aufgestellt und an seinem Todestag wird darauf sein Denkmal errichtet."
Ich wandte mich noch einmal um und sah die lange Reihe von Statuen entlang.
„Und es bekommt jeder König solch ein Denkmal."
„Ja", bestätigte er.
„Wirklich jeder?", hakte ich nach.
„Ja!" Er lachte. „Warum denn nicht?"
„Na ja, was ist mit denjenigen die nur eine kurze Amtszeit als König hatten? Die nicht wirklich etwas getan haben, was sie für die Nachwelt wichtig macht?"
Rajan legte den Kopf schief und betrachtete mich nachdenklich. „Jeder König ist wichtig für die Nachwelt, denn egal wie lange er herrschte, ob dreißig Jahre oder nur drei Tage, er verbrachte diese Zeit damit für sein Volk zu sorgen. Auch wenn der Großteil der Bevölkerung denkt, König sein heißt Ansehen, Reichtum und Macht, hat man doch als solcher kaum Freiheiten im Leben und viele Pflichten. Zudem hat jeder dieser Männer sein Leben damit verbracht, auf seine Amtszeit vorbereitet zu werden und auch das ist schon Aufopferung, die ihn für die Nachwelt wichtig macht." Er lächelte sanft. „Und wir befinden uns hier in der Halle der Könige und nicht in der der großartigen Helden."
Da erklang eine bekannte, tiefe Stimme hinter uns. „Außerdem wurde jedes dieser Podeste schon aufgestellt bevor überhaupt jemand wusste, wie lange der Neue seinen Arsch am Thron reiben darf." Wir wandten uns um und sahen König Odrick mit einem breiten Grinsen auf uns zu kommen. „Mir ist dies nun schon seit zwanzig Jahren gegönnt, aber glaubt mir, so langsam würde ich das Recht gerne an jemand anders abtreten."
Ich bereitete mich grade auf meinen Knicks vor, als er mir deutete es zu lassen.
„Das ist nicht nötig, Mylady. Wenn Ihr hier vor jedem König knicksen wollt hättet Ihr,   wenn Ihr fertig seid, selbst in Eurem jungen Alter schon verkrüppelte Knie."
Also blieb ich stehen und lächelte ihm nur schüchtern entgegen.
„Dann wird es wohl Zeit für einen Erben, Rick", griff Rajan den vorherigen Kommentar des Königs wieder auf.
Dieser verzog das Gesicht. „Ich habe das Gefühl, du willst mich in eine Ehe zwingen, liebster Vetter."
„Und da bin ich nicht der einzige. Frag einmal deine Mutter. Oder jeden anderen Königstreuen auf dem Ostkontinent. Es gibt schon Befürchtungen, dass die lange Linie der Aellins mir dir ausstirbt."
Rajans Stimme klang scherzhaft, aber ich merkte, dass das Thema ein ernstes war. Der Blick des Königs verfinsterte sich schlagartig und er starrte gedankenverloren auf seinen leeren Sockel.
„Meine Frau und meinen Erben nahmen mir die Götter", murmelte er leise. „Vielleicht ist es so vorbestimmt."
Mein Verlobter neben mir stieß hart die Luft aus und machte einen Schritt auf ihn zu. „Rick, nein. Es war das Fieber, dass dir Josephine nahm, nicht die Götter." Er legte ihm eine Hand auf die Schulter.„Leider ist es das Schicksal vieler Frauen im Kindbett zu sterben. Niemals stehen die Götter auf der Seite der Rebellion!"
Odrick wandte den Kopf und starrte seinen Vetter lange Zeit schweigend an, bevor er ihm die Hand in den Nacken legte und ihn in eine feste Umarmung zog. Ich hatte mich etwas zurück gezogen und die Szene still und leise beobachtet. Mir erschien der Moment zwischen den beiden zu privat, um mich einzumischen oder auch nur daneben zu stehen. Als sie sich voneinander lösten, sahen sie beide zu mir, der König bereits wieder mit einem Anflug von einem leichten Grinsen, Rajan beinahe entschuldigend.
„Nun, Rajan." Odrick trat ein paar Schritte zurück. „Eigentlich kam ich, um dich von deiner Verlobten zu entführen. Ich hätte etwas mit dir zu Besprechen."
Sie tauschten einen undefinierbaren Blick aus und Rajan nickte langsam, dann sah er leicht lächelnd zu mir und streckte mir einladend den Arm entgegen. Zu dritt ließen wir dann die große Halle, mit den vielen steinernen Königsstatuen hinter uns.


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