Kapitel 50: Abstand

3.7K 321 7
                                    

„Ich glaube nicht, dass er dir die Schuld gibt", murmelte ich, als ich meine Sprache einigermaßen wiedergefunden hatte. „Er hat mir von Kristans Tod erzählt und wie es dazu kam. Wäre es seine Absicht gewesen, mich gegen dich aufzuhetzen, hätte er gesagt, dass du es warst."

Demian schluckte und wandte den Blick ab. „Ich weiß es nicht. Wie gesagt, es ist seltsam."
„Er hat auch in keinster Weise Kristans Konkurrenten beschuldigt. Nur...sich selbst."

Er nickte langsam. „Der Junge war keine sechzehn zu dem Zeitpunkt, nicht wahr? Er hätte nicht teilnehmen dürfen." Mit einem Seufzen lehnte er sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und sah in den Himmel hinauf. „Nach dem Vorfall weigerte ich mich an Turnieren teilzunehmen. Der Schock saß wohl zu tief. Oftmals wollte mich mein Vater zwingen, doch ich fand immer eine Ausrede. Bis zu diesem Jahr. Der vierzigste Geburtstag des Königs, ein riesiges Spektakel. Deswegen sollte Nebelkamm Präsenz zeigen, gerade wegen unseres Rufes. Mein Bruder Hias musste daheim bleiben, also blieb die Turnierteilnahme an mir hängen."

„Welche du wohl mit Bravour gemeistert hast", meinte ich und lächelte.
Er schnaubte und schaute zur mir, das freche Glitzern in seinen Augen war zurückgekehrt. Und es gefiel mir viel besser als diese trostlose Leere in seinem Blick zuvor.
„Ja, vielleicht. Aber das größte Gesprächsthema war immer noch Rajan." Er lachte. „Ein kluger Schachzug um in aller Munde zu sein, wirklich!"

Etwas empört verschränkte ich jetzt ebenfalls die Arme vor der Brust.
„Das hat er doch nicht gemacht, damit die Leute von ihm Reden!"
„Aber nein, natürlich nicht!" Er hob abwehrend die Hände, doch die Ernsthaftigkeit in seinem Gesicht blieb aus.
Ich setzte an zu kontern, überlegte es mir dann aber doch anders und beließ es bei einem Kopfschütteln.

„Sire?"
Wir beide fuhren herum, keiner von uns hatte mitbekommen, dass sich uns jemand näherte. Es war ein Mann mittleren Alters in einem schwarzen Wams und einem eingestickten Schlangenkopf auf der Brust. Er verneigte sich tief, als er unser beider Aufmerksamkeit hatte.
„Sprich", murmelte Demian etwas genervt und machte eine knappe, auffordernde Geste.
„Verzeiht die Störung, Sire, aber Lord Kasgarth, Euer Vater, verlangt Euch zu sehen. Es sei recht dringlich."

„Mein Vater?" Demian musterte den Dienstboten etwas verwundert, dann verfinsterte sich sein Blick. „Ist gut. Sag ihm, ich mache mich sofort auf den Weg."
„Jawohl, Sire." Er verbeugte sich noch einmal, während er schon einige Schritte rückwärts machte, dann wandte er sich um und eilte davon.

Demian seufzte noch einmal und rieb sich über das Gesicht, dann sah er mich mit einem verschmitzten Grinsen an.

„Es tut mir leid, Aree, aber ich fürchte mein Vater wird recht ungnädig, wenn ich mich verspäte."
„Schon gut." Ich lächelte ihn leicht an. „Geh ruhig."
Er nickte und sprang auf. „Wir sehen uns." Damit griff er unerwartet nach meiner Hand, drückte einen Kuss auf meine Finger und huschte um die Bank herum.

„Demian!", rief ich noch einmal und er sah über die Schulter zu mir. „Danke. Dass du es mir erzählt hast. Es bedeutet mir viel, dass du so ehrlich zu mir bist."
Einen Augenblick arbeitete es in seinem Gesicht, dann hellte sich sein Blick noch ein Stück weiter auf und er grinste breit. „Bis bald!", rief er noch einmal, winkte fröhlich und ging mit großen Schritten den Kiesweg hinab.

~

Etwas lustlos stach ich auf das Gemüse ein, welches mittlerweile durch mein Gestochere wild auf dem Teller verteilt lag. Nur etwa die Hälfte hatte ich gegessen, danach spielte ich nur noch mit dem Essen, auch wenn sich das nicht gehörte.

Am späten Nachmittag kam ein Bote, mit einer Einladung von Rajan zum Essen. Ich hatte abgelehnt. Keine Ahnung, ob ich wirklich richtig sauer auf ihn war, aber sein Verhalten zuvor war absolut unmöglich und ich würde garantiert nicht beim ersten Bitten nachgeben.
Stattdessen war ich zu Arlisar gegangen und zusammen saßen wir nun im großen Essenssaal, an einer Tafel hinter welcher eine große Standarte mit dem Wappen von Schneewacht stand. Da, wo ich hingehörte.

Auch Rajan war gekommen, aber erst eine ganze Weile nachdem das Essen begonnen hatte. Als er mich sah, schien es erst so, als wollte er herüberkommen, überlegte es sich dann aber doch anders und setzte sich zu seinem Vetter an die Tafel.

„Gibt es schon einen Sieger?"
„Was?" Irritiert sah ich auf und blickte in Arlisars graue Augen.
„Bei der Schlacht auf deinem Teller. Gibt es schon einen Sieger?"
„Äääh..." Ich runzelte die Stirn und sah kurz auf die Unordnung hinab. „Weiß ich nicht..."

Arlisar seufzte und stützte die Wange auf der Hand ab. „Was ist los. Du gefällst mir heute Abend nicht. Und damit meine ich nicht dein Kleid, denn du siehst wunderschön aus", entkräftete er auch gleich meine üblichen Ausflüchte, wenn er bemerkte, dass etwas nicht stimmte.
Ich zuckte nur die Schultern, legte das Besteck hin und griff nach meinem Kelch. Als ich aber bemerkte, dass ich anfing ihn herumzudrehen, ließ ich ihn los und verschränkte meine Finger stattdessen auf meinem Schoß.

„Ich habe keine Ahnung", murmelte ich schließlich. „Es war ein seltsamer Tag heute."
„Tatsächlich?" Arlisar griff nach seinem Becher und nahm einen tiefen Schluck. „Ich habe gehört, die Schneider waren heute bei dir."
„Ah. Ach ja. Ja. Waren sie."

„Und?" Er drehte sich neugierig noch weiter in meine Richtung.
„Was und?"
„Wie ist es?
„Wie ist was?!"
Er schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn.
„Dein Kleid, Aree!"
„Ich hab noch gar keins!"
Jetzt wurden seine Augen ganz groß.
„Was soll das heißen, du hast keins."
„Sie haben heute erst Maß genommen."
„Tatsächlich? Ist das nicht etwas kurzfristig?" Er kratzte sich ratlos an der Nase und lehnte sich zurück.
„Ich habe doch selber erst gestern Abend erfahren, dass die Hochzeit schon in einer Woche ist."
„Hm."

Wie auch er, ließ ich den Blick einmal durch den Raum gleiten. Eigentlich hatte ich den Blick zum Podest hoch den ganzen Abend vermieden, aber irgendwie zog es meine Aufmerksamkeit jetzt doch dahin. Odrick saß mit finsterer Miene in seinem königlichen Sessel, in seiner Hand den zart verzierten Weinkelch. Rajan saß neben ihm, den Stuhl ganz in seine Richtung gedreht und schien auf ihn einzureden. Jetzt hob Odrick beinahe schon zornig die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. Er sagte irgendetwas, stand auf und entfernte sich von der Tafel.

Rajan blieb allein zurück, sah ihm nur kurz hinterher und rieb sich dann völlig entnervt die Augen. Als er wieder aufsah kreuzten sich unsere Blicke, doch ich wandte meinen eilig ab. Sollte er ja nicht glauben, dass ich ihn beobachtete.

„Ich verabschiede mich jetzt, Aree", meinte Arlisar neben mir und schob den Stuhl zurück.
„Schon?", fragte ich verwundert.
„Ja. Vielleicht ist mir das Essen nicht so gut bekommen." Er rieb sich einmal mit verzogenem Gesicht den Bauch, dann lehnte er sich vor und strich mir noch einmal über die Wange. „Mach dir noch einen schönen Abend, Liebes, wir sehen uns morgen."
Damit zwinkerte er noch einmal und huschte davon.

Zurück blieb ich - mutterseelenallein an einem riesigen Tisch. Toll.

Eine Weile saß ich da, beobachtete die Menschen im Saal, die wenigen Paare, die auf der Tanzfläche dahinschwebten und trank ab und zu ein Schluck von dem Wasser in meinem Kelch.

Ich hatte auch Ausschau gehalten nach Demian, doch der Tisch mit der Standarte von Nebelkamm blieb den ganzen Abend leer. Vielleicht auch besser so, denn ich war nicht sonderlich erpicht darauf zu erfahren, was geschähe wenn Rajan und er wieder aufeinander treffen. Zwar glaubte ich nicht, dass Rajan vor all diesen Menschen noch einmal zuschlagen würde, trotzdem wäre die Stimmung garantiert eisig.

Mir fiel aber auch wieder ein, dass sich Demian mit seinem geschundenen Gesicht garantiert nicht vor all diesen Leuten zeigen würde. Sein Vater würde das nicht gut heißen und auch er selbst hatte einen viel zu großen Stolz dafür.

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als jemand vor mich trat. Als erstes erkannte ich die schillernde Bären-Brosche auf der Brust, dann sah ich auf in Matthes Oakwins Gesicht. Sein langes silbriges Haar lag wie immer wirr auf seinen Schultern, sein weißer Bart könnte mal wieder eine Rasur vertragen. Doch seine grünen Augen funkelten aufmerksam wie immer aus seinem wettergegerbten Gesicht.

„Einen schönen guten Abend, Mylady", brummte er und neigte leicht den Kopf.
„Lord Oakwin, guten Abend." Die Verwunderung klang deutlich aus meiner Stimme. „Was kann ich für Euch tun?"
„Ich möchte Euch um einen Tanz bitten. Gestattet Ihr?"

---------------------------------------------

Sooooo, Teil 1 der kleinen Lesenacht :)
Es folgen noch zwei Kapitel um 20 und um 21 Uhr.

Stern des NordensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt