Part 39 ~ Wachspapier, Codewörter und Andeutungen

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„Du hast versucht, Gally zu retten. Du hast es nicht geschafft, und sie haben ihn mitgenommen. Jetzt sind sie wieder da, wo sie hingehören. Aber heißt das, dass sie nicht zurückkommen? Heißt Gallys... Opfer zwangsläufig, dass wir gerettet sind? Und, hey, ich möchte dich nicht beunruhigen, aber: die. Sonne. Geht. Nicht. Auf. Habe ich mich klar ausgedrückt?" Ihr Lächeln wurde zu einem siegessicheren Grinsen und ich rollte mit den Augen. Sie hatte gewonnen und sie wusste es. Seufzend klopfte ich mir die Erde von der Hose und streckte meine Hand aus, um Hayley hoch zu helfen, doch sie sprang alleine auf die Füße und klopfte ihrerseits zerdrücktes Gras von ihrer braunen Stoffhose.

„Okay. Die Sonne geht nicht auf. Du hast gewonnen. Was sollen wir machen?"

„Wir warten auf die Jungs", erwiderte Hayley und machte eine vage Bewegung hinüber zu den offenen Toren des Labyrinths. „Und bis dahin verteilen wir gute Laune auf der Lichtung. Einverstanden?" Ich nickte ergeben und folgte ihr hinüber zum Gehöft, wo Alby, Chuck und Enja beisammensaßen und in etwas herumstocherten, das nicht besonders appetitlich aussah. Auf meine Frage, wer das gekocht hätte, errötete Enja und warf einen schuldbewusst-skeptischen Blick auf die gelb-gräuliche Masse, die ich als Kartoffeln identifizieren wollte, es aber beim besten Willen nicht hinbekam. Ich zog die Luft ein und setzte mich neben Chuck, der mir eine Schale mit dem nicht wirklich essbar aussehenden Essen hinüberreichte. Ich nahm sie und nahm die Masse genauer unter die Lupe. Es sah definitiv nicht appetitlich aus. Suchend sah ich mich nach Hayley um. Sie hatte sich einen Apfel geschnappt und war gerade dabei, ihn in Stücke zu schneiden. Ich löste mein Messer vom Gürtel, nahm einen weiteren Apfel und zerstückelte ihn. Als ich fertig war, sah er irgendwie nicht mehr besonders lecker aus. Aber wen kümmerte es? Hayley schaffte es irgendwie, etwas Leckeres aus den Äpfeln zu kochen, und es machte satt, und das war alles, was zählte.


Etwas später am Nachmittag kehrten Minho und Thomas aus dem Labyrinth zurück. Sie strahlten eine gewisse Siegessicherheit aus, die sich sofort auf mich übertrug. Ich lief ihnen entgegen und schaute ihnen beim Trinken zu, bis sie wieder einigermaßen zu Atem gekommen waren. „Die Karten", stieß Thomas hervor.

„Man muss sie anders lesen. Anders sortieren. Ich bin mir sicher, es stimmt."

„Hol Wachspapier, Bleistifte und Scheren, Newt", wies Minho mich an und ich gehorchte, ohne groß zu fragen, obwohl die Fragezeichen in meinem Kopf Purzelbäume schlugen. Bleistifte, ja. Aber Scheren? Und Wachspapier? Musste ich an dem Verstand der Jungen zweifeln? Oder konnte das, was sie vorhatten, tatsächlich zu einem Ergebnis führen? Ich brachte die Materialien ins Gehöft und sah Minho und Thomas zu, wie sie verschiedene Karten übereinander stapelten und sie dabei immer wieder umschichteten. Insgesamt waren es mehr als sechzig Stück dickes Papier, auf die mit Bleistift im rechten Winkel zueinander stehende Linien gekritzelt worden waren. Als ich Minho sagte, dass ich keine Scheren gefunden hatte, drückte er mir kurzerhand ein Messer in die Hand und bedeutete mir, Quadrate aus Wachspapier auszuschneiden. Verwirrt setzte ich mich an den einzigen Tisch im Gehöft und machte mich an die Arbeit. Als ich mehrere Vierecke mehr schlecht als recht zugeschnitten hatte, reichte Thomas mir eine Karte zum abpausen. „Sobald du die Linien auf das Wachspapier übertragen hast, legst du die Karte beiseite. Wir dürfen sie auf keinen Fall durcheinander kriegen", erklärte er mir. Ich hob die Augenbrauen und setzte mich wieder, von Sekunde zu Sekunde verwirrter werdend. Was zum Griewer lief hier ab? Konnte mich endlich mal jemand aufklären?

Es dauerte mehrere mühsame Stunden und viele helfende Hände – vor einiger Zeit waren Hayley und der kleine Chuck noch zu uns gestoßen und uns geholfen – bis wir endlich fertig waren. Und es stimmte. Die übereinandergeschichteten Bögen von Wachspapier mit den übertragenen Linien ergaben ganz klar Buchstaben. Den ersten klar erkennbaren Buchstaben hatten wir gefeiert wie man ein neues Jahrtausend zelebriert, aber die darauffolgenden Buchstaben hatten nur noch mehr Verwirrung in meinem ohnehin schon verwirrten Gehirn hinterlassen. Auf ein T folgte ein R und ergab zusammen mit ein paar wenigen weiteren Buchstaben das erste Codewort: TREIBEN. Es war die Tatsache, dass dieses eine Wort nicht das einzige blieb, die alle versammelten zum Stutzen brachte.

„Los, weiter", drängte Thomas. Und sie schnitten weiter, zeichneten bis die Bleistifte auf die Hälfte geschrumpft waren und bis sie vor einem Haufen unzusammenhängender Worte standen. TREIBEN, FANGEN, BLUTEN, STERBEN, FALLEN, DRÜCKEN. „Das ist alles?", fragte er und klang dabei irgendwie enttäuscht. „Bist du sicher, dass die Reihenfolge stimmt?", wendete er sich an niemand bestimmtes.

„Ganz sicher", versicherte Hayley. „Nach DRÜCKEN fing es wieder mit TREIBEN an, dann kam das nächste und dann die ersten drei Buchstaben von BLUTEN. Weiter seid ihr noch nicht gekommen mit euren Aufzeichnungen."

„Hört sich nicht gerade einladend an", gab ich mit gerunzelter Stirn zu. Es stimmte. Besonders das Auftauchen des Wortes Sterben beunruhigte mich. Ich war dem Tod schon einmal nah gewesen, mehrmals sogar. Ich hatte nicht die Absicht, diese Erfahrung zu wiederholen. „Jetzt müssen wir diesen... diesen Code nur noch eingeben, oder? Einmal in die Höhle des Löwen, und dann sind wir draußen, oder? Oder?" Ich wusste, ich hörte mich hysterisch an, doch dagegen konnte ich nichts tun. Wir waren der Freiheit so nah. Keine Ahnung wie Superhirn Thomas, gemeinsam mit Minho, auf diese grandiose, lebensrettende Idee gekommen war, uns durch das Griewerloch hier raus zu schleusen, ich wollte es auch gar nicht wissen. Tatsache war, dass wir auf dem besten Wege waren, hier heraus zu gelangen.

„Ja, richtig", bestätigte Thomas und rieb sich die Stirn. „Irgendwas entgeht uns hier...", murmelte er und hörte dabei nicht auf, die Stirn zu runzeln, nur um sie dann wieder zu glätten. Etwas ging in seinem Kopf vor sich, das sah man ihm an. Und dann schien ihm eine Idee zu kommen. Unwillkürlich wurde er blass um die Nase.

„Wir müssen uns erinnern. Wir können nicht drauflosrennen und raten, da hat Enja recht gehabt gestern." Er sah sich nach Enja um, und da entdeckte auch ich sie, in der Tür gelehnt, die Arme verschränkt, ein herausfordernder Blick in Hayleys Richtung auf dem Gesicht. „Wir können nicht da draußen mit sieben Leuten unser Leben riskieren und nicht wissen, was uns da draußen erwartet. Und zufällig hat ausgerechnet Gally mir die fehlende Information geliefert. Gebt mir etwas Zeit. Ich weiß, was getan werden muss. Gebt mir Zeit, und ich verspreche euch, wir sind in spätestens zwei Tagen draußen. Aber ich kann und will und werde nicht mein beschissenes kleines Leben aufs Spiel setzen, ohne zu wissen, was mich draußen erwartet oder was uns hier gefangen gehalten hat."

Und dann drehte er sich abrupt um und verließ das Gehöft in Richtung Labyrinth. Wir alle folgten ihm mit unseren Blicken, doch keiner rührte sich. Und dann war es ausgerechnet Enja, die aussprach, was wir alle dachten. „Was zur Hölle hat er vor?"



Es gibt ja so gewisse Leute, die das erste Buch noch nicht gelesen haben. Keine Ahnung wieso, aber das ist ja im Grunde egal. Auf jeden Fall möchte ich darauf hinweisen, dass sich die Handlung auf den letzten Metern dieses Buches tatsächlich noch mal an das Original hält. Ich habe die Sache mit dem Griewerloch zwar vorweggenommen, aber das mit dem gestochen-werden und mit Thomas' Verwandlung kommt alles noch. Wer sich also nicht spoilern will, sollte die nächsten zwei oder drei (mal sehen, wie viele da noch kommen, das Buch plant aber doch noch ein wenig umfangreicher zu werden als ich das vorgesehen habe) Kapitel auslassen.
Nur so viel dazu ;)Ich hau mich jetzt ins Bett, au revoir! ;)


Newt: Way Home Where stories live. Discover now