Kapitel 6

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Zur gleichen Zeit wie bei Narie treffen sich Präsident Snow und der oberste Spielmacher Seneca Crane im Privatgarten des Präsidenten. Der alte, weißhaarige Mann hatte den Spielmacher sofort her zitiert, als er erfahren hatte, dass der weibliche Tribut aus Distrikt 7 eine 11 bekommt und damit laut den Spielmachern gefährlicher ist, als die Karrieros.
»Eine 11?«, fragt der Präsident ungläubig. Er hatte schon gehört, was Narie sich bei ihrer Einzelstunde geleistet hatte und ist überrascht, dass trotzdem eine so hohe Punktzahl vergeben wird.
»Sie hat sie verdient.«, gibt der schwarzhaarige Mann nur zurück.
»Sie hat einen Pfeil auf ihren Kopf geschossen.«, meint Snow nur trocken, im selben Tonfall wie Crane.
»Nun ja, auf einen Apfel.«, gibt Seneca zurück, wahrscheinlich froh darüber, dass Narie so zielsicher war und nicht seinen Kopf getroffen hatte.
»In Kopfnähe. Setzen sie sich.« Widerwillig und zögernd lässt sich der Spielmacher auf die Metallbank fallen, direkt neben dem Präsidenten.
»Seneca, wozu brauchen wir einen Gewinner?«, fragt er und blickt seinen Gegenüber an. Seneca versteht nicht.
»Was meinen sie?«, fragt er nach.
»Ich meine: Wozu brauchen wir einen Gewinner? Wenn wir die Distrikte bloß einschüchtern wollten, könnten wir auch 24 Tribute zusammen treiben und auf einen Schlag hinrichten. Das ginge viel schneller.«, gegen Ende des Satzes klingt seine Stimme fast schon spöttisch oder beleidigend.
»Hoffnung.«, meint er, als bei seinem Spielmacher immer noch keine Erkenntnis kommt.
»Hoffnung?«, verwirrt zieht dieser die Augenbrauen zusammen.
»Hoffnung. Hoffnung ist das Einzige, was stärker ist als Furcht. Ein bisschen Hoffnung ist nützlich, eine Menge Hoffnung ist gefährlich. Nichts gegen einen Funken, solange er unter Kontrolle ist.«, während Snow redet, beginnt er eine seiner weißen Rosen mit einer Gartenschere zurechtzuschneiden.
»Also?«
»Also kontrollieren sie ihn.«, befiehlt Snow.
»Sicher.«, gibt Seneca nur zurück.

Für Narie begann der Tag ziemlich ereignislos. Sie ist normal aufgestanden, hatte gefrühstückt und sich dann wieder in ihr Zimmer verkrochen, ohne jemanden rein zu lassen. Heute hatte sie vormittags auch keine Termine. Sie war schon duschen, denn nachher würden die Interviews sein und ihre Stylisten würden sie so oder so wieder unter die Dusche schicken. Nach dem Mittagessen, wovon Narie so viel gegessen hatte, wie es nur geht, sie wusste schließlich nicht, wann sie in der Arena wieder etwas bekommt, kommen ihre Stylisten. Freudig nehmen sie zur Kenntnis, dass sie schon geduscht hatte, dann müssen sie sich nicht damit aufhalten. Als Erstes wird sie auf einen Stuhl gedrückt und vor ihr wird haufenweise Schminke ausgepackt. Narie beäugt das Meiste davon ziemlich kritisch und hofft, dass sie nicht am Ende genau so aussehen wird wie die Frauen hier im Kapitol. Ihre Stylisten beginnen an ihrem gesamten Gesicht zu arbeiten, nebenbei beginnt jemand anderes Locken in ihre Haare zu machen. Narie weiß nicht, was das alles ist, was sie ihr auf das Gesicht geben, allerdings interessiert es sie auch nicht wirklich, denn sie wird so etwas nie wieder tragen. Nach einer halben Ewigkeit sind die Stylisten anscheinend fertig und Narie darf auf stehen. Während die Stylisten ihr Kleid holen sieht sie sich im Spiegel an. Ihre Augen sind dunkel geschminkt, sodass ihr Blick noch kälter wirkt. Ihre Augen funkeln und sie muss sich selber eingestehen, dass es ihr gefällt, wie sie geschminkt wurde. Die schwarzen Haare fallen ihr über die Schultern und den Rücken in sanften Wellen und zwei Strähnen wurden nach hinten gesteckt. Als sich die Tür wieder öffnet, sieht sie zunächst nur rot. Narie stellt fest, dass das was sie sieht ein Kleid ist. Vor ihr wird es auf das Bett gelegt. Es ist ein rotes Kleid, was ihr vorne bis zum Ende der Oberschenkel geht. Hinten ist es etwas länger. Um die Taille ist ein dunkelrotes Band zu einer Schleife gebunden, in genau dem gleichen rot wie der Rest des Kleides. Als sie das Kleid endlich an hat, macht ihr Stylist das Kleid zu. Narie sieht sich an. Das Kleid lässt sie etwas älter wirken, es lässt sie besser aussehen. Narie weiß nicht wie, aber irgendwie schafft es dieses Kleid das beste aus ihr heraus zu holen. Lorena kommt herein und bleibt sofort stehen. Sie schlägt die Hände vor dem Mund zusammen.
»Du siehst wunderschön aus.«, meint sie und betrachtet Narie eingehend. Narie mag manchmal so ihre Schwierigkeiten mit Lorena haben, aber es freut sie sehr, dass sie Lorena gefällt.
»Danke.«, sie lächelt leicht. Doch ihr Lächeln erstirbt als sie sieht, was ihr jemand vor die Füße gestellt hat. Mit leichtem Entsetzen betrachtet sie die hohen schwarzen Schuhe. Bei der Ernte konnte sie sich noch raus reden, aber jetzt wird es wohl keinen Ausweg geben. Missmutig steigt sie in die schwarzen High-Heels vor ihren Füßen. Sofort wirkt sie größer, was ihr um ehrlich zu sein gefällt, denn sollte sie wieder auf einen der Karriero-Jungen treffen, dann wirkt sie wenigstens nicht so klein und schwach neben ihnen. Die Stylisten nehmen noch ein paar letzte Änderungen vor, dann kommt Blight zu ihr.
»Du siehst wundervoll aus.«, meint er nachdem er sie betrachtet hat.
»Danke.«, gibt sie nur zurück. Blight ist hier um sie für das Interview abzuholen.
»Bist du fertig?«, fragt er. Auch er hatte sich ein bisschen zurechtgemacht und Hose und T-Shirt gegen einen schwarzen Anzug getauscht. »Warte. Nur noch...«, ihr Stylist beendet seinen Satz nicht, er sprüht Narie etwas mit Parfüm ein.
»So fertig.«, meint er dann und gibt Blight somit das Okay, dass die beiden gehen können. Er hält ihr seinen Arm zum Unterhaken hin und einen Moment lang zögert Narie, doch als sie das provokante Grinsen auf seinem Gesicht sieht harkt sie sich ein. Beide gehen zusammen zum Aufzug. Als sie dort einsteigen, stehen dort schon die beiden Tribute aus Distrikt 11, sowie ihre Mentoren. Narie kennt niemand von den Beiden, aber scheinbar kennt Blight sie. Natürlich kennt er sie, wahrscheinlich arbeiten sie schon jahrelang zusammen. Zu Naries Verwunderung scheinen beide Mentoren zu wissen wer sie ist.
»Hallo, Narie. Ich bin Seeder und das ist Chaff, wir haben schon viel von dir gehört.«, die dunkelhäutige Frau aus Distrikt 11 reicht ihr die Hand. Zögerlich erwidert Narie diesen Gruß. Woher hatte die Frau schon viel von ihr gehört? Haben Blight und sie sich etwa über sie Unterhalten? Bevor Narie eine Antwort auf diese Frage bekommen kann ist der Fahrstuhl an seinem Ziel angekommen und alle Tribute mitsamt Mentoren steigen aus. Thresh und Rue gehen einen anderen Weg als wir. Wieso sind die beiden eigentlich zusammen gefahren und Ian und ich nicht? Wo ist Ian überhaupt?, all das fragt sich Narie als sie gemeinsam mit Blight dort unten steht. Obwohl sie es sich nicht anmerken lassen will ist sie schrecklich aufgeregt. Und das Ganze wird noch schlimmer als Blight mit einem »Ich lasse dich mal für ein paar Minuten alleine.« zu einem anderen Mentor verschwindet. Narie kann nicht erkennen zu wem er geht, sie sehe nur, wie er sich mit einem blonden Mann mit fast schulterlangen Haaren unterhält. Ist das nicht der, der bei der Ernte in Distrikt 12 betrunken von der Bühne gefallen ist? Narie erschrickt, als plötzlich jemand neben ihr auf taucht. Sie dreht sich zu dem Neuankömmling um und erwartet Ian, wird aber von einem grinsenden Finnick Odair begrüßt. Finnick Odair ist so was wie eine lebende Legende hier in Panem. Er gewann die 65. Hungerspiele mit 14 und ist immer noch einer der jüngsten Sieger. Er kommt aus Distrikt 4 und war ein Karriero, seine Chancen zu gewinnen waren also von Anfang an sehr hoch. Er bekam haufenweise Sponsorengeschenke und als er einen Dreizack von einem der Fallschirme bekommen hatte, war es nur noch eine Frage der Zeit bis er gewonnen hatte. Sein Distrikt ist für die Fischerei bekannt und er hat sein halbes Leben lang nichts anderes gemacht als mit dem Dreizack zu fischen. Er wickelte seine Gegner in einem selbst geknüpftem Fischernetz ein und durchbohrte sie dann mit seinem Dreizack, noch bevor diese die Möglichkeit hatten um Hilfe zu schreien.
»Hallo, Narie.«, sagt er sanft und sieht sie an. Einen Moment lang fühlt sie sich unwohl, dann hat sie sich auch wieder gefangen. Narie plant so zu tun, als wüsste sie nicht wer vor ihr steht.
»Finnick Odair, oder?«, fragt sie gespielt unsicher nach. Er grinst kurz, aber kein spöttisches Grinsen.
»Ja. Aber lassen wir doch diese Spielchen. Wir wissen beide, dass du nicht das schüchterne Mädchen bist, was du gerade vorgibst zu sein.«, meint er und nimmt ein Stück Abstand, steht aber trotzdem noch nah bei ihr.
»Das könnte ich, wenn du nicht den Frauenaufreißer gibst, den du sonst immer vorspielst.«, gibt Narie frech zurück. Sie hatte ihm sein ganzes Frauengehabe nie vollständig abgekauft. Narie war dem Kapitol über schon immer misstrauisch und würde ihnen auch zutrauen, dass sie ihn zu Sachen zwingen, die er nicht machen möchte, unter anderem auch, dass er sich selbst verkauft.
»Na schön, du hast mich durchschaut. Du bist also die beste Freundin von unserem Blight, ja?«, gegen Ende des Satzes sieht Finnick zu ihm, er unterhält sich noch mit anderen Mentoren. Narie ist kurz überrascht von dem plötzlichen Themenwechsel.
»Ja, genau die bin ich. Scheinbar kennt mich ja halb Panem.«, witzele Narie ironisch und Finnick lacht leicht.
»Du würdest dich wundern, wer dich alles kennt.«, gibt er ihr nur zurück. Was soll das denn heißen?
»Wieso bist du denn so aufgeregt? Mache ich dich nervös?«, fragt Finnick nach einem kurzen Moment Stille. Diesmal ist es an Narie zu lachen.
»Nein, tut mir Leid. Männer die sich selbst verkaufen machen mich nicht nervös.«, gibt Narie nur zurück und hofft, dass Finnick endlich Ruhe gibt. Dieser allerdings sieht leicht bestürzt zu dem Mädchen vor ihm, versucht aber schnell vom Thema abzulenken.
»Was macht dich dann so nervös?«, er sieht direkt zu Narie.
»Das Interview. Ich habe keine Ahnung wie ich Sponsoren gewinnen soll.«, aus irgendeinem Grund vertraut sie Finnick. Er ist nicht so schlimm, wie die Medien immer behaupten.
»Du musst nicht aufgeregt sein. Versuch einfach nur Freunde zu gewinnen.«, der Junge lehnt sich leicht gegen die Wand, an der beide stehen. Narie kann sich ein spöttisches Lachen nicht verkneifen.
»Freunde zu gewinnen liegt mir nicht.«, gibt sie nur zurück.
»Nicht? Also bei mir hast du es geschafft.«
»Da hab ich es ja auch nicht versucht.«, sie sieht zu dem Jungen vor sich. Hatte sie es tatsächlich geschafft auf den großen Finnick Odair sympathisch zu wirken, ohne es zu wollen?
»Sei einfach du selbst, dann klappt das schon.«, meint Finnick, sieht dann aber zu seinen Tributen.
»Ich sollte dann mal gehen. Wir sehen uns mach den Spielen.«, mit diesen Worten verschwindet er. Hatte sie sich verhört? Was soll das denn heißen? Wir sehen uns nach den Spielen. War das eine Anspielung darauf, dass er denkt, dass sie gewinnen könnte?

Fighter || Hunger GamesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt