》Kapitel 5 - Versöhnung《 ✅

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Mit Gewissensbissen stand ich neben Stellas Spind und wartete darauf, dass sie mich bemerkte. Als es mir aber zu unangenehm wurde, täuschte ich einen Husten vor, um ihre Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Dabei bedachte ich, mir nichts anmerken zu lassen, dass ich höllische Schmerzen empfand aufgrund meines Rückens. Stella schlug den Spind zu und sah mich erwartungsvoll an, als hätte sie nur darauf gewartet, dass ich mich bemerkbar machte. Ich sah wie ihre Mundwinkel zuckten und schaute grimmig drein.
Dem Anschein nach amüsierte sie sich prächtig.

Doch ich wollte ihr die Genugtuung nicht geben, weshalb ich provozierend meine Arme verschränkte und mich nach hinten lehnte. Das erwies sich als schmerzvoller, als ich gedacht hatte, aber mein Blick blieb neutral. Sie nahm dieselbe Haltung ein und wir duellierten mit unseren Blicken, wie wir es immer taten, bis der eine nachgeben würde und sich entschuldigen würde.
Wie sooft auch verlor Stella und brach in ein Gelächter aus, das mich ansteckte. Lachend fielen wir uns in die Arme und ich spürte, wie sehr ich sie in der kurzen Zeit vermisst hatte. Die Umarmung füllte mich mit so viel Freude, dass ich die Schmerzen kurz über mich ergehen ließ.

"Es tut mir leid", gestand Stella und sah mich bedrückt an, was bedeutete, dass sie noch nicht ganz fertig war. "Aber wir müssen endlich darüber reden, denn ansonsten könnte es noch unsere Freundschaft gefährden." Sie ließ mich los und stellte sich vor mich, was mich erleichtert aufatmen ließ, denn nun fiel mir das Atmen wieder einfacher.
Nach meiner Atmungspause blickte ich ihr in die Augen und ich erkannte an ihrem Ausdruck, dass ich sie dringend ablenken musste, bevor sie es mit meinem Rücken erfuhr. Es wird sie nur unnötig beunruhigen.

"Na schön. Dann rede", forderte ich sie auf, obwohl mir ganz und gar nicht danach war, darüber zu reden.
Andernfalls müssten wir über den gestrigen Tag reden und da war mir dieses Gespräch doch um einiges lieber.

"Ich will die Erinnerung nicht wieder hervorrufen, um dich damit zu quälen. Ich will, dass du damit abschließt und einen Neuanfang startest. Verluste ändern Menschen, ich weiß und ich bin mit fast jeder Veränderung einverstanden, solange du einen Schlussstrich ziehst. Du zerstörst dich nur selbst und schottest dich von allem und jedem ab. Und wenn ich jetzt nicht endlich eingreife, werde ich dich in naher Zukunft verlieren und das kann ich nicht", flüsterte sie am Ende und sah mich mit feuchten Augen an.
Als sie meinen unentschlossenen Gesichtsausdruck sah, wischte sie sich übers Gesicht und meinte:"Natürlich brauchst du Zeit und die werde ich dir auch geben, aber ich werde das nicht länger mitmachen, Claire. Du tust mir mit deiner Art auch weh und ich werde nicht mehr mitansehen, wie das Leben aus dir entweicht. Du musst mir versprechen, dass du es wenigstens versuchst."

Entschlossen nickte ich, denn ich konnte Stella genauso wenig verlieren. Sie war ein wichtiger Teil meines Lebens und sollte sie aus meinem Leben verschwinden, würde ich komplett zerbrechen. Ich würde beinahe alles für sie tun und dazu zählte auch der Neuanfang.
Als sie mein Nicken sah, zeichnete sich ein wahres Lächeln auf ihrem Gesicht ab und sie wollte mich wieder kräftig umarmen, aber ich hielt sie noch rechtzeitig davon ab. Nochmal werde ich nicht meine Zähne zusammenbeißen können, sondern die Trommelfelle anderer mit meinem Schrei beschädigen.

"Lass uns die Versöhnungsumarmung auf ein andermal verschieben, abgemacht? Hab von gestern Muskelkater am ganzen Körper und es würde ein wenig weh tun", versuchte ich der Wahrheit auszuweichen. Doch Stella hatte schon immer eine Lüge aufgedeckt und ihr fiel direkt auf, dass mehr dahinter steckte.
Sie blickte mir in die Augen, als würde sie in meinen Kopf schauen und zog mich danach eilig auf das Schulklo.

"Während ich mir deinen Rücken ansehe, kannst du mir erklären, was genau vorgefallen ist", befiehl sie und ich seufzte theatralisch aus. Womit verriet ich mich bloß ständig? Dennoch erzählte ich ihr das ganze Geschehen.
In der Zwischenzeit konnte ich im Spiegel sehen, wie festgenagelt ihr Blick auf meinem Rücken hing. Als würde sie so die Wahrheit erfahren, denn ich konnte nicht beantworten, von wo der blaue Fleck kam.
Egal, wie sehr ich mich anstrengte, die Erinnerung war gelöscht worden und existierte nicht mehr.

"Deine Haut scheint nur stark beschädigt zu sein, aber deine Knochen sind alle gesund. Wenn du hundertprozentig sichergehen möchtest, dann geh lieber zu einem Arzt", schlug Stella vor und ließ mein Shirt wieder über meinen Rücken fallen.
Daraufhin antwortete ich:"Ich kann da mit diesen Fleck doch nicht dort auftauchen. Sie werden mir nie im Leben abkaufen, dass ich es vergessen habe. Bestimmt würden sie das Jugendamt auf meine Mutter hetzen und sie hat momentan genug Stress.
Eine gute Lügnerin bin ich auch nicht, zumindest gegenüber dir. Aber notfalls werde ich zum Arzt gehen, wenn ich tatsächlich schwere Verletzungen haben sollte."

Stella war wie in Trance und hatte mir nicht zugehört.
Gekränkt stupste ich sie an und schnipste vor ihrem Gesicht herum, aber sie reagierte nicht. Langsam machte ich mir echte Sorgen, weshalb ich schon anfing, sie zu schütteln.
"Geht es dir nicht gut? Stella! Hörst du mich?" Stirnrunzelnd gab ich ihr sogar eine leichte Ohrfeige, aber selbst das holte sie nicht aus ihrem Tagtraum.
Ihre Augen starrten durch mich hindurch und waren ganz blass. Auch ihr Teint hatte an Farbe verloren und sie hatte die Luft angehalten. Wenn sie nicht bald atmete, würde sie noch umkippen.

"Stella? Atme!" Ich schüttelte sie energischer und dann wie aus dem Nichts holte sie ganz tief Luft und die Farbe kehrte zurück. Erleichtert quetschte ich ihr Gesicht zusammen und schimpfte, weil ich vor Angst beinahe selbst einen Anfall bekommen hätte.

"Was war denn los? Sah mein Rücken derart schlimm aus? Du hast mir wahnsinnige Angst eingejagt!"
Benebelt schaute sie mich an, als müsste sie erstmal überlegen, wo sie sich befand. Dann ging ein Licht auf und sie strahlte wieder übers ganze Gesicht, das mich beunruhigte. "Mir gehts gut. Aber ich muss jetzt los, es klingelt gleich zur nächsten Stunde", kündigte sie an und verschwand mit schnellen Schritten durch die Tür ohne mir eine Erklärung zu liefern.

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