IV. Kapitel - Reue

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Alles war ruhig. Eine Todesstille herrschte. Sie schliefen bereits. Dalia war wieder nach Hause gekehrt. Sie hatte sich ein wenig beruhigt. Der Spaziergang war eine richtige Entscheidung gewesen. Man hörte das Knirschen des Parkettbodens, als Dalia sich in ihr Zimmer begab. Ein kurzer Blick in den Wandspiegel - Sie erschrak. Sie sah wie ein Junkie aus. Total ausgelaugt. Ihre Haare zerzaust, ihre Schminke verlaufen - diese Augenringe. Ihr nicht so leichtes Leben, hinterließ Spuren. Er hatte sie so gesehen. Verdammt, sie durfte nicht an ihn denken. Sie mochte ihn nicht. Diese Überheblichkeit und sein nicht ertragbares Auftreten - nein, danke. Dalia schminkte sich ab und sprang schnell unter die Dusche, ehe sie sich in ihr Bett verkroch und im Nu einschlief.

Am nächsten Morgen war Dalia nicht wirklich in Topform. Die gestrigen Ereignisse prallten nicht von ihr ab, im Gegenteil. Sie war immer noch erschöpft und seelisch ging es ihr nicht gut. Dalia hatte keine Lust, sich für die Uni fertig zu machen. Sie fragte sich manchmal, wie es manche Weiber schafften, einige Stunden früher aufzustehen, um sich auftaklen zu können. Wimperntusche, bisschen Rouge, ein schöner Lippenstift - reicht doch aus. Aber nein, die Weiber mit ihrem ganzen Contouring-Kram, alles lebendige Puppen. Viel zu gerne, hätte Dalia ihre Kommilitoninnen mal ungeschminkt gesehen, aber sie wagte es zu bezweifeln, sie dann erkennen zu können. Der Schlaf war Dalia viel zu heilig. Sie nahm es in Kauf, beschissenen auszusehen, sie nutzte jede Minute, jede Sekunde aus, um weiterschlafen zu können. Das Bett - ihr Freund und Helfer - ganz nach dem Motto sleep is my drug, bed my dealer. Dalia suchte schnell paar Klamotten aus ihrem Schrank zusammen. Schwarzes Top, schwarze Hose und Jacke. Sehr einfallsreich, aber sie pfiff darauf. Sie ging zur Uni und besuchte nicht die New Yorker Fashion Week, wie die anderen Mädels zu glauben schienen. "All black everything", murmelte sie vor sich hin und machte sich schließlich auf den Weg.

Dalia befand sich im Hörsaal und hörte dem Professor ganz aufmerksam zu. Sie war schon immer eine gute Schülerin gewesen und dies hatte sich mit dem Studiumstart auch nicht geändert. Da sie zuvor in Eile gewesen war, saß Dalia ganz weit vorne, ganz in der Nähe des Hörsaaleingangs. Plätze links und rechts von ihr waren natürlich frei. Wer setzte sich auch, freiwillig, direkt vor die Nase des Professors - keiner, außer Dalia. Sie machte sich gerade ein paar Notizen, wurde aber in ihrem Schaffen unterbrochen, als ihr jemand seinen Ellenbogen entgegenstreckte und ihr Bleistift auf den Boden fiel. Clarke.

"Du bist echt unmöglich. Unmöglich, Clarke. Was soll das?", fauchte Dalia an ihn an.

Clarke musste schmunzeln und kam ihr gefährlich nah ans Ohr. Dalia bekam eine Gänsehaut, ihr stockte der Atem. Seine plötzliche Nähe, jagte ihr einen Schauer ein. Ihr Körper vibrierte.

"Das ist für gestern. Geschieht dir recht, Bailey. Ach ja, noch bevor ich es vergesse, gehst du heute auf eine Beerdigung oder warum siehst du so schrecklich aus?"

Da war er wieder. Voll in seinem Element. Höflichkeit stand ihm definitiv nicht ins Gesicht geschrieben. Das Arschloch in Person. Dalia schubste ihn weg und setzte sich ein paar Sitzplätze weiter entfernt von ihm. Unfassbar, dieser Kerl. Mist, der Bleistift. Er lag noch auf dem Boden. Gezwungenermaßen musste Dalia aufstehen. Sie suchte nach dem Stift, fand ihn jedoch, nirgendwo auf.

"Suchst du etwa deinen Stift?"

"Gib ihn. Jetzt. Sofort. Wieder. Zurück. Oder. Ich..."

"Oder was, huh?"

"Clarke, ich möchte hier etwas lernen. Ich habe es dringend nötig, mich weiterzubilden. Wer soll mir sonst später mein Brot bezahlen? Der liebe Gott? Vielleicht du? Mit Sicherheit nicht. Also gib mir den Stift und halt einfach deine Klappe."

Clarke horchte und Dalia sah ihn überrascht an. Sie setzte sich wieder auf ihren Platz. Von der vorherigen Konzentration war allerdings nicht mehr viel übrig gewesen. Sie wusste, dass er sie die ganze Zeit anstarrte. Warum? Sie sah so schlimm aus und er hatte es ihr bestätigt. Dalia biss sich auf die Lippe. Sie spürte wie ihr Herz schneller schlug und sie wurde rot im Gesicht. Dalia hielt sich für den Rest der Vorlesung, die Hand vors Gesicht, so konnte sie wenigstens versuchen Clarke auszublenden. Ihn zu ignorieren.

Dalia war froh, dass sie ihn in den anderen Vorlesungen nicht mehr zu Augen bekam. Nach zwei weiteren Vorträgen meldete sich Dalias Magen und signalisierte ihr, dass es Zeit war, zu essen. Sie atmete auf, als sie die Cafeteria betrat. Sie war nicht voll und die Schlange am Buffet nicht lang. Sie machte eine kleine Runde und schaute, was es heute Leckeres gab. Sie hatte gerade ihr reichlich mit Essen bepacktes Tablett in die Hand genommen, als sie zwei Hände auf ihren Schultern spürte. Dalia erschrak und ließ beinahe ihr Tablett zu Boden fallen. Sie drehte sich um und drohte wie ein Vulkan zu explodieren und Clarke war dabei nur ein Kollateralschaden.

"Sonst geht es dir ganz gut, ja? Was hast du eigentlich gegen mich, Clarke? Hab ich dir etwas getan? Wieso verfolgst du mich ständig? Du hast doch nicht alle Tassen im Schrank."

"Entspann dich, Bailey. War nur ein kleiner Scherz. Du nimmst alles immer so Ernst."

Es hatte es so gelassen, so cool ausgesprochen. Dalia wurde wütender.

"Ich nehme immer alles so Ernst, ach ja? Nenn mir bitte einen Grund, weshalb ich dir jetzt nicht die Haare vom Kopf reißen oder dir ins Gesicht spucken sollte, Clarke. Du denkst, du könntest dir alles erlauben. Typischer Schnösel. Kriegst bestimmt eh alles nachgeworfen. Du musst dich um nichts und niemanden kümmern. Verwöhntes Etwas. Deine Freizeit verbringst du garantiert mit dem Geldzählen. Mama und Papa regeln sonst alles, was?"

Dalia ließ ihre gesamte Frust raus. Clarkes Blick wurde düster und kalt. Sie beobachtete, wie er seine Faust ballte, er war sauer. Er zog seine Augenbrauen zusammen, Falten hatten sich auf seiner Stirn gebildet.

"Pass auf, was du sagst, Bailey. Du kennst mich nicht und meine Eltern erst recht nicht, verstanden? Du hast gar keine Ahnung. Nimm das Wort Eltern, nie wieder in den Mund. Vorurteile über Vorurteile. Du enttäuschst mich, Bailey."

Dalia brachte keinen Ton raus. Clarke zeigte ihr die kalte Schulter. Hatte sie, etwas Falsches gesagt? Sie runzelte die Stirn. Hatte er auch Probleme Zuhause? Warum war er so aufgebracht und nervös? Dalia bereute, was sie gesagt hatte. Schuldgefühle plagten sie. Ein schlechtes Gewissen begleitete sie den restlichen Tag lang. Sie musste sich bei ihm entschuldigen, so sehr es auch an ihrem Ego kratzte.



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⏰ Last updated: Jan 09, 2016 ⏰

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Torn Apart - AuseinandergerissenWhere stories live. Discover now