II. Kapitel - Kam, sah, blamierte

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Dalia betrat unsicher den Raum. Wow. So viele Augen, nur auf sie gerichtet. Noch peinlicher konnte es wirklich nicht werden. Dalias Gesicht wurde rot. Sehr rot. Viel zu rot. Ihr wurde plötzlich so heiß, dann kalt, dann wieder heiß. Ihre Knie wurden weich. Ein leichtes Untergemurmel und Kichern machte sich bemerkbar. Sah sie wirklich so schlimm aus?

"Ms. Bailey, sehr erfreut. Schön, dass sie sich erinnert haben uns Gesellschaft zu leisten. War wohl ein langer Abend gestern, was? Zu viele Baileys? Bitte, setzen Sie sich doch. Ich würde gerne mit dem Stoff fortfahren. Wer in Zukunft zu spät erscheint, meine verehrten Damen und Herren, kann sich auf ein Haufen Arbeit gefasst machen.", sagte der Dozent.

Wie sie manche Professoren hasste. Sie hatte einen neuen Feind gefunden. Mr. Hardman, hieß der feine Herr. Dalia hätte gut kontern und sich ebenfalls einen Witz aus seinem Namen machen können, riskierte es aber nicht, in einen Bücherhaufen und weiteren Aufgaben zu versinken. Der Professor musste aber auf seine Autorität aufmerksam machen. Er Gott - wir Untertanen. Alles klar. Dalia blickte durch den Raum, erhofft hatte sie sich einen Platz in der hintersten Reihe, am besten irgendwo in der Ecke, wo sie sich verkriechen konnte. Heute war ihr nicht, nach Mitarbeit, fleißiges Händeheben und elend langen Vorträgen, in denen selbst der Professor sie unterbrechen musste, zumute. Heute ganz und gar nicht. Sie war einfach nur erschöpft und wollte den Tag ohne weitere Eskapaden hinter sich bringen. Sie setzte sich an vorderster Front und versuchte dem Professor zu folgen, was ihr deutlich schwer fiel. Sie kämpfte gegen ihre Müdigkeit an, konnte kaum ihre Augen offenhalten. Sie schlossen sich automatisch, Dalias Kopf war so schwer. Ihr Kopf kippte leicht nach vorn und sie zuckte zusammen. Reiß dich zusammen, Dalia. Bleib wach. Der Professor warf eine Frage in den Raum. Dalia versuchte sich zu konzentrieren.

"Wozu dient die Datei Autorun.inf, meine Damen und Herren? Hat jemand eine Ahnung? Ich müsste eigentlich alle Hände in der Luft sehen. Mr. Clarke, ich bitte Sie Ihre Aufmerksamkeit mir zu widmen, was sie auch immer unter ihrem Tisch treiben. Beantworten Sie doch meine Frage."

"Herr Professor, ich finde ich habe heute genug zum Unterricht beigetragen. Wieso fragen Sie nicht unsere nette Kommilitonin, in der ersten Reihe, die gerade zu spät gekommen ist."

Was zum Teufel? Dalia konnte die Blicke der Kommilitonen in den hinteren Reihen spüren. Sie durchbohrten sie förmlich. Sie drehte sich um und machte den Verantwortlichen ausfindig. Er grinste sie dreckig an. Dem wird sie es noch zeigen! Aufgeblasener Dreckssack. Mami und Papi schmeißen ihm bestimmt alles nach. Idiot.

"Mr. Clarke, es ist mir überlassen, wem ich die Fragen stelle, aber Ms. Bailey, sie haben die Chance, ihr Wissen unter Beweis zu stellen. Nur zu, versuchen Sie es."

"Die Datei Autorun.inf startet bei Medienwechsel automatisch ein Programm des Mediums."

"Anfängerglück.", zischte es mal wieder aus der hintersten Reihe.

"Mr. Clarke, eine weitere Bemerkung und sie können dem Direktor einen netten Besuch erstatten. Wird kein prickelndes Aufeinandertreffen. Damen und Herren, das war es für heute. Bis nächsten Montag in aller Frische."

Dalia packte ihren Kram schnell zusammen und wollte einfach nur noch raus. Der Tag war einfach nur schrecklich. Sie stand auf und musterte kurz den Idioten, der sie vor dem ganzen Kurs blamieren wollte. Sie ballte ihre Fäuste und ging erhobenen Hauptes auf ihn zu.

"Hemdträger, ja du, genau du!"

Sie stützte ihre Hände auf den Tisch und funkelte diesen widerlichen Typen mit feurigen Augen an.

"Was du auch immer vorhast, leg dich nicht mit mir an. Verstanden? Ein weiteres Mal lasse ich mir das nicht gefallen."

Clarke hatte damit überhaupt nicht gerechnet. Er hob seine Augenbrauen hoch, seine Augen weiteten sich. Er spielte mit seinem Bleistift im Mund herum.

"So viel Temperament, für so ein zierliches Wesen. Bin beeindruckt, Bailey."

Dalia rollte ihre Augen und verließ den Raum. Ihr Magen zog sich zusammen. Sie hatte Hunger. Sehr Hunger. Sie machte sich auf den Weg in die Cafeteria, nahm sich ein Tablett und stellte sich brav an. Sie überflog das heutige Menü und entschied sich für Hähnchen und Reis. Klassiker. Die Schlange war extrem lang und Dalias Hunger wurde immer größer. Manche meinten wirklich sich vordrängeln zu müssen, früher hat man es in der Schule immer gemacht. Zeiten scheinen sich manchmal doch nicht zu ändern. Dalia hielt kurz Ausschau nach einem Platz, konnte aber keinen aus ihrer jetzigen Position ausfindig machen. Dafür aber jemand anderen. Der schon wieder. Hoffentlich, kommt er nicht auf sie zu. Clarke, aus ihrem Kurs, stand also auch auf Hähnchen und Reis. Ob das ein Zufall war, wohl eher nicht. Er wollte sie bestimmt nerven. Dalia drehte sich wieder um und kam endlich an die Reihe. Sie schlenderte durch die Cafeteria. Nur noch ein beschissener Tisch war frei. Zwei Sitzplätze. Anscheinend hatten alle einen Bärenhunger. Sie setzte sich hin und freute sich auf das Essen. Von Weitem sah Dalia den Deppen wieder auf sie zukommen. Super, jetzt musste sie auch noch mit ihm speisen. Während sie sich vollstopfte, zog Clarke den Stuhl zu sich heran und setzte sich Dalia gegenüber. Dalia wollte ihr Essen genießen, doch eine unangenehme Atmosphäre entstand. Er musterte sie, musterte jede ihrer Bewegungen. Dalia schaute verlegen auf ihren Teller. Wie peinlich. Absolut peinlich. Sie musste so schnell wie möglich von hier verschwinden. Diese merkwürdige Stille machte die Situation nicht wirklich besser. Sie blickte wieder auf und er starrte sie immer noch an. Da war es wieder dieses dreckige Halbgrinsen. Seine Augen stachen unheimlich heraus. Meeresblau. Sein Gesicht so markant, seine Zähne strahlend weiß. Seine Haare durchwuschelt und doch so perfekt. Dalia erwischte sich selbst dabei, wie sie ihn angaffte. Verflucht. Widerlich dieser Kerl. Widerlich. Einfach nur widerlich.

"Temperamentvoll, aber doch sehr verlegen. Interessante Kombination. Übrigens ein Tipp, eine Lady genießt ihr Essen und stopft sich nicht wie Schwein voll, Bailey. Schreib dir das hinter die Ohren. Man sieht sich."

Jetzt war das Maß komplett voll. Was denkt er eigentlich, wer er ist? Er hielt sich wahrscheinlich für den alleinigen Weltmonarchen. Dalia war der Appetit endgültig vergangen. Sie sah, wie Clarke die Cafeteria verließ. Dass sie ihn für das erniedrigende Kommentar nicht zur Schnecke gemacht hatte, bereute sie jetzt schon. Rache ist süß. Er konnte noch etwas erleben. Dieser Clarke.

Der restliche Tag zog sich lang, doch Dalia überstand ihn zum Glück ohne Strapazen. Es war bereits dunkel, als Dalia aus dem Bus stieg und sich auf den Weg nach Hause machte. Gerade dabei die Wohnungstür aufzuschließen, hörte sie eine Vase zu Bruch gehen. Gebrülle. Gekreische. Ihr Puls wurde allemal schneller, ihre Hände zitterten. Sie schaffte es nicht, den Schlüssel ins Schlüsselloch zu stecken. Sie sackte vor der Wohnungstür zusammen. Sie stritten sich, mal wieder. Er hatte bestimmt wieder getrunken. Vermutlich ein ganzes Fass. Dalia kämpfte mit den Tränen. Sie durfte nicht weinen. Sie musste stark sein, stark sein für ihre Mutter. Mit all ihrer Kraft rappelte sie sich langsam wieder auf und betrat die Wohnung. Im Gang sah sie dieses Monster, diese Bestie, dieses Tier.

Torn Apart - Auseinandergerissenحيث تعيش القصص. اكتشف الآن