I. Kapitel - Desaster

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"Beeeeeeep, beeeep, bb-eeeepp, bbbb-eepp, bbbbbbb-eppp." Der Wecker klingelte. Dalia riss ihre Augen mühsam auf. Total benebelt versuchte sie ihren Wecker auszuschalten. Draußen war es noch stockdunkel. Sie tastete mit ihrer Hand ihre Nachttischkommode ab. Mist, dachte sie sich, dieser verdammte Wecker. Er piepte weiter, schneller und vor allem lauter. Dieses schrillende Geräusch, eine Qual für Dalias doch so empfindliche Ohren. Sie war so schrecklich müde, jeder ihrer Körperteile schmerzte. Mit großer Anstrengung rekelte sie sich aus dem Bett und schaute auf das Weckerdisplay. 06:00 Uhr. Nicht einmal vier Stunden Schlaf. Dalia kniff ihrem Augen zusammen, als sie den Lichtschalter im Flur betätigte. Dieses grelle, durchbohrende Licht machte den Morgen nicht viel angenehmer. Dalia bewegte sich im Schneckentempo zum Badezimmer. Doch bevor sie es betrat, warf sie einen kurzen Blick in die Küche. Überall lagen vereinzelt Bierflaschen. Es roch so grasig. Dalias Magen zog sich ruckartig zusammen. Sie musste würgen. Ihr Stiefvater hatte ein Alkoholproblem, ein großes. An den Geruch konnte sie sich bis heute nicht gewöhnen. So aggressiv und widerlich. Ihr Stiefvater war der Grund, weshalb sie bis zum heutigen Tag keinen Tropfen Alkohol zu sich genommen hatte. Das Badezimmer betretend, sah sich Dalia im Spiegel an. Ihr Gesicht sprach Bände. Tiefe, dunkle Augenringe zierten ihr viel zu junges, süßes Gesicht. Sie drehte den Wasserhahn auf und erfrischte ihr Gesicht mit kaltem Wasser. Es gab nichts Besseres. Sie fühlte sich ein wenig wohler. Nachdem sich Dalia ganz dezent geschminkt hatte, schlüpfte sie schnell in ihre Jeans und zog sich ein schlichtes Top an. Sneaker und Lederhose komplettierten ihr heutiges Outfit. Noch einmal zog sie ihren Lippenstift nach, bevor sie die Wohnung verließ. In Eile sprintete sie zur Bushaltestelle, sie winkte und machte den Busfahrer auf sich aufmerksam. Sie wollte gerade den Knopf betätigen, um die Bustür zu öffnen, doch der Busfahrer fuhr unverschämterweise los. Das darf doch wohl nicht sein Ernst sein, dachte Dalia, jetzt komme ich auch noch zu spät. Klasse. Dalia hatte bereits seit einem Jahr ihr Studium begonnen, schrieb sich aber für einen weiterführenden Kurs ein. Sie fühlte sich ein wenig unterfordert. Dieser Kurs fand ausgerechnet heute statt. Ein anderer Dozent leitete ihn. Ein wunderschöner erster Eindruck. Dalia blieb nichts anderes übrig als auf den nächsten Bus zu warten. Sie schaute auf den Plan. 20 Minuten bis der Nächste kam.

"Endlich", sagte Dalia, als sie den Bus erblickte. Doch sie sah von weitem, wie rappelvoll er war. Auch das noch. Sie stieg in den Bus, einen Sitzplatz zu finden war chancenlos. Sie quetschte sich durch die Menge und suchte nach festem Halt. Der Busfahrer fuhr bereits los, bevor Dalia die Schlaufe ergreifen konnte. Sie verlor ihr Gleichgewicht, machte ein paar Schritte vor- und zurück und fiel letztendlich auf den Boden. In ihrer Hand hielt sie paar Skripte, die lagen nun überall auf dem Boden zerstreut. Die Menge im Bus starrte sie an, ein paar Jungs konnten sich das Lachen nicht verkneifen, zeigten mit dem Finger auf Dalia. Dalia hob ihre Augenbrauen hoch, ihre Zähne knirschten. Sie malte sich in ihrem Kopf aus, wie sie den Jungs an den Kragen packen, sie anschreien, ihnen lediglich eine Lektion erteilen würde. Ihr fehlte aber die Kraft. Sie hatte keine Lust. Ihr Kopfkino in die Tat umzusetzen, verwarf sie. Stattdessen hob sie ihre Blätter auf. Sie wusste, es wird ein beschissener Tag werden. Es gab keine Zweifel. Nichts daran zu rütteln. Manchmal glaubte sie, dass das Unglück sie verfolgte. Und immer wenn die Welt ein bisschen besser für Dalia aussah, es bergauf ging, passierte etwas. Und es war nicht schön, so viel ist zu sagen. Auf dem Unicampus angekommen, raste sie zum Hörsaal, doch plötzlich blieb sie stehen. Verdammt, neuer Kurs, neuer Dozent, neuer Raum. Mitten auf dem Unigelände ging sie ihre Skripte durch, sie hatte den Raum auf einen kleinen Zettel geschrieben. Der Zettel musste irgendwo zwischen den ganzen Blättern sein. Dalia blätterte und blätterte - kein Zettel in Sicht. Dalia fasste sich an Kopf, kratzte sich am Hinterkopf. Verflucht, sie hatte ihn bestimmt im Bus verloren. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass sie bereits 15 Minuten zu spät war. Dalia kochte vor Wut und machte sich auf den Weg ins Sekretariat. Die Sekretärinnen waren heute auch nicht wirklich bemüht Dalia zu helfen, nach langem Hin- und Her tauchte plötzlich die Dekanin auf, die sich auch als Einzige in diesem Raum als kompetent erwiesen hatte. "Chicago - 4.34. Im vierten Obergeschoss, ganz hinten links.", sagte die Dekanin. Dalia bedankte sich freundlich und verließ das Sekretariat. Zu ihrem Entsetzen musste sie feststellen, dass der Aufzug außer Betrieb war. Wirklich jetzt? Dabei hatte sie bereits genug Sport getrieben. Einen Marathon war sie gelaufen und jetzt musste sie auch noch die Treppe nehmen. Dalia fühlte sich bereits um einige Kilo leichter. So viel Bewegung und das an einem Montagmorgen. Dalia kannte nur eine Art von Sprint - der-mein-Handy-geht-gleich-in-30 Sekunden-aus-und-such-verzweifelt-das-Ladekabel-Sprint. Das Leben schien also doch, immer gut für Überraschungen zu sein. Die Treppen schnell hochgerannt, stand Dalia nun vor dem besagten Raum. "Chicago 4.34", sprach Dalia vor sich hin. Vollkommen aus der Puste und verschwitzt, klopfte sie zögerlich an die Tür. Dalias Herz schlug bis zum Hals. Sie hörte ihren Dozenten sprechen, doch ihr Klopfen hatte ihn unterbrochen. Sie drückte die Türklinke herunter, ganz langsam, ganz vorsichtig. Es hieß auf in den Kampf.

Torn Apart - AuseinandergerissenWhere stories live. Discover now