„Es ist besser so", erklärte ich ihr, doch es fühlte sich nicht besser an. Ganz im Gegenteil, generell fühlte ich mich alles andere als gut, in meinem Inneren hatte sich ein klaffendes Loch aufgetan, so als wäre ein wichtiges Puzzleteil aus meiner Seele gesprungen.

„Du darfst nicht ernst nehmen, was Jackson sagt", versuchte meine Freundin immer noch, mich vom Gegenteil zu überzeugen. „Er ist ein Idiot, und er macht sich einen Spaß daraus, andere Menschen zu verletzen. Merk dir das."

„Was für ein Psychopath. Wo muss ich jetzt lang? Hier ist eine Kreuzung, geradeaus gehts zur Stadtmitte und links irgendwohin in den Wald." Ich rümpfte die Nase und beobachtete im Rückspiegel amüsiert den Fahrer hinter mir, der sich anscheinend wild gestikulierend darüber aufregte, mich nicht überholen zu können.

„Links", dirigierte mich Gloria. „Und dann erstmal eine Weile geradeaus, bis die nächste Abzweigung kommt. Und zurück zum Thema, ich weiß dass meine Brüder manchmal Arschlöcher sein können, aber gib ihm noch eine Chance."

Langsam setzte ich den Blinker und bog in die zweispurige Straße ein, die sich wie eine graue Schlange zwischen den Bäumen hindurch wandte und wunderte mich ernsthaft, wo ich am Ende des Weges landen würde. Doch im Laufe des Gespräches erfuhr ich, dass nicht nur Tyler und Gloria zusammen in einer Wohngemeinschaft lebten, seit sie volljährig geworden waren, sondern zu meinem Wehleiden auch die beiden Black Brüder sich unter diesem einen Dach befanden. Noch ein Aufeinandertreffen mit Will und ich würde nicht garantieren können, ob mein verwirrtes Selbst überhaupt noch angemessen reagieren würde.

Die Sonne stand bereits so tief, dass der hinter den dunklen Baumstämmen hindurchleuchtende goldene Schimmer in meinen Augenwinkeln eine rasche Abfolge von hell und dunkel erzeugte wie ein wechselnder Diafilm. Ich folgte der asphaltierten Straße und ließ das Fenster hinunter, um den Fahrtwind in meinen Haaren zu spüren. Es roch nach Sommerabend, frisch verwehtem Gras mit einer Mischung aus holzigem Duft der Rinde und herben Moos. Durch die Lautsprecher erzählte Gloria mir währenddessen von irgendeinem mysteriösen Typen, dem sie auf der Party am Freitag noch begegnet war, nachdem ich wortlos verschwunden war.

Irgendwann jedoch waren es nicht mehr nur die linearen Schatten der Bäume und Sonnenstrahlen, die ich in den Augenwinkeln vernahm, sondern eine sich bewegende Silhouette, die sich immer knapp außer meines scharfen Sichtendes bewegte. Jedes Mal, wenn ich meinen Kopf in die Richtung wandte, war sie wieder verschwunden.

Ich hielt den Wagen an, hinter mir war die Straße wie ausgestorben und auch vor mir war die Gegenfahrbahn frei. Mit einem Mal fühlte ich mich beobachtet und verfolgt und etwas in mir, das die Geschehnisse der letzten Tage für sich behalten wollte, brach.

„Hast du angehalten?" Glorys Stimme klang irritiert.

„Ja."

„Warum?"

„Ich glaube, jemand folgt mir." Ich spähte in den Wald hinein, ließ meinen Motor aber vorsichtshalber laufen.

„Ein Auto?" Meine Freundin schien nicht sonderlich überzeugt. „Fahr weiter und lass uns einfach nicht herausfinden, ob du verfolgt wirst. Du bist sowieso fast da."

Doch ich wusste ganz genau, wer das sein musste, der mich mich verfolgte. Es konnte kein Zufall sein, dass Dylan in London als verschwunden galt, und ich nun drohende Nachrichten erhielt und mir dunkle Schatten folgten. Oder vielleicht war es auch nur der Wolf, dem ich im Wald begegnet war, der mir mittlerweile aber wie ein ferner Traum vorkam.

„Glory, ich habe letzte Woche einen Wolf im Wald vor meinem Haus gesehen", beichtete ich nun und sah dabei auf meinem Handy nach, ob ich weitere besorgniserregende Nachrichten bekommen hatte.

„Was?!" Ihre Stimme klang plötzlich hoch und schrill, doch sie hatte sich schnell wieder gefangen. „Bist du dir sicher? Es war bestimmt nur ein entlaufener Hund."

„Ich bin mir relativ sicher, was ich gesehen habe", entgegnete ich. „Da war noch ein zweiter, der war riesig und braun, und er hat den ersten angegriffen."

Kurz blieb es still, dann fing sie an zu lachen. „Du weißt schon, wie verrückt das klingt?"

Rechts neben mir, etwa einen Steinwurf entfernt, zitterten die tief herabhängenden Äste einer Fichte, wie als hätte sich jemand hinter ihnen geduckt und wäre dabei an den Nadeln hängengeblieben. „Verrückt ist wohl das Wort des Tages", kommentierte ich ihre Skepsis und stellte den Motor ab. „Ich glaube wirklich, da ist jemand. Und wenn es der Wolf ist, finde ich es heraus."

„Lily, bist du wahnsinnig?" Sie klang nicht mehr ansatzweise so amüsiert wie vor wenigen Augenblicken. „Wehe, du steigst jetzt aus dem Auto. Fahr einfach weiter und leg es nicht darauf an."

Kurz überlegte ich, ihr einfach zu sagen, dass die andere Möglichkeit wäre, dass mein Verfolger mein psychopathischer Exfreund sein konnte, der mich für jeden Preis zurückwollte, doch die Idee verwarf ich schnell. Was mir aber immer klarer wurde, war der Fakt, dass mich der Nervenkitzel reizte, aus dem einfachen Grund, dass er mich aus der tauben Wirre meiner Emotionen holte.

„Was macht sie?" Mit Verwunderung hörte ich die gedämpfte Stimme von Will durch die Lautsprecher gefolgt von einem dumpfen Poltern. „Sag ihr, sie soll auf der Stelle weiterfahren."

„Will, verpiss dich aus meinem Zimmer", kreischte seine Schwester und wieder ertönte ein dumpfes Geräusch, wie von einem stumpfen Gegenstand, der gegen die Wand geworfen wird.

„Sie soll verdammt nochmal nicht alleine in den Wald gehen!", knurrte Will und ich konnte mir vor meinem inneren Auge nur zu gut vorstellen, wie er dabei seine Hände zur Faust ballte.

„Sie kann euch übrigens hören", schnaubte ich verächtlich und öffnete die Fahrertür, ohne weiter zu zögern. „Du kannst mich mal, Will Black." Ich hasste es, dass die Wut mich aus Trotz so oft zu Dingen trieb, die ich im Nachhinein bereute, doch es war sichtlich mein Stolz, der sich nicht unterkriegen ließ.

„Bitte steig jetzt nicht aus", flehte Will, doch ich griff nach meinem Handy und richtete meinen Blick erneut in den Wald, wo ich zwischen den Baumstämmen nun eindeutig einen Schatten hin und her huschen sah.

„Da ist wirklich jemand", murmelte ich abwesend.

„Das reicht jetzt, ich komme zu dir", meinte Will aufgebracht und wieder ertönte Poltern durch die Leitung, bevor ich auflegte.

Ich setzte einen Fuß nach dem anderen auf den rissigen Asphalt, bevor ich mich zu den nun bedrohlich aufragenden Bäumen drehte. Die Sonne war so tief hinter den Wipfeln verschwunden, dass der goldene Schimmer nur noch ein schwaches Glimmen in der Ferne war. Die Straße war immer noch leer, kein anderes Auto war weit und breit zu sehen.

Vorsichtig, nicht über eine Wurzel zu stolpern, kämpfte ich mir meinen Weg auf den Ort zu, wo vorhin die dunkle Gestalt gelauert hatte. In meiner Hand umklammerte ich das Handy mit der Polizei auf Kurzwahl, falls mein Verfolger auf dumme Ideen kommen sollte.

Ich umrundete einen Baumstamm und für mehrere Sekunden blendete mich der direkte Sonnenschein durch eine sich auftuende Lücke im Laub, und als sich meine Augen wieder an die Helligkeit gewöhnt hatten, blieb mir mein Schrei im Hals stecken. 

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by anna sophie 🪩
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