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(I) drei

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Lilian

„Die würd' ich an deiner Stelle nicht essen." Gloria Black, die mit mir noch zwei Stunden im Krankenzimmer verbracht und Mathe geschwänzt hatte, schob den Stuhl zurück und setzte sich wie selbstverständlich mir gegenüber an den runden Tisch in der Cafeteria. Bei dem Anblick der Suppe auf meinem Tablett rümpfte sie die Nase. „Man weiß nie, was drin ist."

Ich schenkte ihr einen misstrauischen Blick und rührte mit einem Löffel in meinem Mittagessen. Ehrlich gesagt hatte ich überhaupt keinen Hunger, außerdem hielt sich meine Begeisterung für die braun angelaufenen Erbsen sowieso in Grenzen.

„Bist du sicher, dass es dir gut geht?", fragte Glory und biss in einen Apfel. „Du bist noch ein bisschen blass."

„Alles gut", erwiderte ich und zwang mich zu einem Lächeln. „Was haben mir nach der Mittagspause?" Uns beiden war aufgefallen, dass wir größtenteils den gleichen Stundenplan hatten und ich somit nicht mehr ganz so verloren war. „Ich hoffe aber, dass es kein Physik oder so ist, sonst lasse ich mich doch noch krank schreiben."

Mir war Schule gerade sowieso relativ egal. In ein paar Monaten würde ich mein Abitur machen, aber Noten waren noch nie ein Problem gewesen. Ich wollte es einfach nur hinter mich bringen und endlich anfangen, zu leben, anstatt eingepfercht von den Entscheidungen meiner Eltern zu sein. Meine Gedanken drehten sich in einem wilden Karussell, immer weiter im Kreis, immer weiter, immer weiter. Ich wollte die Hände auf die Ohren pressen und schreien. Es war immer die gleiche Abfolge der Sequenzen, die ich schon kannte: Das Gefühl, alleine zu sein, der Stress meiner Familie, umziehen zu wollen, dann dieses kalte Gesicht über mir, es war das Gesicht meines Exfreundes. Dann drehte sich das Karussell weiter. Nur dass meine Gedanken jetzt noch zusätzlich einen weiteren Anhaltspunkt hatten – die dunkeln Augen von Will, die immer wieder aufblitzten.

Was wohl passiert wäre, wenn Glory uns nicht unterbrochen hätte, ich wollte es mir nicht ausmalen. Es war mir schon vor wenigen Monaten zum Verhängnis geworden, dass ich mein Herz an den falschen Jungen verloren hatte, und darüber war ich sicherlich noch nicht hinweg. Meine neue Freundin hatte mich soeben vor dem nächsten verhängnisvollen Fehler bewahrt. Noch eine toxische Beziehung und ich wäre an einem elendigeren Ort als jetzt.

Und trotzdem wollte mir das Gefühl der Wärme auf meiner Haut nicht aus dem Sinn gehen, als er mich vorhin im Krankenzimmer berührt hatte, sowie die tiefgreifende Ahnung, dass zwischen uns eine unerklärliche Spannung lag.

Wütend über mich selbst und dass ich Will Black nicht aus meinem Kopf verbannen konnte, rührte ich energisch in der Suppe, die auf dem Plastiktablett stand.

„Erdkunde", antwortete meint Gegenüber und beobachtet misstrauisch jede meiner Bewegungen. „Wir haben als nächstes Erdkunde. Sag mal, ist wirklich alles gut? Du scheinst die ganze Zeit so abwesend."

Nervös spielte ich mit meinen Fingern mit einer Haarsträhne. Was war nur mit mir los? Schon wieder geisterte sein Bild in meiner Vorstellung, wie er sich immer tiefer zu mir hinabbeugte, ich spürte das Kribbeln und die leichten Funken, die zwischen uns hin und her sprangen, das Gefühl seines Körpers so nah an meinem ...

„Verdammt, Lilian, ich rede mit dir!" Glory fuchtelte wild mit einer Hand vor meinem Gesicht herum und ich zuckte erschrocken zusammen.

„Was hast du ... äh, ich meine, ja", stammelte ich und wurde rot.

„Sicherlich", schmunzelte sie, aber schien es mir nicht übel zu nehmen, und grinste, dann richtete sich ihr Blick auf etwas hinter mir und das Grinsen erlosch wieder. „Seltsam, was hat Jackson denn hier zu suchen?"

Mate - AeternitasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt