Ich fühlte mich so bloßgestellt, als hätte Will mein intimstes Geheimnis mit großer Schrift an die Wand geschrieben. Woher sollte sein Bruder so etwas wissen, wenn ihm nicht davon erzählt worden war?

Wie als hätte Jackson meine Gedanken gelesen, trat er auf mich zu, so bedrohlich, dass ich mich in die Enge getrieben fühlte, auch wenn ich versuchte, es mir nicht anmerken zu lassen. „Das ist nicht nur ein Gedicht, Süße." Ich war mir plötzlich unsicher, ob es ihn lediglich amüsierte, mich zu verunsichern, oder ob er die Wahrheit sprach. „In der Welt, die du kennst, ist Liebe nur eine Mischung aus einer kleinen Schwärmerei, die vergänglich und ersetzbar ist, vermischt mit den richtigen Hormonen. Was du jetzt erlebst... das ist keine Liebe. Das ist Schicksal. Wenn du einmal zu tief eintauchst, hast du keine Wahl mehr, und wenn du zu schnell zu voreilig bist, gibt es kein Zurück mehr."

„Was redest du da für einen Scheiß?", kam ich ihm dazwischen. „Willst du mich verarschen?"

Auf seinem Gesicht erschien ein zufriedener Ausdruck. „Ganz im Gegenteil. Ich sage nichts als die Wahrheit, was mein Brüderchen ja anscheinend nicht machen will. Ich gebe dir lediglich die Mittel dazu, eine Wahl treffen zu können, ob du dich ein Leben lang an eine Person binden willst, oder ob du lieber deine Freiheit genießt."

Das war der Moment, in dem die Situation eskalierte. Will stürzte sich auf seinen Bruder und stieß ihn gegen die Reihen der Spinde, das Metall ächzte gefährlich laut und drohte, nachzugeben. „Wie kannst du es wagen?", zischte er und drückte seinen Unterarm gegen Jacksons Kehle, erschrocken stolperte ich zurück. Seine Augen waren gefährlich dunkel.

„Ihr seid verrückt", kam es mir flüsternd über die Lippen, ich hatte das Gefühl neben meinem Körper zu stehen. „Ihr seid einfach nur verrückt."

Ich konnte es mir nicht weiter ansehen. Wie nach einem harten Schlag wandte ich den Kopf ab, von selbst trugen mich meine Beine fort von der Szene, die sich mir bot. Ich ertrug es nicht mehr, die beiden ringenden Brüder weiter anzublicken.

„Lilian, warte!", rief mir Will hinterher, doch ich reagierte nicht. Stattdessen beschleunigte ich meine Schritte und sah nicht zurück, damit niemand meine vor Wut feuchten Augen sehen konnte.

„Ich kann das erklären ... Bitte bleib stehen!", hörte ich ihn immer noch hinter mir.

„Lass mich einfach in Ruhe." Ich blieb kurz stehen, wandte mich aber nicht in seine Richtung. „Was auch immer ihr genommen habt und was auch immer hier läuft, ich will damit nichts zu tun haben. Ihr seid verrückt."

Ich konnte seine Anwesenheit dicht hinter mir spüren, sie blendete alles andere aus. Die geschlossenen Klassenzimmer, das Gebäude, das uns umgab, die Flure, das Ticken der hässlichen Uhren an den Wänden, das alles rückte in den Hintergrund.

„Lily, es ist nicht so, wie du denkst", meinte er leise und griff nach meiner Hand, doch ich entzog sie ihm sofort. „Lass es mich dir erklären."

„Das ist doch alles ... Schwachsinn." Meine Stimme bebte leicht, ich senkte resigniert den Blick. „Es tut mir leid, aber ich dachte wirklich, das zwischen uns könnte was ernstes werden, aber ... ich will es ehrlich gesagt nicht mehr, Will. Das ist alles zu abgedreht, haltet euch einfach von mir fern."

Ohne eine Antwort auf meine Abweisung abzuwarten, ließ ich ihn stehen und bog mehrmals in die nächstbesten Gänge ein, bis ich so weit weg von ihm war, wie ich in diesem Gebäude nur sein konnte.

Sobald ich mir sicher war, alleine zu sein, lehnte ich mich seufzend gegen die helle Tapete der Flure und ließ mich an der kühlen Wand hinunter auf den Boden gleiten.

-

„Meinst du nicht, dass du etwas zu heftig reagiert hast?" Glorys Stimme klang besorgt durch die Freisprechanlage meines Autos, als ich die nächste Abfahrt Richtung Westteil der Stadt nahm. Die letzten Minuten hatte ich damit verbracht, ihr die heutigen Geschehnisse zu schildern, während sie mir gleichzeitig Wegweisungen zu ihrem Haus gab.

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by anna sophie 🪩
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[ gen.: aeternitātis (f.) lat. - Ewigkeit, Unvergänglichkeit, Verewi...
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