17 -

17.1K 1.2K 70
                                    

siebzehn / seventeen / dix-sept.-

Nachdenklich sehe ich sie an und ein Lächeln erscheint auf meinen Lippen. „Was? Ich habe eine gute Menschenkenntnis. Und ich verstehe Worte", sagt sie verteidigend und nippt an ihrem Cappuccino.

„Interessant. Du bist ein durchaus angenehmer Gesprächspartner, Ada."

Sie lächelt, zeigt ihre geraden Zähne und nickt dann. „Ich versuche einer zu sein, ja. Weißt du, das wollte ich schon immer mal machen. Mit einem wildfremden Typen in einem süßen, kleinen Café sitzen, mit einer Tasse Kaffee, obwohl ich bevorzugt Tee trinke, den Amy nicht verkauft und über etwas reden, was verbindet."

„Was verbindet uns denn?"

„Na, die zersplitterte Liebesgeschichte, du Idiot."

Ich fange an zu lachen, sie rollt mit den Augen. Nach einem kurzen Blick auf ihre Armbanduhr sieht sie mich entschuldigend an. „Ich muss das leider hier abbrechen. Wenn ich nicht spätestens kurz vor Mittag daheim bin, rufen meine Eltern womöglich noch die Polizei oder engagieren wahrscheinlich direkt einen Privatdetektiv, der meine Spuren zurückverfolgen soll. Und ich habe noch einen weiten Weg vor mir", meint sie und steht auf. In der rechten Hand hält sie ihre dünne Jacke, in der anderen das Portemonnaie. „Woher kommst du denn? Vielleicht kann ich dich begleiten. Ich habe heute sowieso nichts vor", sage ich und versuche es nebensächlich klingen zu lassen. Obwohl ich gerne noch ein paar Stunden mit ihr verbringen wollen würde.

Sie seufzt und schüttelt den Kopf. „Ich komme aus Geneva."

Meine Augen weiten sich und ich sehe sie verwirrt an. „Was zur Hölle hat dich dann ausgerechnet nach Orlando verschlagen?"

„Darauf kann ich dir leider nicht antworten, ich weiß es selber nicht. Orlando ist schön und ich liebe die vielen Parks, die es zu bieten hat. Vielleicht ist es deswegen", antwortet sie und sieht verträumt durch die Fensterscheibe raus auf die Straße. „Na gut. Pass auf, die Busse kommen öfter zu spät und der Bahnhof ist voller Junkies", sage ich schließlich und entlocke ihr damit ein Lachen.

„Ja Austin, ich weiß. Man sieht sich, vielleicht sogar bald", verschwörerisch grinst sie mich an und winkt noch kurz Amy, bevor sie sich umdreht und geht. Mal wieder.

Und mal wieder lässt sie mich zurück, sprachlos und beeindruckt. 

Mein Kaffee ist noch randvoll, mein Sandwich nur halb aufgegessen, aber dennoch krame ich nach meinem Geldbeutel und zücke einen Schein, um Amy das Essen mit einer ordentlichen Portion Trinkgeld zu bezahlen. Die Lust auf das alleinige Essen ist mir vergangen und ich stehe auf.

„Mach's gut, Austin!", höre ich die nette, kleine Dame noch rufen, bevor ich mich verabschiede und das kleine Tante Emma Café verlasse. Die Sonne scheint und automatisch wird mir warm. Das Wetter in Orlando spielt sowieso dauerhaft verrückt. Seufzend ziehe ich meine Jacke aus, werfe sie um meine Schulter und laufe los nach Hause. Mein Kopf ist leer und ich denke an nichts, ausnahmsweise. An nichts, bis mein Handy anfängt zu vibrieren und mir einen Anruf damit meldet.

Genervt zerre ich es aus meiner Hosentasche und runzele die Stirn, als ich Savannahs Namen ablese.

"Hallo?", nur ein Rascheln im Hintergrund ist zu hören.

„Austin?" Ich nicke, auch wenn sie es nicht sehen kann. „Wo wohnst du?"

Ich stocke und zögere die Antwort heraus, bis ich sie vor mich hin stottere. Was will sie denn mit meiner Adresse anfangen?

Nach einem 'Ok' legt sie auf und die Leitung ist tot. Kopfschüttelnd starre ich auf das Handy, dieses Mädchen werde ich nie verstehen können.

Ich fahre meinen Weg fort, krame nach meinen Schlüsseln und sperre die Haustüre auf, als ich daheim ankomme. Mum wird heute bis sechs Uhr arbeiten müssen und kommt daher, glücklicherweise, erst später heim. Gelassen ziehe ich meine Schuhe aus, laufe in das Wohnzimmer und lege mich auf unser Sofa. Die Müdigkeit macht sich erst jetzt bemerkbar und ich schließe meine Augen, bereit dazu einzuschlafen.

Zumindest wäre ich gerne schlafen gegangen, würde nicht jemand in dem Moment, in dem ich kurz vor dem Tiefschlaf bin, die Klingel explodieren lassen. Genervt springe ich vom Sofa und stöhne auf, als ich mir den kleinen Zeh am Holzbein unseres Esstisches, welcher neben dem Sofa steht, anstoße. „Verfluchte Scheiße, was soll das?", rufe ich, als ich die Tür aufreiße, um den Täter eine Ansage zu machen. Wäre unsere Klingel durchgebrannt, hätte es verdammt nochmal Krieg gegeben.

Ich habe aber einen Postboten oder unsere dämliche Nachbarin erwartet, nicht Savannah, in voller Montur ohne Sonde und mit einem Grinsen im Gesicht. „Was zum.., was suchst du hier?", frage ich verwirrt, als sie sich an mir vorbei ins Haus drängt. Sowas nennt man doch Freundlichkeit und respektvolles Verhalten.

„Heute ist Besuchstag. Meine Eltern sind eingetragen, ist das Antwort genug?", fragt sie. Ich schüttele den Kopf. „Wo ist dein Infusionsständer?", hake ich nach und suche ihren Körper nach irgendeinem Schlauch ab. Stolz hebt sie ihren Pulli an, ein riesiges Pflaster auf dünner, fast durchsichtiger Haut erscheint. „Sie haben ihn heute, relativ früh am morgen, entfernt. Frag mich nicht, wieso, aber jetzt habe ich das öde Ding endlich nicht mehr am Hals. War echt scheiße, damit rumzulaufen." Sie lässt sich auf dem Sofa nieder und seufzt zufrieden.

Ich hebe eine Augenbraue an und sehe sie durchdringlich an. „Und wie bist du da rausgekommen?" Sie rollt mit den Augen. „Fragen sind kacke. Ganz normal, wie du und ich. Und sie sind tatsächlich so dämlich und handeln nicht. Sie lassen mich einfach durch." Eine kurze Pause folgt. „Übrigens ist Jill aus Zimmer 47 gestorben. Hat sich anscheinend mit irgendeinem Gegenstand die Handgelenke aufgeritzt und ist daran dezent verreckt."

Die Gleichgültigkeit in ihrer Stimme durchfährt meinen Körper wie ein Blitz und ich bekomme eine Gänsehaut. Ich kann den Namen und die Zimmernummer nicht zuordnen, ich kenne keine Jill. Aber ich weiß, dass es für Mum ziemlich hart sein wird. Sie verkraftet es nicht, wenn sie eine ihrer Patientinnen nicht helfen kann.

„Das war eine ganz schöne Sauerrei. Ich denke nicht, dass es absichtlich war. Jill war eine der wenigen, die zum nächstmöglichen Zeitpunkt entlassen werden sollte. Sie war kurz davor, endlich wieder einen normalen Alltag genießen zu dürfen." Fassungslos schüttelt Savannah ihren Kopf. „So eine dumme Kuh."

Trotz der Tatsache, dass es nichts zum Lachen gibt und das Thema relativ schwierig ist, fange ich an zu Lachen. Dieser trockene Humor, den sie in jeder Situation bewahrt, ist wertvoll. So unglaublich wertvoll.

Ich lasse mich auch auf das Sofa nieder und schalte den Fernseher an. Ein Comedyfilm läuft und ich entscheide mich dazu, ihn zu lassen. „Und jetzt erzähl mal, wieso zur Hölle haust du aus dem Krankenhaus ab, nur um deine Eltern nicht sehen zu müssen? Du wirst wieder so Ärger kriegen", meine ich.

Sie lacht auf, lacht spöttisch. „Ich dachte, du würdest bereits wissen, dass ich gerne kleine Regeln, die mich in Zaum halten und mich anpassungsfähig machen sollen, breche."

SavannahWo Geschichten leben. Entdecke jetzt