Kapitel 20

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Kapitel 20

Im Halbschlaf zogen die Bilder der vergangenen Stunden an ihm vorbei, streiften sein Bewusstsein mehr, als dass sie es wirklich berührten. Er erinnerte sich an nackte, erhitzte Körper, sanfte Berührungen in der Dunkelheit, ihre Lippen aufeinander. Die Hitze des letzten Höhepunktes klang noch ab, hüllte ihn ein wie seine Flügel, die schützend und wärmend über ihm und dem Mann neben ihm lagen. Kleidung erschien ihm in diesem Moment wie Blasphemie, denn wie konnte man etwas verdecken, was Gott in solcher Herrlichkeit geschaffen hatte? Niemals hatte sich Theliel jemandem so schamlos hingegeben, so viel Lust gekostet und so viel Sinnlichkeit erfahren.

Lucifer lag neben ihm, die Augen geschlossen, einen Arm um Theliels Hüfte gelegt. Sein Atem ging ein wenig unregelmäßig und seine Augen zuckten unter geschlossenen Lidern, doch er schien zu schlafen. Träge streichelte Theliel seinen Rücken und beobachtete ihn im Schlaf.

Sämtliche Kerzen waren erloschen, als sie vom Balkon ins Schlafzimmer gewechselt hatten, doch seine weißen Flügel und Lucifers blasse Haut hoben sich in der Dunkelheit deutlich ab. Der Gedanke, neben einem großen Glühwürmchen zu liegen, ließ Theliel kichern.

Plötzlich spannte Lucifer sich im Traum an und öffnete den Mund wie zu einem unhörbaren Schrei. Ein leises Keuchen entkam ihm und er krampfte sich zusammen, wimmerte und begann, sich unruhig hin und her zu wälzen. Verwundert setzte Theliel sich auf, wobei er sowohl die Wärme der Decke als auch seiner Flügel verlor und augenblicklich erschauderte. Die Türe zum Balkon stand noch immer offen, wie er mit einem kurzen Blick feststellte.

Lange Klauen gruben sich neben ihm in die Matratze, als Lucifer von einer erneuten Woge des Albtraums, den er zweifellos durchleiden musste, geschüttelt wurde. Er strampelte und trat die Decke vom Bett, bevor er mit einem erstickten Schrei die Augen aufriss und kerzengrade im Bett saß.

„Lucifer...?", fragte Theliel vorsichtig, doch der Dämon schien ihn gar nicht wahrzunehmen.

Nur mit Boxershorts bekleidet flüchtete er aus dem Bett, fauchend und um sich schlagend; eine einzige Bewegung genügte, um sämtliche Kerzen wieder aufflammen zu lassen. Mit einem Wimmern flüchtete der Höllenkönig auf den Balkon ins Freie. Er schien völlig neben der Spur zu sein.

„Lucifer!", rief Theliel ihm nach, doch als er keine Antwort erhielt, sprang er auf, um dem verstörten Dämon auf den Balkon zu folgen. Rot glühende Augen fixierten ihn und Lucifer stieß einen gequälten Laut aus. Mehrere Minuten standen sie einander gegenüber, bevor der Höllenkönig sich endlich beruhigte. Eine verlegene Rötung zeichnete sich auf seinen Wangen ab und er blickte zur Seite.

Vorsichtig wagte Theliel, sich ihm zu nähern, da keine akute Verletzungsgefahr mehr zu bestehen schien. Lucifer hielt die Augen geschlossen, als Theliel sanft die Arme um ihn legte und den zitternden Dämon zu sich zog, um ihm beruhigend über den Rücken zu streicheln. Die gleichmäßigen Bewegungen schienen ihn tatsächlich zu beruhigen.

„Was ist los?", hauchte er, den Kopf gegen Lucifers Schulter gelehnt.

„Schlecht geträumt", brummte der Höllenkönig undeutlich und seufzte leise. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht wecken."

Ein winziges Lächeln schlich sich auf Theliels Gesicht, als er sich von dem Dämon löste und ihn warm ansah. Behutsam strich er die schwarzen Strähnen zurück und küsste ihn auf die Lippen, die sich sofort öffneten, um seiner Zunge Einlass zu gewähren.

„Du bist wohl nicht so stark und intakt wie du alle glauben lässt...", hauchte der Engel.

„Habe ich das jemals behauptet?", antwortete der Dämon.

LUCIFER - The Fallen AngelWhere stories live. Discover now