Kapitel 5

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Kapitel 5

„Gabriel!" Cadmiel schloss zu dem großen Engel mit den vernarbten Flügelbögen auf, der sich auf dem Weg zum Tempel Gottes im Stadtzentrum befand. Seine Kleidung war so weit, dass die genauen Körperformen nicht zu erkennen waren, aber Cadmiel zweifelte nicht daran, dass Gabriel ihn mühelos über die Schulter hätte werfen können.

„Wie kann ich dir helfen, Cadmiel?", fragte der erhabene Erzengel. Leuchtend blauen Augen musterten Theliels Bruder aufmerksam. Sein helles Haar war so kurz geschoren, dass nicht mehr als ein Flaum seinen Kopf bedeckte und einen harten Kontrast zu dem schmalen, androgynen Gesicht bildeten. Cadmiel verbeugte sich hastig.

„Es geht um meinen Bruder Theliel. Er ist vor zwei Wochen im Auftrag seines Mentors zur Erde aufgebrochen, um Nathanael eine Botschaft zu überbringen, aber diese Botschaft ist niemals angekommen und Theliel ist seitdem verschwunden."

Gabriel überlegte einige Sekunden lang.

„Wer ist der Mentor deines Bruders?"

„Herrschaft Fraciel", antwortete Cadmiel sofort, erleichtert, dass der hohe Erzengel ihm zuhörte.

„Hast du mit ihm gesprochen?"

„Natürlich." Atemlos wartete Cadmiel auf die Antwort. Er schätzte den Erzengel, der Gott am nächsten stand, und dessen Bruder Michael einst den Größten Verräter in die Hölle verbannt hatte. Gabriel unterstanden sämtliche Armeen des Himmels und ihm oblag die Sicherheit desselben.

„Ich werde mich so bald wie möglich mit seinem Verschwinden beschäftigen", meinte Gabriel ruhig. Seine blauen Augen bohrten sich in Cadmiels, der grade zu einer Erwiderung, dass dieser Fall keine weitere Aufschiebung mehr bedürfe, ansetzte, schloss den Mund sofort wieder. Auf keinen Fall würde er diesen erhabenen Erzengel verärgern!

„Vielen Dank", murmelte Cadmiel und verbeugte sich erneut, doch Gabriel hatte sich bereits wieder in Bewegung gesetzt und war auf dem Weg zum Tempel Gottes. Cadmiel blieb ein wenig ratlos, was jetzt zu tun war, zurück. Er konnte seinen Bruder nicht auf eigene Faust suchen, da es ihm als Fürstentum nicht gestattet war, den Himmel ohne Erlaubnis zu verlassen. Natürlich hatte er bereits versucht, sich mit Nathanael in Kontakt zu setzen, bisher aber keinerlei Antwort erhalten.

Seit dem Tod ihrer Eltern hatte Cadmiel die Erziehung seines jüngeren Bruders übernommen. Er war für Theliel da gewesen und hatte seine eigenen Bedürfnisse hinten angestellt, damit Theliel glücklich war und über den Verlust hinwegkam. In den letzten Monaten hatte Cadmiel die schmerzvolle Erfahrung gemacht, dass er seinen jüngeren Bruder nicht für immer beschützen konnte; Theliel musste seinen Weg selbst finden.

Aber in diesem Moment wünschte Cadmiel, ihn niemals gehen gelassen zu haben.

Atemlos ließ sich Theliel aufs Bett fallen. Seine Muskeln schmerzten von dem improvisierten Krafttraining, mit dem er sich die letzte halbe Stunde beschäftigt hatte. Sein Herzschlag beruhigte sich nur langsam, aber die körperliche Belastung fühlte sich gut an. Theliel schloss die Augen und wartete, bis er wieder gleichmäßig atmen konnte, bevor er frische Wäsche aus dem Schrank nahm, um duschen zu gehen.

Er hatte grade die Türe zum Badezimmer geöffnet, als ihn ein kurzes Klopfen an der Tür innehalten ließ. Verwirrt sah Theliel sich um; seit er sich in diesem Zimmer aufhielt, hatte niemand versucht, mit ihm Kontakt aufzunehmen, der nicht mit ihm Kontakt aufnehmen sollte.

„Theliel?", fragte eine vertraute Stimme von draußen.

„Lucian!", rief der Engel erfreut, ließ die Kleidung fallen und eilte zur Tür, presste sein Ohr gegen das Holz, um kein Wort zu verpassen. Er hungerte nach Ablenkung, Konversation und ein wenig Freundlichkeit und Gesellschaft. Scheinbar hatte Lucian keinen Schlüssel und somit vermutlich auch keine Erlaubnis, mit ihm zu sprechen, denn er schien sich genau wie Theliel gegen die Türe zu drücken, um ihn zu verstehen.

LUCIFER - The Fallen AngelWaar verhalen tot leven komen. Ontdek het nu