10. Kapitel

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Zusammen saßen meine kleine Schwester, mein bester Freund und ich am Tisch und versuchten das Essen zu genießen, aber sowohl Jenny als auch mir steckte noch der Streit und die Auseinandersetzung mit unserem Vater in den Knochen.

Als ich den Kakao hoch nahm begann ich zu zittern und verschüttete ihn fast. Früher hatte ich gedacht, dass sich dieses aufgeregt und geschockt sein irgendwann legt, dass man dann nicht mehr solche Angst verspürt, stattdessen blieb es immer gleich.

"Ich muss auf Toilette.", murmelte Jenny. Sie schob ihren Teller weg, stand auf und ging. "Sina, so geht es nicht weiter. Du musst einfach zum Jugendamt!", platzte Nico raus. Ich wusste, dass ihm dieser Satz schon den ganzen Tag auf der Zunge lag. "Das ist nicht so leicht. Ich kann das meiner Mutter nicht antun." "Aber dir und deiner Schwester? Sie sollte nicht so ein Leben führen und du auch nicht."

Er machte mir ein schlechtes Gewissen. Beschämt sah ich auf den Boden und versuchte die Tränen zurückzuhalten. "Ich wollte nicht, dass du jetzt weinst, aber du musst der Wahrheit endlich ins Gesicht sehen." Behutsam legte Nico mir seine Hand auf meinen Arm. "Du hast keine Ahnung wie das ist. Ich versuche immer eine Konstante in ihrem Leben zu sein, aber nicht mal das krieg ich hin.", schluchzte ich.

Nico nahm mich in die Arme und hielt mich einfach fest. Ich hörte, wie Jenny sich neben mich setzte, aber ich konnte einfach nicht reagieren. Auch als sie mich umarmte und mir zu flüsterte, dass sie mich lieb hatte, konnte mich nichts mehr dazu bringen aufzuhören zu weinen.

"Ist alles in Ordnung bei Ihnen?", fragte die Kellnerin. "Ja, alles gut.", seufzte Nico. "Wir wollen dann aber zahlen." Er streichelte mir über den Kopf. Er legte das Geld auf einen Teller, verabschiedete sich, nahm mich hoch und trug mich ins Auto. Langsam aber sicher beruhigte ich mich und ehe ich mich versah war ich auch schon wieder eingeschlafen.

"Du weißt, dass Sina es nicht immer leicht hat und manchmal sagt sie einfach Sachen, die sie eigentlich gar nicht so meint.", hörte ich Nico sagen. "Ja, aber sie kann ihre Probleme nicht immer an mir auslassen. Das muss sie auch lernen. Ich mache das ja auch nicht.", erwiderte Jenny mit ihrer Besserwisserstimme. "Da hast du natürlich recht. Vergiss aber bitte nicht, dass sie auch noch deine Verantwortung trägt. Du bist ihr ein und alles und irgendwie will sie dich natürlich beschützen."

Ich bewegte mich und machte leise Geräusche, damit die beiden wussten, dass ich jetzt auch wach war. "Na Schlafmütze, geht es dir jetzt besser?", fragte Nico mich. Ich lag auf seinem Bett und er und Jenny saßen auf der Couch und beobachteten mich. "Mein Kopf explodiert gleich.", murmelte ich. Nico deutete mit einem Nicken auf das Glas Wasser neben mir, das leicht trübe aussah. "Keine Angst, das sind nur Aspirin.", klärte Jenny mich auf. "Und ich dachte schon du willst mich vergiften.", lächelte ich schwach.

"Das würde ich nie tun. Dann hätte ich ja niemanden mehr.", bemerkte sie und kam zu mir rüber ans Bett. "Wie lange habe ich geschlafen?", fragte ich. "Lange genug, dass die Kinos jetzt aufhaben.", grinste sie und zog mir die Decke weg. "Du bist und bleibst ein hochintelligentes Monster." Langsam richtete ich mich auf, denn ich hatte die Erfahrung gemacht, dass mir schnell schwarz vor Augen wird, wenn ich zu viel geweint habe.

"Na dann, ab ins Kino, oder?" Ich sah Nico an, der nickte nur. "Geh dich schon mal anziehen, Jenny. Wir kommen gleich nach.", sagte Nico zu meiner kleinen Schwester. Sie sah uns an und schien zu verstehen, dass er mit mir reden wollte. "Bis gleich.", murmelte sie und lief raus aus dem Zimmer. "Sina, dein Vater hat bei meiner Mutter angerufen. Er hat gesagt, wenn ich nicht verrate wo ihr seid, dann geht er zur Polizei. Wir haben ihm gesagt, wenn er das macht, dann kommt er in den Knast, denn wir werden der Polizei alles erzählen." Ich schluckte.

Natürlich hatte ich damit gerechnet, dass mein Vater hier anrufen würde, aber ich hätte nie gedacht, dass er den Leuten drohen würde. "Du hast das richtige getan. Danke. Ich denke, ich werde wirklich zum Jugendamt gehen. Ich will nicht mehr so ein Leben haben. Aber ich habe Angst, was danach kommt. Denn sie werden sicherlich rausfinden, dass Mama ein Alkoholproblem hat und was dann? Sind wir dann Pflegekinder? Müssen wir zu unseren Verwandten ans andere Ende der Welt ziehen? Ich habe einfach so verdammt große Angst, Nico."

Er nickte. "Darüber habe ich mit meiner Mutter gesprochen. Wir möchten euch hier aufnehmen. Wir halten es für das richtige.Wenn es da Streit geben sollte gibt es bestimmt irgendwelche Wege euch her zu bekommen, aber das ist das, was wir für richtig halten."

"Danke.", hauchte ich und fiel ihm um den Hals. "Kein Problem. Du bist meine Sina. Meine Schwester. Ich lass nicht mehr zu, dass euch was passiert." Glücklich ging ich mit Nico vor zu Jenny, die schon fix und fertig an der Tür stand und auf uns wartete. "Kann es jetzt los gehen?", fragte sie mich und dann ging es los.

"Der Film war toll.", schwärmte Jenny. "Manchmal ein wenig unrealistisch, aber an sich wirklich, wirklich gut! Danke, dass du mit uns im Kino warst, Nico.", strahlte meine kleine Schwester. "Kein Problem. Und jetzt gehen wir noch was essen." "Nein, Nico. Wir haben kein Geld dabei und du hast heute schon mehr als genug für uns getan."

"Nagut. Dann gehen wir eben nachhause und machen uns selber Pizza." Lächelnd nickte ich. Zusammen schlenderten wir zum Auto und fuhren zu Nico zurück. Dort saßen seine Mutter und sein Vater zusammen und unterhielten sich. Da sie stoppten, als sie uns sahen, schien es um Jenny und mich zu gehen.

"Hallo, Kinder. Wie war es heute?", fragte Nicos Mutter uns. "Gut! Der Film war spitze." Jenny liebte die Eltern von Nico und ging mit ihnen viel lockerer um als mit unseren. "Das freut mich! Soll ich euch was zu essen machen?", fragte sie uns. "Nein danke, wir wollten uns Pizza machen." "Räumt mir aber hinterher ja wieder die Küche auf.", grinste Eric, sein Vater. "Wird gemacht.", salutierte Jenny und verschwand in der Küche.

Wir folgten dem kleinen Wirbelwind und ein Tag der so schrecklich begonnen hatte, hörte einigermaßen schön wieder auf.

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Freistoß für mein HerzWhere stories live. Discover now