24 ◄ Down

1.4K 180 27
                                    

»Okay. Na dann sag an. Warum gehst du mir als Geist ständig auf den Sack?«, fragte ich ihn mit einem Hauch an Wut in der Stimme. Ich sollte jetzt bei meinem Date sein. Bei der besseren Version, einfach meinen Abschlussball genießen. Doch diese verdammte Neugierde in mir siegte wieder einmal.

Die darauffolgenden Worte verließen seinen Mund zu plötzlich, dass ich einfach nicht darauf vorbereitet war. Wem machen wir was vor? Für diese Worte konnte ich nie bereit sein: »Weil ich gestorben bin, Jamie. So einfach ist das.«

Ich spürte wie meine Kehle austrocknete. Jede Faser meines Körpers spannte sich an. »Warum hast du das nicht schon früher gesagt? Was, wenn der ganze Zeitsprung-Mist nur dafür da war, um dein Leben zu retten? Du musst mir sagen wie du gestorben bist. Wir müssen das verhindern.«

»Da gibt es nichts zu verhindern. Ich habe einen inoperablen Tumor, was mein anderes Ich zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon wissen sollte. Du bist doch diejenige gewesen, die die ganze Zeit auf der Suche nach ewig währender Liebe war. Mit Tyler hätten die Chancen wenigstens etwas höher gestanden.«

Stürmisch schüttelte ich den Kopf. Zum einen auch, damit Marlon die Tränen nicht bemerkte, die drohten überzulaufen. »Nein. Nein! Du wirst nicht sterben! Sonst war der ganze Mist doch völlig umsonst.«
»Verleugne es ruhig. Meinen Tod wird das auch nicht verhindern.«

Fast als würde mir die Luft hier draußen meine Kehle zu schnüren, wand ich mich von ihm ab. »Dann vielen Dank, dass du damit gerade an diesem besonderen Tag herausrücken musstest.«
»Du wolltest es wissen.« Ja, weil ich nicht wusste, dass er mir so etwas Furchtbares mitteilen wollte. Meinen Schulabschluss heute konnte ich ganz sicher nicht mehr genießen.

Ohne mich noch einmal zu Marlon umzudrehen, ging ich wieder nach vorne, wo eine verliebte Caroline auf mich wartete, Joey direkt neben ihr. Bevor ich mich ihnen zeigte, wischte ich mir noch einmal über die Augen. Auch wenn es mir unglaublich schwer viel, setzte ich ein breites Lächeln auf. Sehe es ein, Jamie. Dein Leben war nie für ein Happy End bestimmt. Freue dich, dass zumindest Carolines ihres bekommt.

Mit diesem Gedanken trat ich dann endlich auf die zwei zu. »Hey, ihr beiden. Da bin ich wieder.«
Joey erwiderte mein Lächeln, doch Caroline kannte mich einfach zu gut, um zu wissen, dass etwas mit mir nicht stimmte.

»Alles okay?«, fragte sie mich. Eigentlich schaffte ich es immer alle zu überzeugen, nur bei Caroline schien dies eine Stufe schwieriger zu sein. »Alles bestens. Ich habe mir da gerade die Seele aus dem Leib gekotzt - jetzt kann die Party losgehen. Meine Bauchschmerzen sind weg.«

»Weißt du, dass du unbedingt dabei sein musst, war ein Scherz gewesen. Wenn du dich nicht gut fühlst, dann geht deine Gesundheit natürlich vor.«
»Es wird mich schon nicht umbringen.« Ganz im Gegensatz zu Marlon.

Ach verdammt! Ich durfte niemanden darauf ansprechen. Denn was sollte ich erwidern, wenn man mich fragte woher ich das denn weiß. Für die Wahrheit würden sie mich in die Klapse sperren. Und eine gute Lüge viel mir nicht ein. Jedenfalls keine, die mit aller Wahrscheinlichkeit auffliegen würde.

Entlang des dunklen Nachthimmels, der heute dank den schwarzen Gewitterwolken keinen einzigen Stern offenbarte, fuhr der weiße Audi vor, der mir inzwischen nur allzu vertraut ist. Der Lügner, oder vielleicht eher Schweigsame, erreichte dann auch mal den Parkplatz. Wie sollte ich jetzt nur dicht halten können? Am liebsten wollte ich schreien.

Am Tag zuvor haben wir noch über unsere Zukunftspläne diskutiert, ob wir weiter zur Schule gehen wollten. Wie hatte er das nur lächelnd ohne mit der Wimper zu zucken gekonnt, wenn er doch wusste, dass es für ihn diese Zukunft nicht geben würde.

Als er die Tür seines Audis zuschlug, musste ich kurz zusammenzucken. Da stand er. Wie konnte sein Lächeln nur seine Augen erreichen? Für mich war das ein Unding.

Nachdem er sein Auto verriegelt hatte, lief er praktisch auf mich zu. Noch bevor er etwas sagte, drückte er mir einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. »Hi, meine Hübsche.«
»Hi.« Während mein Mund die Antwort zu bilden versuchte, scheiterte er kläglich. Es war als hätte ich den vorhandenen Speichel bereits runtergeschluckt, wobei mein Körper im Stress glatt vergessen hatte neuen zu produzieren.

»Dann kann die Party jetzt losgehen?«, fragte er in die Runde. Seine Hand hatte er mit der meinen verschlungen.
»Yes!«, jubelte Caroline, wobei Marlon mich einfach mit sich zog, anstatt auch noch auf meine Reaktion zu warten. War vermutlich besser so.

Die Disco, die unsere Klasse gemietet hatte, war überschaubar. Ziemlich viele gingen hier wohl nicht rein, aber wir würden sowieso in einer kleinen gemütlichen Runde bleiben. Verbittert musste ich feststellen, dass die ersten Besucher auch schon ihre Zigaretten angesteckt hatten. Der ganze Raum war mit Qualm zu genebelt.

Überall roch es nach billigem Alkohol. Alkohol... Vielleicht wäre das meine Lösung. Im besoffenen Zustand schien die Welt oftmals viel leichter zu sein. Alle Probleme lösten sich von alleine, beziehungsweise gerieten in Vergessenheit. Gerade wollte ich schon auf die Bar zu schwenken, doch Marlon schien andere Ideen zu haben. Er zerrte mich direkt auf die Tanzfläche in vollkommen nüchternen Zustand.

»Äh, Marlon. Um diese Uhrzeit tanzt noch keiner. Wir sind die einzigen, falls es dir noch nicht aufgefallen ist.«
»Na und? Einer muss doch den Anfang machen.« Er wollte tanzen? Schön, dann tanzte ich halt mit ihm. Was für ein Mensch wäre ich denn auch, wenn ich die Wünsche eines Sterbenden verwehren würde?

»Danke, dass ich wegen dir gerade die beste Zeit meines Lebens lebe«, hauchte er mir plötzlich ins Ohr. Seine Hände hatten meine Taille fest umschlungen. Mein ganzer Körper überzog sich augenblicklich mit einer Gänsehaut. Deshalb hatte er nichts gesagt. Er hatte beschlossen den Moment zu leben, glücklich, bis zum bitteren Ende. Hatte er dabei auch nur einen Moment an mich gedacht? Wie sollte meine Musikkarriere ohne ihn eine Zukunft haben? Wie sollte überhaupt irgendwas ohne ihn eine Zukunft haben?

»Das gleiche kann ich nur zurückgeben.« Kalt klangen meine Worte, weil ich sie sagen musste. Natürlich hatte ich gerade mit ihm die beste Zeit meines Lebens. Doch das ist ja das Dilemma! Danach würde alles nur noch Berg ab gehen. Das Lift nach oben wäre nicht mehr funktionsfähig.

»Und warum sagst du das, als würde der Gedanke daran den Weltuntergang mit sich bringen?«
»Gerade weil es wohl die beste Zeit in meinem Leben sein wird. Danach geht alles-« Ach du Schitt! Waren das Tränen in Marlons Augen, die er versuchte zu unterdrücken? Möglich, dass meine Emotionen etwas übergekocht sind.

»Sag das nicht. Du hast doch dein ganzes Leben noch vor dir. Heiraten, Kinder... Es werden noch viele schöne Momente folgen.«
»Stimmt. Ich weiß, dass wir noch nicht lange zusammen sind, aber gerade jetzt wird mir klar, dass ich diese schöne Zeit nur habe, weil du dabei bist. Kannst du mir versprechen auch in Zukunft noch bei mir zu bleiben?«

Knallharte Worte, ich weiß. Aber ich beabsichtigte, dass er mir endlich diese unschöne Wahrheit direkt ins Gesicht sagte. Er wollte diesen perfekten Abend nicht ruinieren? Nun, er war eh nicht perfekt, wenn es mein letzter perfekter Abend mit ihm sein würde.

»Ich... Ich will nichts lieber als eine gemeinsame Zukunft mit dir, Jamie. Aber so etwas kann niemand zu hundertprozentiger Sicherheit versprechen. Und... Äh.«
»Was ist denn mit einmal los, Marlon? Liegt dir was auf dem Herzen? Du kannst es mir ruhig anvertrauen. Ich bin schließlich deine Freundin und vor der solltest du keine Geheimnisse haben.«


Back to topWo Geschichten leben. Entdecke jetzt