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zwei / two / deux / .-

Vorsichtig sperre ich die Haustüre auf und versuche, so wenig Geräusche wie möglich zu produzieren. Es ist bereits halb zwei in der Früh, während ich versuche, unbemerkt ins Haus zu gelangen.

Als ich schließlich im Flur stehe, die Schuhe bereits ausgezogen, geht plötzlich das Licht an und das vor Wut verzerrte Gesicht meiner Mutter taucht auf vor mir auf. Verflucht noch mal, die Frau hört aber auch alles. Wie eine Furie sieht sie mich an und ich weiche vorsichtshalber einen Schritt zurück.

„Sag mal, bist du bescheuert? Wo warst du so lange!", ihre Stimme klingt vorwurfsvoll und ich fühle mich wie ein kleines Kind, welches fünf Minuten zu spät zum Mittagessen gekommen ist. Verwirrt sehe ich sie an. „Mum, ich bin Siebzehn. Ich schätze, ich kann bereits für mich selbst entscheiden, wann ich nach Hause komme", antworte ich ihr genervt. Ihre Gesichtszüge werden weicher, dennoch funkeln mich ihre braunen Augen angriffslustig an. „Nicht, solange du unter meinem Dach lebst und morgen um Punkt fünf Uhr aufstehen musst", kontert sie und ein böses Lächeln schleicht sich auf ihre Lippen. Fassungslos sehe ich sie an. „Um fünf Uhr?"

„Ganz genau. Viel Spaß beim Aufstehen", mit diesen Worten dreht sie sich um und stolziert in ihr Schlafzimmer. Die Tür knallt sie schwungvoll hinter sich zu. Sie hatte schon immer einen kleinen Drang dazu, übertriebene Abgänge hinzulegen, um besonders stolz zu wirken.

Ich seufze und stampfe genervt in mein Zimmer. Schnell gehe ich noch ins Bad, um mich fertig zu machen und lasse mich dann erschöpft in mein Bett fallen. Annies viel zu hohe Stimme hallt immer noch in meinem Kopf. Wenn man sie mit etwas beschreiben müsste, würde ich Schokolade nehmen. Genauso süß, aber auch klebrig und hartnäckig, wenn es um das Entfernen geht. Außerdem ist zu viel von ihr ziemlich schlecht. Oder Karamell, das trifft auch auf sie zu.

Grinsend über meinen Vergleich schlafe ich ein und falle in das Land der Träume.

Dort wäre ich auch gerne etwas länger geblieben, aber nach einer viel zu kurzen Zeit höre ich, wie jemand, ohne auf die Nachtruhe Rücksicht zu nehmen, in mein Zimmer trampelt. Die Rolladen werden aggressiv hoch gerissen und meine Decke weggezogen. So unsanft hat mich meine Mutter noch nicht mal geweckt, als ich das erste Mal wegen Drogenkonsum nach Hause gebracht wurde und sie an diesem Tag das erste Mal mit meinen Handlungen konfrontiert wurde.

„Steh auf, sonst kommen wir wegen dir zu spät", sagt sie kalt und verlässt daraufhin das Zimmer. Ich stöhne genervt auf. Am liebsten würde ich mich unter meiner warmen Decke verkriechen und wieder einschlafen.

Irgendwie hat ein kleiner Teil, irgendwo tief in mir drin, noch gehofft, dass meine Mutter es nicht ernst meint. Dass sie das nur gesagt hat, um mir einen Schrecken einzujagen und letztendlich mit mir darüber lacht, weil ich darauf reingefallen bin. Tja, die Hoffnung ist 'ne miese Schlampe.

Ich quäle mich aus meinem Bett und torkele in das Badezimmer.

In Rekordgeschwindigkeit putze ich mir die Zähne und richte meine Haare. Nach einem letzten Kontrollblick in den Spiegel gehe ich in das Zimmer zurück, um mich umzuziehen.

Startklar hüpfe ich die Treppen runter, um noch meine Schuhe anzuziehen. Dass ich keine Lust auf diese Scheiße habe, ist mir deutlich anzusehen und auch meinem Körper merkt man den plötzlichen Schlafentzug an.

„Ist der Herr denn auch mal fertig?", knurrt meine Mutter und läuft ebenfalls in den Flur, um ihre Schuhe anzuziehen. Sie ist definitiv immer noch sauer auf mich, vielleicht sogar ein bisschen mehr als gestern und ich kann mir vorstellen, dass es daran liegt, dass ich erst nachts nach Hause gekommen bin. Wahrscheinlich nimmt sie mir auch immer noch die Aussage wegen ihren Psychokids böse. In diesem Bereich und allgemein, wenn es um ihren Job geht, ist sie besonders empfindlich.

Ich schnappe mir die Autoschlüssel und springe fluchtartig aus dem Haus. Eine wütende Mutter kann einem schnell zum Verhängnis werden.

Ich öffne die Wagentür und steige ein. Kurze Zeit später kommt auch meine Mutter und setzt sich wortlos auf den Beifahrersitz. Ich kann diese ekelhafte Spannung zwischen uns kaum ertragen, sie erfüllt das ganze Auto. Ich fahre los und lenke den Wagen Richtung Klinikum. Ein Blick auf die Uhr am Armaturenbrett verrät mir, dass es erst halb fünf ist. Definitiv nicht meine Uhrzeit. Normalerweise würde ich erst jetzt, nach einer langen Partynacht oder einem nächtlichen Spaziergang, ins Bett gehen und irgendwann am Nachmittag wieder aufwachen.

Nachdem wir angekommen sind, parke ich den Wagen etwas abseits. Zusammen steigen wir aus und laufen zum Eingang. Um diese Uhrzeit ist nur der Eingang zur Notaufnahme offen, weshalb nur wenig los ist und auch die Parkplätze so gut wie überhaupt nicht besetzt sind. Gemeinsam betreten wir die riesige Klinik, in der auch ich bereits öfter zur Behandlung war, als es mir lieb ist. „Guten Morgen, Stacy!", ruft meine Mutter fröhlich und wie ausgewechselt und winkt der Dame am Empfangsthresen zu. Diese lächelt sie breit an und widmet sich dann wieder ihrem Papierstapel.

Ich kenne den Weg zur Mums Station im Schlaf. Früher bin ich oft hier gewesen, um nach der Schule nicht alleine daheim sein zu müssen. Das war in der Zeit, in der mein Vater von heute auf morgen weg war und es für mich völlig fremd war, nach Hause zu kommen und niemanden anzutreffen.

Meine Mutter ist schon, seit ich denken kann, die Leiterin der Station. Wir steigen aus dem Aufzug und laufen zur Glastür. Stationäre Psychiatrie / Kinder und Jugendpsychiatrie, Dr. Med. Jutta Klims, steht in geschwungener Schrift auf dem Schild neben der Eingangstüre.

Meine Mutter kramt nach ihren Schlüsseln und sperrt die Glastüre auf. Da es eine geschlossene Psychiatrie ist, müssen die Türen immer abgesperrt werden.

„Eva! Na, hast du die Nachtschicht gut überstanden?", fragt meine Mutter freundlich. Eine kleine, blonde Krankenschwester steht in dem Raum, der für die Nachtschichten der Schwestern hergerichtet worden ist. Die Blondine nickt und lächelt schüchtern. Sie ist hübsch, und wahrscheinlich nicht allzu viele Jahre älter als ich. Ich schätze sie auf 20, höchstens 22 Jahre, wahrscheinlich steckt sie mitten in ihrer Ausbildung.

„Ja, es war angenehm. Nur hier und da die üblichen Probleme. Wen hast du den mitgebracht?", fragte sie und mustert mich dann schließlich aufmerksam. „Oh, das ist mein Sohn Austin. Er wird hier die nächsten Wochen aushelfen", antwortet meine Mutter ihr lächelnd. „Das ist aber vorbildlich."

Die Blondine fängt an zu strahlen. Sorry Blondie, aber ich mache das hier ganz und gar nicht freiwillig. „Also dann, wir gehen uns umziehen. Wir sehen uns später!"

Meine Mutter packt meinen Arm und zieht mich mit sich. Dafür, dass sie kleiner und schmaler ist als ich, hat die Frau verdammt viel Kraft. Sie führt mich zu einer Art Garderobe, in der verschiedene Spinde aufgestellt sind. „Hier, das musst du tragen", sagt sie und wirft mir einen unglaublich, hässlichen Kittel in einem Kotzgrün zu. „Nicht dein Ernst", ich kann gerade noch einen frustrierten Aufschrei unterdrücken. Meine Mutter sieht mich mit einem strengen Blick an, der definitiv keine Widerrede duldet.

Mit zusammengepressten Lippen ziehe ich meine Lederjacke aus und zwänge mich in das grüne Teil, welches mir die Übelkeit schon allein durch die Farbe regelrecht aufzwingt. Ich weigere mich aber, es zuzuknöpfen, sodass man mein weißes Shirt noch sehen kann. Meine Mutter kommentiert das mit einem theatralischen Aufseufzer und zieht sich dann selber das grüne Ding an. Zusammen laufen wir aus der Garderobe und ich blicke den langen Gang vor mir an. Soweit ich weiß, ist das Krankenhaus wie ein Viereck aufgebaut und in jeder Station konnte man eine große Runde machen.

„Was muss ich denn überhaupt machen?", ratlos sehe ich meine Mutter an. „Das Übliche, alles, was du als Praktikant in sozialen Berufen immer machen musst. Laken wechseln, Toiletten säubern, Essen austeilen und so weiter", informiert sie mich und ich sehe sie entsetzt an. „Alter, ich bin doch nicht dein Nigger, der hier die Drecksarbeit für dich macht!", rufe ich empört und meine Mutter sieht mich wütend an. „Was ist das denn für eine widerliche Aussage? Denk an deine Auslandsfahrt."

Augenrollend gebe ich nach und lasse mir dann die frischen Bettlaken in die Arme drücken. „Du musst die Bettwäsche einfach nur vor die Türen legen und danach die dreckige einsammeln. Den Rest machen die Patienten selber. Danach kannst du ja mal in die Duschräume, die haben auch schon lange kein Putzmittel gesehen. Unsere Putzfrau hat sich vor ein paar Tagen krank gemeldet und seitdem ist hier nichts geschehen, also wirst du genügend Arbeit finden."

Wütend schnaube ich auf. Eine andere Möglichkeit als Parieren gibt es für mich dennoch momentan nicht.

SavannahWhere stories live. Discover now