Kapitel 6

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Die Sonne war bereits hinter den Dächern Londons verschwunden, als John beinahe in Sherlock hineingerannt wäre.

,,Sherlock?" flüsterte er in die Dunkelheit, bevor er wenige Sekunden später in dessen bleiches Gesicht mit den hellblauen Augen und den hohen Wangenknochen starrte.

,,Hören Sie auf meinen Namen so zu betonen." beschwerte sich der Detektiv gleich darauf. ,,Sie behaupten doch immer, dass Sie nicht schwul wären."

,,Bin ich auch nicht." protestierte John. ,,Ich habe nur..."

,,Beenden wir dieses Gespräch lieber und statten Angelo einen Besuch ab." unterbrach ihn Sherlock und schwang die Tür auf, nur um dann umso selbstbewusster das Resturant zu betreten.

Es war inzwischen Gewohnheit geworden, den Platz am Fenster zu nehmen, was vor allem Sherlocks Beruf als Consulting Detective geschuldet war. Angelo schien dieses offensichtlich zu wissen, denn ihr Stammplatz am Fenster war bereits für sie reserviert worden.

,,Schön Sie wiederzusehen, Sherlock. Es ist lange her, als wir uns das letzte Mal gesehen haben." Angelo kam beinahe zu gut gelaunt an den Tisch. ,,Und wie ich sehe, haben Sie ihren Freund John ebenfalls mitgebracht."

,,Ich bin nicht..." John zwang sich dazu den Satz nicht zu beenden. Er hätte das Schwul wahrscheinlich umso lauter herausgeschrien, was im Resturant nicht unbedingt von Vorteil gewesen wäre.

,,Möchten Sie etwas bestellen?" fragte Angelo höflich und legte die Speisekarten auf den Tisch, wobei Sherlock seine sofort wieder Angelo in die Hand drückte.

,,Ich esse nicht, wenn ich ermittle. Es verlangsamt mein Denken, aber fragen Sie ruhig John."

Der Doktor bestellte schon aus reiner Höflichkeit etwas. Immerhin war das hier ein Restaurant und nicht die Bakerstreet, wo Sherlock seine Fälle normalerweise löste. Zumindest hatte jeder etwas zu Essen bestellt. Na ja, vielleicht fast jeder. Die beiden Frauen am Nachbartisch sahen nicht so aus, als wären sie nur hier, um etwas zu essen.

Sie waren beide noch ziemlich jung. John schätzte sie auf Mitte 20, aber sicher war er sich nicht.
Die Eine sah nahezu gewöhnlich aus. Sie trug wie jeder andere auch eine Lederjacke und einen Rock. Ihre Mimik ließ sie eher von freundlicher Natur erscheinen. Die andere Frau hingegen hockte im Morgenmantel auf ihrem Stuhl, mit gerader Haltung, selbstbewusst und ein wenig selbstverliebt. Dasselbe galt für ihre Mimik und Gestik. Sie war ein wenig blass um die Nase, aber das schien sie nicht im Geringsten zu stören.
Sie verhielt sich wie Sherlock. Und ihre Tischnachbarin erinnerte ihn an wen? An sich selbst?

,,Gut beobachtet." antwortete Sherlock trocken.

,,Habe ich das jetzt etwa laut gesagt?" platzte es John heraus.

,,Keineswegs, aber jeder Idiot bemerkt, wie Sie die Beiden anstarren." erklärte der Detektiv. ,,Und Sie liegen durchaus richtig, John. Die eine Frau trägt eine Lederjacke, einen Rock mit ein paar Stiefeln. Sie trägt ihre langen Haare offen, nur ein wenig zur Seite weggesteckt, geradezu durchschnittlich. Ihre Haut ist ein wenig gebräunt, was offenkundig daran liegt, dass sie für längere Zeit in der Sonne war. Sie wirkt offen gegenüber ihrer Partnerin, denn obwohl diese sich ihr gegenüber ziemlich gelangweilt und abweisend verhält, ist sie immer noch höflich zu ihr. Außerdem ist die Bewunderung für die andere Frau nicht zu übersehen. Diese ist widerum erstaunlich selbstbewusst. Entweder das, oder es ist ihr einfach egal, was die Leute von ihr denken.

Ihre Mimik und Gestik deuten jedenfalls darauf hin und die Tatsache, dass sie mit einem Morgenmantel im Resturant sitzt. Kommt ihnen das bekannt vor, John? - Natürlich. Immerhin ist die Tatsache, dass sie mit Morgenmantel im Resturant sitzt, gleich der Tatsache, dass ich lediglich mit einem Bettlaken bekleidet im Buckingham Palace war.
Sie sind möglicherweise miteinander befreundet, was man hauptsächlich daran erkennt, dass die Beiden aufeinander hocken und sich mithilfe einer Servierte Nachrichten schreiben. Offenkundig über uns, weil eine von ihnen manchmal in unsere Richtung sieht. Dennoch ist es nicht die Frau im Morgenmantel, die sich um ihre Freundschaft bemüht, sondern die Andere. Höchstwahrscheinlich sind der Frau im Morgenmantel soziale Bindungen also ziemlich egal. Eindeutig soziopathische Züge."

Sherlock - The game is onWo Geschichten leben. Entdecke jetzt