Endlich frei

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Und da stand ich also.
Auf dem frisch gemähten perfekten Rasen mit den unzähligen Blumen. Der morgendliche, frische Geruch stand in meiner Nase und das hielt mich wach, denn ich konnte gar nicht schlafen. Ich lag heulend in Tessa's Armen, wir haben zusammen gelacht, geweint, und gegenseitig motiviert und dann wieder über die traurigsten Sachen geredet bis 4 Uhr morgens.
Um Punkt 7:30 war ich bereit. Bereit diese Klinik zu verlassen. Ins Leben zu starten und abgestempelt werden als: Psychisch gesund.

Recovery isn't something you talk about, it's something you actively do.

Ja, den Spruch hatte Tessa erwähnt, als sie mir Mut machen wollte. Schlagartig ballte ich meine rechte Faust zu einer Hand und ließ mich auf den Rasen plumpsen bis Samira kam um sich zu verabschieden.
Ich sprach mit Tessa immer nur darüber, aber nur um sie nicht traurig zu machen. Denn ich wollte nicht recovern. Von was denn überhaupt? Ich war nie so richtig krank, so richtig in Lebensgefahr. Da war es auch nicht schlimm, wenn ich weiter abnahm.
Ich seufzte tief auf und schloss die Augen. Bald würde auch Tessa zu mir kommen. Sie würde abhauen und wollte mit mir zusammen zunehmen. Hach, dass ich nicht lache! Ich hatte schon so meinen Plan. Ich wollte mit Natalia wegrennen und schrecklich abnehmen, bis ich nur noch ein Skelett war und bei der kleinsten Berührung zusammenbrach.
Ich zuckte plötzlich zusammen, als Samira hinter mir stand und mich antippte:
,,Zoey, jetzt hast du es hinter dir. Ich, wir alle, wünschen dir natürlich weiterhin viel Glück, Erfolg, Kraft und natürlich Gesundheit. Möge dich niemals der gute Wille verlassen. Du schaffst es, du wirst frei sein von deinen Gedanken und erlöst werden. Wir alle hier haben dich sehr lieb gewonnen - als Patientin, als Bekannte, als gute Freundin, als sehr gute Freundin. Denk' weiterhin positiv und bleib stark."
Ich strahlte und lächelte Samira blinzelnd an. Sowas Liebes hatte mir noch nie jemand gesagt. Ich wusste nicht recht, was ich sagen sollte. Es war wie dieser komische Moment, wenn alle um einen sitzen und 'Happy Birthday' singen.
,,D-D-Danke.", schluchzte ich und fing an zu weinen. Vor Freude, vor Glück?Ich wusste es nicht.
Samira drückte mich ganz feste und überreichte mir ein kleines bunt verziertes Paket mit der Aufschrift 'Notfall-Skills: wenn alles mal zu viel wird'
,,Das haben die Mädchen in der Kunsttherapie für dich gemacht. Leyla hat auch fleißig mitgeholfen, aber nicht lange. Sie ist jetzt auf der geschlossenen.", sagte sie ernst und verzog am Ende unsicher den Mund. Meine Beine fingen an zu beben und zu zittern, aber letztendlich zwang ich mich unsicher zu einem freundlichen Nicken.
,,Kommt sie wieder heil raus?", entfuhr es mir und ich hustete.
,,Das wissen wir nicht. Ihr Zustand ist unverändert und ich gebe leider nicht mehr Informationen. Wenn es ihr besser geht, darfst du sie besuchen."
,,Okay, danke.", sagte ich fest und schluckte den großen Kloß in meiner Kehle hinunter. Ich wollte Leyla nie wieder sehen, da sie ein wirklich negativer Einfluss war - für jeden.
Allerdings hatte ich auch ständig Mitleid mit anderen und ich war nun mal nicht gefühllos und kalt. Ein gutes Beispiel: Leyla.
Wir waren 2 komplett verschiedene Seelen. Ich war froh sie loszuhaben und musste mich jetzt einfach ablenken mit dem Abnehmen. Ich wollte es jedem zeigen. Felix war mir mittlerweile so egal. Wenn der wieder angekrochen kommt, würde ich sowas von ausrasten. Er kam gut ohne mich klar.
,,Dann, Zoey..ist es Zeit Abschied zu nehmen.", sagte Samira schließlich und zog mich erneut zu sich. Ich schloss die Augen und sog das letzte Mal ihren Geruch ein.
,,Wir können uns ja mal treffen, wie wäre es?", fragte sie lächelnd.
Ich nickte genervt und desinteressiert und schließlich ging ich weg. Zur Verabschiedung hob ich nur die rechte Hand. Endlich weg von hier!
Als ich am Schaltertor stand, musste ich zusammen mit dem Sicherheitsbeauftragten dahinter auf meinen Vater warten.
,,Du kannst jederzeit wieder kommen, wenn du magst."
Er zwinkerte mir zu und ich wandte mich wortlos von ihm ab. Ich wollte nie wieder her.
Ungeduldig blickte ich zwischen die Gitterstäbe aus rostigen Gold. Endlich, dahinten war er! Der schwarze Audi von meinem Vater. Mein Mund verzog sich zu einem Lachen und ich winkte hin und her. Der Wagen hielt am Straßenrand und der Mann neben mir öffnete schnell das Tor.
,,Endlich weg von hier!", rief ich schallend und jubelte.
Doch mein Geschrei und Gejohle verging mit einem Schlag, als ich einstieg.
Hinter dem Steuer war nicht mein Vater, sondern Felix.
,,Was machst du hier? Raus mit dir!", brüllte ich. Doch so wie ich ihn kannte, ließ er sich nie aus der Ruhe bringen. Er leckte sich die Zähne und stieg aus um meinen Koffer vom Schalter in den Wagen zu transportieren.
Gekonnt drehte er sich zu mir um und sagte ohne mich dabei anzugucken:
,,Hast du mich nicht vermisst, du Schlawiner? Willst du lieber hier bleiben?"
Ohne was zu sagen legte er den Rückwärtsgang ein und ich muss schon sagen: Ich schmachtete seinen konzentrierten Blick ziemlich an.
,,Ja. Ich habe dich vermisst.", gab ich entnervt zu und beugte mich nach vorne zu ihm.
,,Hey! Geh' wieder zurück auf deinen Platz. Nicht, dass du dir wehtust. Ich habe den Führerschein erst seit paar Wochen."
Ich fing an zu lachen und schaute nachdenklich aus dem Fenster.
,,Seit wann hast du einen Führerschein? Etwa um Unfälle zu bauen und Zivilisten zu töten?"
Er lachte laut los mit seiner tiefen Stimme und Gott, habe ich das vermisst!
,,Ich wollte dich beeindrucken, Kleines. Bald gehe ich auch jobben und dann holen wir uns eine Traumkarre."
Verwirrt schaute ich ihn an. Hat er gerade uns gemeint? Wir sind doch kein Paar mehr, nach seinem Aufstand damals.
,,Uns?", fragte ich misstrauisch und biss meine Unterlippe erneut auf vor Nervosität.
,,Jaja. Geht es dir denn wenigstens besser?"
Ich nickte ernst und senkte den Blick. Tränen sammelten sich in den Augen. Was wollte er denn jetzt von mir?
,,Ich kann dich durch denn Spiegel sehen, Madame. Ist wirklich alles gut? Du siehst jedenfalls besser aus als letztes Mal, aber schön bist du ja immer."
Ich errötete und wurde ganz verlegen. Nervös fing ich an mit den Füßen zu zappeln. Hat er das gerade wirklich gesagt? Ich bin schön?
,,Ja, danke.", antwortete ich knapp und ich hörte sein leises Kichern.
,,Sehr gesprächig. Zu Hause erwarten dich alle mit einem gesunden Buffett und guter Musik."
Ich lächelte unsicher und sagte ruhig:,,Das ist ja echt lieb von euch."
Felix lehnte sich entspannt zurück und lächelte mir lässig zu. Sein dunkelbraunes Haar sah gerade verdammt weich aus und seine grün-braunen Augen strahlten mich an als hätte ich ihn in meinen Bann gezogen.
,,Kein Ding. Für dich nur das Beste.", flüsterte er und lachte. Er widmete sich wieder dem Lenkrad und mein Herz hüpfte vor Aufregung hin und her. Dabei wollte ich ihn doch vergessen, verdammt.

90-60-90? Eher 80-55-83Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt