Kapitel 9

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"𝐹𝑢̈𝑟 𝑧𝑤𝑒𝑖 𝑀𝑖𝑛𝑢𝑡𝑒𝑛 𝑤𝑎𝑟𝑠𝑡 𝑑𝑢 𝑜𝑓𝑓𝑖𝑧𝑖𝑒𝑙𝑙 𝑡𝑜𝑡. 𝑆𝑒𝑖𝑡𝑑𝑒𝑚 𝑘𝑎𝑛𝑛𝑠𝑡 𝑑𝑢 𝑆𝑐ℎ𝑢𝑡𝑧𝑒𝑛𝑔𝑒𝑙 𝑠𝑒ℎ𝑒𝑛 𝑢𝑛𝑑 𝑛𝑖𝑐ℎ𝑡 𝑒𝑖𝑛𝑒 𝑀𝑖𝑛𝑢𝑡𝑒 𝑖𝑛 𝑑𝑒𝑖𝑛𝑒𝑚 𝐴𝑙𝑙𝑡𝑎𝑔 𝑣𝑒𝑟𝑔𝑒ℎ𝑡, 𝑖𝑛 𝑑𝑒𝑚 𝑑𝑢 𝑛𝑖𝑐ℎ𝑡 𝑒𝑖𝑛𝑒𝑛 𝑔𝑒𝑛𝑒𝑟𝑣𝑡𝑒𝑛 𝐸𝑛𝑔𝑒𝑙 𝑠𝑖𝑒ℎ𝑠𝑡, 𝑑𝑒𝑟 𝑠𝑒𝑖𝑛𝑒 𝐴𝑟𝑏𝑒𝑖𝑡 𝑚𝑎𝑐ℎ𝑡."

***

Stumm greife ich zu meinem Kopf und raufe mir durch meine schulterlangen Haare. Den Aufprall habe ich nicht gespürt, ich liege einfach nur hier und weiß nicht wirklich, was ich mit meiner Verwirrung anfangen soll. 

Langsam öffne ich meine Augen und sehe in die nachtschwarze Dunkelheit. Nicht einmal meine Hand sehe ich vor meinem eigenen Auge. Ich will aufstehen, mich bewegen doch ich spüre meinen eigenen Körper nur zittern. 

"Lass mich endlich frei, Gabriel ...", flüstere ich und umfasse mich fest. Ängstlich schließe ich die Augen und lasse mich von der Einsamkeit in mir leiten. Lasse meinen noch vorhandenen Gedanken leise aber friedlich den Vortritt. 

Tief in mir weiß ich genau auf welche Erinnerung er gerade aufbaut, welche er endgültig aus meinem Gedächtnis löschen will.

Alles hat mit dem Tod angefangen und ich war dabei. Habe alles gesehen. Habe die Engel und Teufel gesehen und dennoch haben damals alle gesagt, ich sei verrückt. 

Ihre warmen Stimmen klingen wie ein sanftes Lied in meinen Ohren, während sie mir Geschichten von vergangenen Zeiten erzählten. Wie meine Eltern mich auf den Schaukel angeschubst hatten und meine Mutter mir zu meinem Geburtstag immer eine Donauwelle gebacken hatte. Doch plötzlich verdunkelt sich der Himmel, und ein bedrohlicher Schatten fällt über uns.

Eine Träne rollt mir die Wange hinunter. Ein plötzliches Gefühl der Trauer überwältigt mich, als ich an die Szene denke, in der meine Eltern ihr Leben verloren. Es ist, als ob eine eisige Hand mein Herz umklammert und die Erinnerungen an jenen schrecklichen Tag zurückbringt. 

Die Bilder von ihrem tragischen Ende drängen sich in meine Gedanken und lassen mich erneut den Schmerz spüren, als wäre es gestern gewesen. Jeder Moment, jede Einzelheit dieser schicksalhaften Nacht erscheint so klar und lebendig, als ob die Zeit stillgestanden hätte. Es ist eine unerträgliche Last, die ich in meinem Inneren trage, und die Trauer um den Verlust meiner Eltern scheint niemals nachzulassen.

Ein lauter Knall zerreißt die Stille, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Krachen. Ich sehe, wie meine Eltern vor mir zusammenbrechen, ihre Körper von unsichtbaren Kräften durch die Luft geschleudert werden. Mein Herz schlägt wild vor Angst, während ich hilflos zusehe, wie sie kämpfen, um sich zu erheben, nur um von unsichtbaren Mächten wieder zu Boden geworfen zu werden.

Tränen rinnen mir über die Wangen, als ich erkenne, dass ich nichts tun kann, um sie zu retten.

"Mama!?", schreie ich und halte ihren fast leblosen Körper in den Händen. "Verlass mich nicht! Bitte, ich hab dich nur noch dich und Papa!"

Verzweifelt schaue ich zu meinem Vater hinüber. "Papa!", weine ich und lege Mama ab während ich mich durch den Sand zu Papa wälze. "Nein, nein, nein! Du darfst nicht sterben! Hörst du, du darfst nicht ..."

Doch das Schicksal hatte für ihn andere Pläne. Sein Herz schlägt nicht mehr. Seine Atmung still und leblos.

"Salome ...", höre ich nebenan meine Mutter flüstern. Ihr Körper liegt einfach nur da. Das Blut rennt aus den Wunden wie das Wasser im Bach. "Salome, hör mir zu ..."

Die Tränen rennen mir die Wangen hinunter. "Du darfst mich nicht verlassen, Mama ...", Weine ich und spüre wie sie ihre Hand nach mir aus streckt.

"Mein kleines Mäuschen ...", schluchzt sie. "Tust du mir einen letzten Gefallen?" Eifrig nicke ich und halte ihre Hand fest in meiner. "Lebe dein Leben, so wie du es noch nie getan hast. Versprich-" Ihre Stimme bricht ab.

"Ja!", schreie ich und versuche den letzten Moment mit ihr zu genießen. "Ich verspreche es ..."

Die Hand meiner Mutter wird allmählich kälter, als ihr Leben langsam schwindet. Ihre Finger fühlen sich steif an, während ich verzweifelt versuche, sie festzuhalten, als wäre das der Schlüssel, um sie am Leben zu erhalten. Doch die Kälte, die von ihrer Hand ausgeht, durchdringt meinen ganzen Körper und lässt mich ahnen, dass der Moment des Abschieds unausweichlich ist.

Ich schreie ihren Namen, flehe sie an, zurückzukommen, aber meine Worte verhallen ungehört im leeren Raum. Und dann, in einem Moment der Stille, spüre ich eine unendliche Leere in mir, als ob ein Teil von mir mit ihnen gestorben wäre.

"Verdammt! Warum musst du mich quälen, Gabriel?", bringe ich über die Lippen und das erste Mal höre ich in der Stimme meine eigene Stimme hallen. "Ich verstehe nicht warum du mir diese Erinnerung nehmen willst! Das ist die einzige Erinnerung, die ich noch von ihrem Tod habe. Lass diese Erinnerung in Ruhe, verdammt!"

Das Bild meiner Eltern verschwimmt vor meinen Augen, und ich sinke zu Boden, meine Knie geben nach, unfähig, die Last meiner Trauer zu tragen.

"Verdammte Scheiße, Gabriel!" Ich greife wie eine Wildgewordene an meinen Kopf und massiere mir die Schläfen. "Nur diese eine Erinnerung!", flehe ich während mir wieder die Tränen kommen. "Ich flehe dich an ... Es ist ein Versprechen. Ein dummes Versprechen, das mit so viel bedeutet!"

Ich umarme mich selbst, als ob ich versuche, den Schmerz zu umarmen, der mich von innen heraus zu zerreißen droht. Und während die Dunkelheit mich wieder umhüllt, weiß ich, dass nichts auf dieser Welt jemals den Verlust meiner Eltern wieder gutmachen kann. 

Nicht einmal die Löschung der Erinnerung würde es lösen. Alles woran ich glaube, alles warum ich lebe, selbst das letzte Versprechen meiner Eltern würde ich vergessen.

Doch egal wie viel ich Flehen würden, er würde es dennoch tun. Die Schmerzen des Verlusts durchziehen mich, als würden meine Erinnerungen wie Sand durch meine Finger rinnen. Jeder kostbare Moment mit meinen Eltern verblasst vor meinen Augen, und ich kämpfe verzweifelt, sie festzuhalten. 

Plötzlich erwache ich aus diesem Albtraum und finde mich in der erbarmungslosen Gegenwart wieder. 

Mein Blick trifft auf einen Jungen, der regungslos am Ende meines Bettes steht, und ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. "Wer bist du?", frage ich leise und reibe mir die Schläfen wegen den pochenden Kopfschmerzen. "Kennen wir uns? Warum kann ich mich an nichts erinnern?"

"Begegnet sind wir uns, ja, wahrscheinlich schon öfter als du für möglich hältst. Aber ob du mich kennst, musst du für dich entscheiden ..."


Don't break my HeartWhere stories live. Discover now