#04: Schuld

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05. April - Freitag

Schuld war eine komplizierte Sache. Jemand hatte einmal gesagt "Wer aufhört, Schuld in Anderen zu finden, kann anfangen, Wahrheit in sich zu suchen" und das war Sugawara irgendwann nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Wann immer er Zeit zum Nachdenken hatte, dachte er daran. Eine lange Zeit war er sich nicht sicher gewesen, ob er das Zitat richtig verstand. Ging es darum, die Schuld bei sich selbst zu suchen? Oder vielmehr darum, andere besser zu verstehen, um ihre Fehler nachvollziehen zu können, statt sie dafür zu bestrafen? Das kam vermutlich ganz auf die eigene Interpretation an. Und Sugawara hatte für sich selbst entschieden, dass es hierbei um die eigene Schuld ging, die jeder aus unterschiedlichen Gründen in sich trug.
Nach diesem Gedanken hatte er bis jetzt sein Leben gelebt. Er hatte immer versucht, so viel Schuld auf sich zu nehmen wie möglich; nie anderen mehr aufzubürden als sie tragen konnten. Doch dabei vergaß er sich selbst in einem langsamen und schleichenden Prozess.

Sugawara saß am Fenster des Klassenraums und blickte nach draußen. Es war sonnig; das Licht, das durch die Blätter eines Kirschbaums flackerte, spiegelte sich in seinen Augen und brachte das sonst so ausdruckslose Braun zum Funkeln. Einige Erstklässler spielten energisch auf dem Basketballplatz in der Nähe der Halle und die Geräusche, die der Ball machte, immer, wenn er auf dem Asphalt landete, störten ihn heute kaum, denn er war wieder viel zu sehr in Gedanken, als dass er auf so etwas achten würde. Das Butterbrot, das vor ihm auf dem Tisch lag, hatte er auch nicht angerührt.
In Gedanken war er bei Daichi und bei dem, was er gestern im Affekt zu ihm gesagt hatte. Er hatte ihn mit seiner üblen Laune vertrieben. Für Daichi bedeutete das vermutlich nichts groß. Sugawara hatte eben schlechte Laune gehabt - das dachte er sicher. Aber das war nicht alles gewesen. Sugawara verhielt sich sonst nie so, egal, wie schlecht sein Tag gewesen war. Er gab immer sein Bestes, nett zu allen zu sein. Immerhin wollte er auch von niemandem angekeift werden für etwas, für das er nichts konnte. Daichi war der Kapitän und er musste eben tun, was für das Team am besten war. Das hatte Sugawara jetzt auch verstanden und sich dazu entschlossen, ihn dementsprechend so wenig wie möglich zu belästigen. Er musste ganz einfach darüber hinwegkommen und nach vorn sehen. Ansonsten würde mit Sicherheit eine Katastrophe passieren. Würde es ihm zu viel, würde er das Team eben verlassen. Dieser Gedanke schmerzte sein Herz sehr und er ließ ein schweres Seufzen aus seiner Kehle.
Der erste Schritt in die richtige Richtung war eine Entschuldigung.

Also erhob er seinen Körper vom Platz, packte sein Brot weg und lief auf Daichis Tisch zu. "Hey.. Ich wollte mich für mein Verhalten gestern entschuldigen. Ich bin gestresst, aber das heißt nicht, dass ich dich einfach so behandeln darf. Das wird nicht wieder vorkommen."
Versprochen wollte er noch anhängen, ließ es aber sein. Er konnte nichts versprechen, das er am Ende vielleicht doch nicht halten konnte. Leere Versprechungen waren schlimmer als Enttäuschung. Das wusste er, denn er wurde selbst ja schon genug von anderen Menschen enttäuscht. So war ihm auch klar, dass er von Daichi nichts erwarten konnte. Wieso sollte er sich dafür interessieren, was Sugawara über die anderen Spieler dachte - oder eher darüber, wie sich ihre Teamsituation durch sie verändern würde?
Ohne eine Antwort seinerseits abzuwarten, verließ er das Klassenzimmer und machte sich auf den Weg nach draußen ins Freie. Hinata hatte ihn gefragt, ob er mit ihm üben konnte, da der neue Zuspieler ihm nicht den Ball zuspielen wollte. Natürlich hatte Sugawara zugestimmt. Er mochte Kageyama sowieso nicht besonders, wobei das eher an ihm selbst lag als an Kageyamas Persönlichkeit - obwohl er zugeben musste, dass er sich allein deswegen schon unsympathisch machte, da er jemandem nicht zuspielen wollte. Aber vielleicht hatten sie auch einfach nur unterschiedliche Ansichten, was Strategie und Teamwork betraf. Sugawara war nämlich immer der Ansicht gewesen, dass jeder einzelne zum Spielen benötigt wurde und man jeden einsetzen konnte, egal wie klein, groß, talentiert oder auch untalentiert - wobei er bei letzterem so seine Zweifel hatte, dass es überhaupt existierte. Niemand war völlig untalentiert in einem Gebiet. Man konnte sich immer bessern, egal, ob nun talentiert oder nicht.

The moon jealous of the Stars [Haikyuu FF]Where stories live. Discover now