Kapitel 22

0 0 0
                                    

Arabella erwachte von einem dumpfen Schmerz, der ihr durch den Rücken fuhr. Gleichzeitig schien sie sich auch den Kopf an etwas gestoßen zu haben. Über ihr hörte sie gerade noch ein lautes Quietschen, wie von einem rostigen Scharnier und einen Schlag, als wäre eine Tür zugefallen. Sie blinzelte benommen. Was war passiert? Eben war sie doch noch in dem alten Herrenhaus oben auf dem Hügel gewesen. Und jetzt? Sie befand sich in einem kleinen, diesigen Raum. Er war voll gestellt mit hölzernen Regalen, auf denen allerlei Dinge lagen, die scheinbar in keinem direkten Zusammenhang zueinander standen. Treibholzstücke, Muscheln, ein paar Münzen, aber auch Phiolen mit leuchtender Flüssigkeit darin und Alltagsdinge wie Bierkrüge. Allesamt mit Magie versetzte Talismane, wie sie schließlich erkannte, nachdem sich der Nebel in ihrem Geist ein wenig gelichtet hatte. Wie das Ding, das sie aus dem Meer gefischt hatte, das Treibholz, das grüne Funken gesprüht hatte. Sie durchsuchte die Taschen ihrer Strickjacke, doch es war fort. Missmutig schaute sie hinunter auf ihre Hände, die von kleinen spitzen Nadeln durchzogen waren. Was sie wohl insgesamt für einen Anblick bot? Wie war das nur passiert? Sie und Nox waren ins Meer gestürzt, hinunter gesunken zu den leuchtenden kleinen Punkten.

„Das waren keine Punkte ..." flüsterte die Wirtstochter in die Stille hinein „Es waren kleine Fische. Und einer davon hat mich berührt." Arabella wurde in diesem Moment so einiges klar. Wenn das Einhorn recht hatte und Marianne wirklich mit verbotener Magie experimentierte ... der Gedanke versetzte ihr einen schmerzhaften Stich ins Herz ... so würde sie gewiss ihre Fehlschläge irgendwo entsorgen müssen. Was bot sich besser an als das weite Meer? Und wenn die Fische das Zeug fraßen... Arabella dachte an die leuchtenden Rotbarsche aus ihrer Küche. Wenn eine Berührung genügte, um sich so zu verändern... Nicht auszudenken was passieren würde, wenn man davon aß. Sie ließ sich zurück auf den Boden sinken. Was war mit Nox geschehen? War er auch von den Fischen berührt worden? Arabella schloss für einen Moment die Augen und überlegte, was sie als Nächstes tun könnte. Als ersten Schritt musste sie hier raus. Wo war der dunkle Hengst? Hatte er sie etwa hier eingesperrt? Warum? Was bezweckte er damit? Ärgerlich verzog Arabella den Mund und murmelte: „Einhörner sind weit weniger toll, als ich gedacht habe. Danke für diese Lebenslektion." Sie atmete tief ein und stand auf. Ihr Rücken schmerze von der Kollision mit dem harten Boden und sie hatte eine ziemlich fiese Beule am Hinterkopf. Aber ansonsten schien sie sich nichts gebrochen zu haben. Ihr Blick fiel auf die verschlossene Luke über ihrem Kopf. Wenn Marianne hier ihre Talismane lagerte, dann musste es doch eine Leiter oder so etwas geben. Wie sonst würde sie hier herein und wieder herauskommen? Arabella blickte sich um und fand was sie suchte. Direkt unter sich. Leider, wohl durch ihren Sturz darauf, in Einzelteile zerbrochen.

„Verdammter Mist!" fluchte sie und suchte stattdessen die Regale nach etwas Nützlichem ab. Leider fehlte ihr die Erfahrung im Umgang mit Magie, so dass sie nicht erkennen konnte, welche Art von Zauber in den einzelnen Talismanen verborgen sein mochte. Was wenn sie diesen Bierkrug nahm und er den kleinen Raum in einen tödlichen Feuersturm tauchte. Das klang absurd, aber es war durchaus möglich. Oder diese Muschel, die ganz hinten lag und gelblich glänzte. In ihr konnte ein Zauber liegen, der sie zerfetzen konnte, wenn sie ihn nicht richtig einzusetzen wusste. Das war das Unglück an verbotener, roher Magie. Wenn man den Talisman nicht selbst erschaffen hatte, so konnte man nie wissen, was einen erwartet. Arabella kam zu dem Schluss, dass sie es besser nicht hier, auf begrenztem Raum und an sich selbst herausfinden sollte. Missmutig steckte sie die Muschel ein, als Beweisstück und für den Fall der Fälle, sozusagen. Nun blieb ihr eigentlich nur noch abzuwarten. Ob sich Jemand ihrer erbarmte und sie befreite. Das Einhorn sicher nicht. Das wäre doch ein perfekter Fall für Erwald und seinen sechsten Sinn immer dort aufzutauchen, wo Jemand Hilfe benötigte. Sie lauschte ein paar Minuten, voller Hoffnung. Nichts. Nur das Grummeln ihres Magens. Die Wirtstochter seufzte leise. Sie hatte sich ja immer ein interessanteres Leben gewünscht. Dies hier war interessant. Auf eine extrem unkomfortable Art und Weise. Dann hörte sie Schritte auf den Dielen über sich.

Das Auge von NoxWhere stories live. Discover now