Kapitel 8 - Wunden

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„Urgh … was ist das?“ Nox lag auf seinem staubigen Bett, in das er fast komplett eingesunken war und starrte hoch zur Decke. Er versuchte sich aufzurichten, aber ein stechender Schmerz in der Brust hielt ihn in der horizontalen Position, in die ihn John verfrachtet hatte.
„Das ist die Decke. Nicht sehr betrachtungswürdig, eigentlich“ meinte John trocken, während er reglos und mit Blicken tadelnd neben dem Bett stand. Auf seiner Schnauze zeigten sich ein paar kleine Schnittwunden.
„Du weißt, dass ich das nicht gemeint habe. Ich finde, das ist keine gute Zeit für dumme Witze …“ murrte der verletzte Eulendämon und tastete mit seinen Krallen vorsichtig die Wunde ab, die John nicht hatte verbinden können. In seiner Kleidung war ein recht großes Brandloch und die Federn darunter waren nicht nur verkohlt sondern teilweise mit dem Fleisch verschmolzen. Er zupfte vorsichtig an einer davon und sog zischend die Luft zwischen zusammengebissenen Zähnen ein.
„Ich mache Witze um über die Tatsache hinweg zu kommen, dass du fast draufgegangen wärst“ erwiderte der Einhornhengst mit mühsam unterdrückter Wut „Es wird Zeit, dass wir von hier verschwinden.“
„Und dann? Wohin gehen wir? Zum nächsten Dorf, in dem uns jemand ans Leben will?“
„Wir könnten uns zur Abwechslung mal wieder in die Wildnis schlagen, in Höhlen hausen und Bären fressen.“
„Danke, ich mag keine Beeren.“
„Ich sprach von Bären. Am Stück. Mit Fell.“
„John …“ Nox rollte sich mühsam auf die Seite „Ich weiß, du machst dir Sorgen und ich weiß, dass du mich nur beschützen willst. Warum auch immer ...“
„Ich habe gute Gründe Nox.“
„Und du willst sie nicht mit mir teilen?“
„Nein.“ John wandte den Blick ab, nicht zum ersten Mal, wenn es um dieses Thema ging.
Der Halbdämon seufzte leise: „Nun gut, ich werde dich nicht bedrängen. Aber versteh bitte auch mich. Meine Mutter hat mich zehn Jahre in einer Höhle versteckt und mit dir war ich zwanzig Jahre in Wäldern, verlassenen Gutshöfen, zwischen den Mauern zerfallener Burgen. Ich habe keine Magie, mit der ich mich schützen könnte und jetzt habe ich endlich einen Ort gefunden, der mir die Chance gewährt, alles was ich verloren habe, zurück zu gewinnen! Ich muss das erste Mal seit ich denken kann mein Gesicht nicht verstecken! Weißt du, wie das ist?“
„Ja, das weiß ich. Und ich hoffe dir ist bewusst, dass du sie alle nur belügst! Du hast dich für etwas ausgegeben, was du nicht bist und wenn sie es herausfinden, dann Gnade dir dein erfundener Gott!“
„Sie werden es nicht erfahren …“ murmelte Nox bitter und hoffte, dass er recht behielt. Ein Stich durchfuhr seine Brust, der nichts mit der Wunde zu tun hatte. Er stellte sich vor, Erwald und Arabella würden die Wahrheit herausfinden. Er war kein Engel, nur ein halbes Monster, das Fleisch fraß und alle täuschte. Ein abartiges Ding, entstanden aus der verdrehten Lust eines Menschen und dem formbaren Fleisch eines Ungetüms aus alten Zeiten. Er schloss einen Moment die Augen. John schnaubte unwillig und sagte dann: „Es reicht mir jetzt. Du bist ein grauenhaft sturer Bock, weißt du das eigentlich?“
„Mag sein“ murmelte Nox, der langsam wegdämmerte.
„Ich werde dich ab sofort begleiten. Du machst keinen Schritt mehr ohne mich.“
Nox Müdigkeit war schlagartig verflogen: „Was? Auf gar keinen Fall! Wenn sie dich sehen, machen sie eine hübsche Trophäe aus dir und hängen sie in die Gaststube.“ Er hielt kurz inne und murmelte dann, ein wenig neben sich stehend: „Ob sich Arabella darüber wohl freuen würde … ein Einhorn an der Wand …“
„Dann sollte ich wohl besser kein Einhorn sein“ erwiderte der Hengst mürrisch und drehte den Kopf zu seiner Flanke, nur um Sekunden später wieder in Nox Blickfeld zu erscheinen. Das Horn auf Johns Stirn war verschwunden. Nox wäre vor Schreck fast vom Bett gefallen. Er keuchte ungläubig und verzog schmerzlich das Gesicht, als sich die frische Wunde meldete.
„Was um alles in der Welt? Wie hast du das gemacht? Wo ist dein Horn?“
„Oh, es ist jetzt in meinem A...“
„John!“
„In meinem absolut fantastischen Schweif versteckt.“
„Du hast dein Horn … abgenommen und in deinem … Sch…“
„Himmel, du bist wohl nicht mehr ganz da. Natürlich nicht! Ich bin ein Einhorn. Ich habe MAGIE in meinem Horn! Ich kann einen Zauber wirken und mich wie ein schwarzes Ross aussehen lassen.“
Nox Kopf sank auf das Kissen zurück, in seinem Gesicht eine Mischung aus zweierlei Erkenntnis. Erstens, John hatte all die Jahre verheimlicht, dass er sich unter die Menschen mischen konnte, ohne aufzufallen. Zweitens, er selbst war ein ausgemachter Narr, dass er nicht einmal daran gedacht hatte. Jedes Wesen, das im Zuge der Nutzung roher Magie entstanden war, trug selbst Magie in sich. John war alt, uralt sogar. Er hatte sie schon immer besessen. Und deshalb kannte sich John auch so gut mit Menschen aus … Nox fühlte sich mit einem Male noch müder als vorher. Die Wunde pochte und nässte, ein spitzer Schmerz pulsierte von seiner Brust bis in die Fingerspitzen. Aber es spielte keine Rolle, er würde jetzt einfach schlafen und ignorieren, dass ihn sein Gefährte im Grunde für dumm verkauft hatte. Oder er sich selbst.
„Eine Frage noch …“ murmelte Nox matt „Warum hast du das noch nie gemacht … seid wir zusammen sind …“
„Es sollte nicht nötig sein. Ich schäme mich nicht für das was wir sind. Und das solltest du auch nicht.“ Er bekam keine Antwort.
„Nox? NOX!“ John schubste den Halbdämon besorgt an, aber er antwortete nicht. Sein Atem ging flach und rasselnd, das klang nicht gut.
*Verdammt! Ich muss irgendwie die Wunde versorgen* John suchte den Raum ab, aber außer staubigen Lappen war nichts zu finden. Er wollte Nox keinesfalls allein lassen, aber was sollte er tun? Vermutlich hatte er die besten Chancen im Dorf etwas Nützliches zu finden. Andererseits, einen heilenden Talisman würde er wohl nicht finden, diese Art von Zauber war bei Todesstrafe verboten. Niemand würde einen haben. John fluchte. Er konnte sich selbst die Tarnung eines Pferdes geben, er konnte Pflanzen schneller wachsen und sein Horn leuchten lassen und nicht zu vergessen, die Stuten beglücken. Nur letztes schien ihm wirklich nützlich zu sein. Wer auch immer ihn geschaffen haben mochte, hatte eine ausgesprochen begrenzte Fantasie besessen. 

Das Auge von NoxWhere stories live. Discover now